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Denkmal des Monats

Juni 2016: Elbansicht mit Stadtkirche St. Marien, Lutherstadt Wittenberg

Die historische Elbansicht der Stadt Wittenberg ist bis zurück zur ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in zahlreichen Abbildungen überliefert. Sie wird darin stets durch den Monumentalbau des einst kurfürstlich-sächsischen Residenzschlosses im Westen, das Rathaus und die Doppelturmanlage der Stadtkirche St. Marien im Zentrum sowie die Gebäude der ehemaligen Universität einschließlich des Wohnhauses Philipp Melanchthons mit seinem markanten italienisierenden Giebel im Osten geprägt. Während der Glaubenskämpfe des Reformationszeitalters wurde Wittenberg als militärisch befestigter Wohn- und Wirkungsort Martin Luthers und der anderen führenden Reformatoren für deren Anhänger zu einer Art Neuem Jerusalem. So ist die Stadtansicht auf einem um 1556/58 entstandenen Holzschnitt der Cranachwerkstatt als »WITEBERGA, GLORIOSA DEI CIVITAS«, als »ruhmreiche Stadt Gottes«, bezeichnet. Und wie das Urbild des Himmlischen Jerusalem wurde auch Wittenbergs elbseitiges Panorama in vielerlei Reproduktionen – geradezu ikonisch verknappt – zu einem bedeutungsgeladenen Merkbild mit Wiedererkennungseffekt.

Durch die Aufhebung des Festungsstatus 1873 verlor Wittenbergs Stadtbild den äußeren Rahmen und breitete sich über seine frühere Begrenzung hin aus. Die aus militärischen Gründen bis dato freigehaltenen Glacis wurden überbaut, Wall und Festungsgraben teilweise eingeebnet, zum Stadtpark umgestaltet und wuchsen mit Bäumen zu. Heute zeigt sich die überkommene Stadtansicht den Reisenden lediglich noch vom erhöhten Standpunkt auf der Elbbrücke, die zu genießen allerdings nur die Anfahrt mit der Bahn erlaubt, bei der die Aufmerksamkeit nicht vom Straßenverkehr beansprucht wird. Dabei lässt sich schnell feststellen, dass die architektonischen Haupt-erkennungszeichen Wittenbergs ihre das Stadtbild beherrschende Wirkung noch immer besitzen. Seit der ehemalige Nordwestturm des Schlosses zwischen 1885 und 1892 zum Turm der Schlosskirche umgedeutet und mit Aufsatz und einem spektakulären neugotischen Maßwerkhelm auf 88 Meter Höhe gesteigert wurde, ist die monumentale Bildhaftigkeit dieses Denkmals nicht mehr zu übertreffen. Das Bauensemble der früheren Collegien Fridericianum und Augusteum am östlichen Stadteingang hält dem durch das Volumen seiner Baukörper, die Höhe der Gebäude und die Größe der Dachflächen die Waage. Und in der Mitte überragen noch immer die beiden circa 60 Meter hohen Westtürme der Stadtpfarrkirche alle anderen Bauten der historischen Altstadt (Abbildung 1).

Bei der Instandsetzung in Vorbereitung des 500-jährigen Reformationsjubiläums 2017, wobei auch der Innenraum und alle Ausstattungsstücke restauriert wurden, erhielt die gesamte Kirche seit 2012 wieder ihre historisch belegte, traditionelle Verputzung (Abbildung 2). Damit kommen ihr architektonischer Anspruch und ihre städtebauliche Wirkung als über das Weichbild hinaus reichende Landmarke verstärkt zur Geltung. Aus der Entfernung, etwa bei Kemberg von den Hügeln der Dübener Heide in die flache Elbaue hinabsteigend, sieht man am Horizont von Wittenberg nur die leuchtend helle Silhouette der Stadtkirchentürme und die filigrane Spitze des Schlosskirchenturms. Vom Elbdamm bei den Pratauer Kienbergen aus bietet sich ein ungewöhnlicher Anblick: Über die Elbwiesen hinweg erscheint die Wittenberger Stadtkirche, von Bäumen umgeben und über niedrigeren Häusern thronend, wie ein kleinstädtisches Idyll aus vorindustrieller Zeit.


Text: Mario Titze
Redaktion: Sabine Meinel, Uwe Steinecke
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

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