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Denkmal des Monats

August 2018: Tugenden- und Philosophenteppich, Domschatz, Halberstadt

Der Ausschnitt aus einem dekorativen Muster stammt von der breiten Randbordüre eines romanischen Knüpfteppichs, dem sogenannten Tugenden- und Philosophenteppich im Halberstädter Domschatz. Auf rotem Grund mit einem feinen grünen Rautenmuster sind zwei ockergelbe, punktbesetzte Bänder abwechselnd zu Quadraten und Kreisformen gelegt. Die stets wiederkehrende Verschlingung der Bänder verleiht der Abfolge Dynamik und Räumlichkeit. Neun in Kreise einbeschriebene Palmetten sind in den eckigen Formen angeordnet, während kontrastierend auf geraden Linien und Winkeln basierende geometrische Muster die Rundungen füllen (Abbildung 1). Im eigentlichen Bildfeld des Teppichs, von dem leider aufgrund der fragmentarischen Erhaltung nur schwer eine Vorstellung zu erlangen ist, blieben Anfänge von drei horizontal angelegten Bildstreifen erhalten, die durch blaue Schriftbänder getrennt werden (Abbildung 2).

Die schmalen Reste der Zeilen zeigen vor einem reichen geometrischen Muster rundbogige Arkaden, unter denen Figuren stehen. Von der Gestalt in der obersten Zeile ist nur ein Teil ihres Gewandes mit einem weiten, bortenbesetzten Ärmel erhalten. Hingegen wird die Figur des mittleren Registers durch den Rest des Schriftbandes TE(M)P(ER) ET • HIC • M… und die erhaltenen Buchstaben TEMP(ER) über der Arkade als Personifikation der Tugend Temperantia (Mäßigung) ausgewiesen. Von der Figur in der untersten Zeile ist nur ein X über der Arkadenstellung und das Fragment einer Inschrift erhalten, das zu (Q)VANDO aufgelöst werden kann. Einstimmig wird in der Forschung das X zum Namen des griechischen Philosophen Xenokrates ergänzt.
Aus den am Teppichfragment (Höhe 182 Zentimeter, Breite 65 Zentimeter) ablesbaren Informationen sowie dem Vergleich mit zeitgenössischen Bildaufbauten und Darstellungsinhalten konnte die ursprüngliche Höhe des Teppichs von 5,60 Meter und eine Breite von 4,45 Meter rekonstruiert werden (Abbildung 3). Für das Bildfeld wurde eine Gliederung in fünf Zeilen mit je sieben Arkaden vorgeschlagen. Die Zahl Sieben nimmt von alters her eine besondere Bedeutung ein (zum Beispiel sieben Wochentage, sieben Planeten, sieben freie Künste, sieben Sakramente), sodass eine solche Einteilung auf dem Teppich auch aus inhaltlichen Gründen gut vorstellbar ist. Der Gestalt der Temperantia wären demnach die Personifikationen der drei weiteren Kardinaltugenden Prudentia, Justitia und Fortitudo (Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit) sowie der drei christlichen Tugenden Fides, Caritas und Spes (Glaube, Liebe, Hoffnung) gefolgt. Xenokrates dürfte eine Reihe von sieben, wohl antiken, Philosophen angeführt haben. Vielleicht füllten einige der genannten Gruppierungen die heute verlorenen Register des Teppichs aus.

Der Tugenden- und Philosophenteppich ordnet sich in eine kleine, aber exquisite Gruppe hochmittelalterlicher großformatiger Textilien zur Raumausschmückung ein, die am Halberstädter Dom und in der unweit gelegenen Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg erhalten sind und möglicherweise auch in diesem Raum entstanden. Während es sich bei den beiden großen Wandteppichen in Halberstadt, dem Abraham-Engel-Teppich und dem Christus-Apostel-Teppich, um Wirkarbeiten handelt, wurde der vorliegende Teppich wie auch der Quedlinburger Teppich mit der Hochzeit des Merkur und der Philologie und eine schmale, aber fast vier Meter lange Teppichborte in Halberstadt mit farbiger Wolle geknüpft. Aufgrund des aus dieser Technik resultierenden Gewichts und der vorhandenen beziehungsweise rekonstruierbaren Größe wurden diese Knüpfteppiche als Bodenteppiche verwendet. Anhand stilistischer Vergleiche in die Mitte des 12. Jahrhunderts datiert, darf das Fragment des Tugenden- und Philosophenteppichs den Rang des ältesten (namhaft) erhaltenen Knüpfteppichs in Mitteleuropa beanspruchen.


Text: Barbara Pregla
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

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