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Denkmal des Monats

Juni 2018: Stuckfußboden, ehemalige Benediktinerklosterkirche St. Marien, Nienburg

Der Innenraum der nach Brand 1242 neu errichteten Klosterkirche ist heute ganz wesentlich durch die Restaurierung der Jahre 1841 bis 1853 geprägt, in der die barocke Ausstattung entfernt und in deren Folge sparsam neugotische Ausstattungsteile wie der Fürstenstuhl und die Orgelempore eingefügt wurden (Abbildung 1). Einziges mittelalterliches Ausstattungsteil ist die Betsäule. Umso höher ist ein Fund zu bewerten, der 1926/27 bei Grabungen unter Leitung des Bernburger Baurates Hans Wendler zu Tage trat. Unter dem Chor wurden Reste eines spätmittelalterlichen Stuckfußbodens aufgefunden. Dieser Fußboden ist älter als das aufgehende Mauerwerk des heutigen Baus. Die Verwendung der Fragmente als Füllmaterial für die beim Kirchenneubau nach 1242 aufgegebene Krypta sowie Brandspuren an einzelnen Stücken sind ein eindeutiger Beleg. Der Stuckfußboden befand sich ursprünglich im Chor über der Krypta, nahm eine Fläche von circa 90 Quadratmeter ein. Die Fragmente des um 1200 entstandenen Stuckfußbodens sind ein bedeutendes und seltenes Zeugnis der mittelalterlichen Kunst in Sachsen. Die Existenz eines programmatisch so anspruchsvollen und in hoher künstlerischer Qualität ausgeführten Schmuckfußbodens für den Chor zeugt von der ökonomischen Stärke und kulturellen Blüte des Nienburger Klosters, das vom 11. bis ins 13. Jahrhundert eines der reichsten Klöster im Mittelelbegebiet war. Fragmente romanischer Stuckfußböden finden sich in Sachsen-Anhalt in der Kirche St. Veit in Drübeck, in St. Servatius in Quedlinburg sowie der ehem. Benediktiner-Klosterkirche St. Peter und Paul in Ilsenburg.

Der Stuckfußboden ist in Inkrustationstechnik ausgeführt. Die Linien und Flächen der Darstellung wurden zunächst in den Gips eingeschnitten, die circa vier Millimeter tiefen Bereiche dann mit farbiger – hier roter und schwarzer – Gipspaste aufgefüllt und anschließend verschliffen. Von den 1927 aufgefundenen 1000 Fragmenten sind noch circa 800 erhalten, einige der Stücke sind nur noch im Foto überliefert (Abbildung 2). Kein einziges Stück befand sich zum Zeitpunkt der Grabung 1927 mehr in situ, was die Ablesbarkeit der Darstellung extrem erschwert. Hinzu kommen mechanische Beschädigungen und die genannten Brandspuren. 1929, 1931 und 1939 wurden Überlegungen zum Bildprogramm publiziert (Ludwig Grote, Julius Delmhorst), die auch Skizzen der figürliche Darstellungen (vor allem der Häupter) und einiger lateinischer Schriftfragmente enthielten. Bereits Delmhorst bemühte sich um Auflösung der Abbreviaturen. In den 1960er Jahren wurden einzelne Stücke zur Präsentation in das Bernburger Museum verbracht. Erst 1986 begann die wissenschaftliche Untersuchung der Fragmente des Stuckfußbodens und seiner Darstellung, die in der heute im südlichen Seitenschiff präsentierten Teilrekonstruktion mündete. Der spätromanische Stuckfußboden im Vorgängerbau der heutigen Kirche zeigte in einem mittig angeordneten Medaillon den thronenden König Salomon. Über seinem gekrönten Haupt ist das Schriftband mit seinem Namen erhalten. Teile von Gewand und Thronlehne sind in Fragmenten überliefert. Das zentrale Medaillon wird von einem circa ein Meter breiten Streifen mit vegetabilem und geometrischem Ornament eingefasst. Die Zwickel sind mit circa 25 Zentimeter messenden Medaillons mit Darstellungen von Tieren und Fabelwesen gefüllt (Adler, Greif, Löwe, Pferd). Insgesamt wurden elf männliche und weibliche Figuren ermittelt. Die Kardinaltugenden Fortitudo (Stärke), Temperantia (Mäßigung), Justitia (Gerechtigkeit) und Prudentia (Klugkeit) sind anhand der Schriftbänder zu erkennen. Weiterhin wurden Figuren als antike Autoren identifiziert: Seneca und Varro. Die Präsentation des Stuckfußbodens umfasst nur einen Teil der aufgefundenen und erhaltenen Fragmente. Die Betrachtung der ausgelegten Fragmente des Stuckfußbodens mit seinen ausdrucksstarken, individualisiert dargestellten Figuren, Schriftzügen, Flächen- und Linieninkrustationen sowie einer Vielfalt an Ornamenten wie Kreuzbändern und Blattranken ermöglicht dem Betrachter eine Vielzahl lohnender Entdeckungen.


Text: Birthe Rüdiger
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

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