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Fund des Monats

Juli 2001: Nur ein paar Münzen

Archäologie: die meisten Mitmenschen verbinden damit entweder ›Sensationsfunde‹, ›Schätze‹ und ›Tut-Anch-Amun‹. Oder sie beobachten durch den Bauzaun, wie Archäologen bei Wind und Wetter in Regenjacke und mit Spitzkelle und Pinselchen bewaffnet sorgfältig an ganz unaufregenden Bodenverfärbungen herumoperieren.

Deshalb mögen die jetzt gezeigten Münzen an diesem prominenten Platz zunächst irritieren. Es handelt sich nämlich nur um Stücke, die von Alter und Nominalwert gesehen wertlos erscheinen und auch als Sammlerstücke kaum durchgehen. Auch die Fundgeschichte ist schnell erzählt: es handelt sich um einen Zufallsfund, nicht um das Ergebnis einer planmäßigen und ›ordentlichen‹ Grabung. Im Herbst des Jahres 1997 wurde auf dem Friedhof von Wedlitz im Landkreis Bernburg ein neues Grab ausgehoben, und dabei stießen die Totengräber auf eine ältere Bestattung. Auch das ist Alltag in dem Beruf, keinesfalls eine Sensation. In der älteren Bestattung fanden sich nach den sehr vagen Angaben der Anwesenden ›ein Rasierapparat‹ und ›ein zweifächriges Kunstleder-Portemonnaie‹. Eines der Fächer beinhaltete ein graues, ascheartiges Pulver, das andere 14 Münzen (Abbildung 1). Leider wurden nur die Geldstücke aufbewahrt und gelangten auf Vermittlung des ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegers Otto Hädicke aus Wedlitz zur Kenntnis des Museums in Bernburg und später in die Sammlungen des Landesmuseums für Vorgeschichte zu Halle.

Schon ein rascher Blick auf die Münzen verrät ihr geringes Alter. Das älteste Zahlungsmittel ist ein stark abgegriffener kleiner Wert (maximaler Wert 50 Centimes) aus Frankreich. Die Jahreszahl verweist ihn in das Jahr 1856, als Bild ist Napoleon III. unverkennbar (Abbildung 2).

Erstaunlicherweise ergibt sich zur Zeitstellung der übrigen Geldstücke ein großer Zeitsprung, denn die nächstjüngeren Gepräge datieren nach 1898 und 1915. Das ältere stammt aus dem damaligen deutschen Kaiserreich und hat einen Wert von einem Pfennig. Die jüngere Münze von zwei Hellern kommt aus der Kaiserlich und Königliche-Monarchie, wurde also in Österreich-Ungarn geprägt.

Die Masse des Münzgeldes schließlich gehört in die bewegten 30er und 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Als Länder sind nun Deutschland mit einem zwei Pfennig-Stück von 1938, die Tschechoslowakische Republik mit drei Münzen im Wert von zehn Hellern (1933) und zweimal eine Krone (1938) sowie die kurzlebige slowakische Republik von Hitlers Gnaden mit sechs Geprägen vertreten. Dabei lassen sich fünf Exemplare des 20-Heller-Wertes (1940) und eine Münze zu 10 Heller bestimmen. Wie schon angedeutet, haftet einer solchen Zusammensetzung nichts Sensationelles an. Was aber ist dann Anlass, diesen Fund an dieser Stelle ins Licht zu rücken?

Archäologie beschäftigt sich zumeist mit jenen Abschnitten menschlicher Vergangenheit, wo schriftliche Nachrichten fehlen oder doch recht unzusammenhängende Auskünfte geben. Dies macht zum einen den unschätzbaren Wert archäologischer Forschung aus, da aus der Quelle Bodenarchiv das Wissen um unsere Geschichte bis in die ›graue Vorzeit‹ verlängert werden kann (Abbildungen 3 und 4). Zum anderen aber bleibt angesichts der Art solcher Quellen, es sind ja ›nur‹ Sachzeugen und Bodenverfärbungen, die erst die Kombinationsgabe und kriminalistische Fragetechnik des Archäologen unter Mithilfe zahlreicher Nachbarwissenschaften zum Reden bringen. Das eigentlich wirkende menschliche Individuum bleibt dabei meistens im Hintergrund und ist nur schemenhaft zu erahnen. Mit dessen Personalisierung aber würde Geschichte erst so richtig spannend!

Mit oben vorgelegtem Fund befindet man sich eindeutig im 20. Jahrhundert. Vermeintlich also kein Anlass, dem Sachverhalt nachzuspüren?! Weit gefehlt, denn leider ergaben die Recherchen des Ehrenamtlichen keine genaueren Angaben zum Bestatteten. Die örtliche Überlieferung vermeldet lediglich, dass zum Beispiel auf dem Gut in Wedlitz wie fast überall im ›Dritten Reich‹ während des 2. Weltkrieges - Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene eingesetzt worden sind. Da die Grabreihe in diese Zeit gehören könnte und auch Alter und Herkunft der Münzen dazu passen, wäre hier ein Zusammenhang denkbar.

Trotz der zeitlichen Nähe zum Heute vermerkt man also erstaunt, dass selbst hier mit fast rein archäologischen - oder ›kriminalistischen‹- Methoden gearbeitet werden muss. Da der Inhalt der Geldbörse überwiegend aus der Vorkriegs- und Kriegszeit stammt und die Mehrzahl der Münzen der nur von 1939 bis 1945 existierenden Slowakischen Republik zugehört, käme tatsächlich als Besitzer ein Zwangsarbeiter in Frage. Dies stimmt mit den im Volksmund überlieferten Angaben zu einem dort begrabenen ›Kroaten oder Slowaken (!)‹ trefflichst zusammen. Damit käme man ein wenig einem Menschenschicksal in einer schrecklichen Zeit nahe, ohne indes schon mit weiteren Auskünften zu Person und genauer Herkunft aufwarten zu können. Merkwürdig mutet jedoch an, dass auch wesentlich ältere Ausgabejahre im Fund vertreten sind, die damals keinen geldwerten Besitz mehr darstellten. Daraus ableiten zu wollen, der Tote sei ehedem Münzsammler gewesen, erscheint angesichts der kleinen Münzwerte vielleicht zu abwegig. Eventuell aber ist bedenkenswert, im Inhalt des Portemonnaies eine Spielgeldkasse zu sehen? In einer fremden und sicherlich feindlichen Umgebung kommt dem ablenkenden Spiel eine gewiss erhebliche Bedeutung im Überlebenskampf zu.

Wie so oft im Alltag des Archäologen bleiben nach Bergung und Auswertung eines Fundes mehr Fragen übrig, als schlüssige Antworten zu geben sind. Immerhin wird deutlich, dass auch für die jüngste Vergangenheit Bodenfunde Wichtigkeit besitzen. Dem hat das Denkmalschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt von 1991 übrigens in weiser Voraussicht Rechnung getragen.

In den letzten Tagen wurden nach zähem, manchmal bedauerlich peinlichem Ringen die ersten kargen Entschädigungen an ehemalige Zwangsarbeiter des ›Dritten Reiches‹ ausgezahlt. Die wertlosen Kleinmünzen aus der Friedhofserde von Wedlitz sind da ein mahnendes Symbol: sie gehörten vielleicht einem der unzähligen Opfer, denen niemals mehr Gerechtigkeit widerfahren kann.


Text: Detlef W. Müller
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

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