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Fund des Monats

April 2002: Mauerblümchen aus Köthen

Obgleich die prähistorische Archäologie eine historische Wissenschaft ist und somit oftmals als langweilig eingestuft wird, so finden doch immer wieder prunkvolle Fundgegenstände das Interesse der Öffentlichkeit und prägen das Erscheinungsbild der Ur- und Frühgeschichte. Eine große Zahl solch spektakulärer Funde kann gegenwärtig im Landesmuseum für Vorgeschichte in der Ausstellung ›Schönheit, Macht und Tod (bis 28. April 2002) besichtigt werden.

Dass außer diesen glanzvollen Funden auch regelrechte Mauerblümchen für die Ur- und Frühgeschichte von außerordentlicher Bedeutung sein können, beweist in sehr eindrucksvoller Weise die archäologische Dokumentation, die gegenwärtig auf dem Marktplatz in Köthen/Anhalt durchgeführt wird. Hier kamen zwei äußerlich wenig attraktive Fundkomplexe zu Tage, deren wissenschaftliche Aussagefähigkeit jedoch außerordentlich ist. Wer hätte es diesem unscheinbaren, vom Zahn der Zeit zernagten Stückchen blassgrün glasierter Keramik, das mit metallisch glänzenden Blümchen verziert ist - in der Fachliteratur als Brombeernuppen bezeichnet -, angesehen, dass es ein wichtiges Dokument zur mittelalterlichen Geschichte des mitteldeutschen Raumes darstellt (Abbildung 1)?

Es bedarf schon eines geübten Auges um den wahren Wert dieses Fundes zu erkennen. Es ist der Aufmerksamkeit der Grabungsleiterin Andrea Pieper zu verdanken, dass er nicht zusammen mit den gewaltigen Mengen anderer keramischer Funde vom Köthener Marktplatz verpackt und magaziniert wurde. Gleich auf den ersten Blick erkannte sie, dass diese Scherbe eigentlich nicht in das Spektrum der üblichen mittelalterlichen Keramik in Köthen/Anhalt passt.

Ihre Recherche ergab, dass es sich bei diesem Fund um Scherben eines von weit her importierten Gefäßes handelt. Die Köthener Scherbe ist an der Außenseite gelb bis blassgrün glasiert und verziert mit einer Kombination von applizierten Leisten und sogenannten Beerennuppen, welche einen metallischen Glanz aufweisen. Sie gehört zur Gruppe der sogenannten hochverzierten Keramik, welche in großem Umfang im belgisch-niederländisch-nordfranzösischen Raum sowie in England und Südskandinavien hergestellt wurde. Die auf dem Köthener Stück angebrachten Applikationen stellen typische Verzierungselemente einiger dieser Gruppen dar. Eine genaue Herstellungsregion lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ermitteln, es könnte sich aber eventuell um eine Produktionsstätte in Nordfrankreich handeln. Sicher ist jedenfalls, dass diese Keramik im 13. Jahrhundert bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts verhandelt wurde und einen weiten Weg bis nach Köthen zurückgelegt hat. Wahrscheinlich stammt die Scherbe von einem Krug oder einer Kanne und könnte so Teil eines luxuriösen Trinkgeschirrs gewesen sein. Ohne Zweifel stellte dieses für den Haushalt, zu dem es gehörte, einen seltenen und kostbaren Artikel dar. Wäre derartige Keramik in größerem Umfang nach Mitteldeutschland gelangt, müsste sie zwangsläufig auch öfter im archäologischen Fundgut auftreten. Dies ist aber nicht der Fall.

Die außerordentliche Bedeutung, die Köthen/Anhalt und sein gesamtes Umland in ur- und frühgeschichtlicher Zeit gehabt haben muss, lässt sich unschwer an der umfangreichen und qualitativ hervorragenden archäologischen Sammlung erkennen, die mehrheitlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert durch Prof. Götze zusammengetragen worden war und heute in Räumen der Landkreisverwaltung Köthen sicher verwahrt wird. Das Interesse, das unsere Vorfahren seit der Jungsteinzeit am Köthener Raum hatten, gründet sicherlich nicht zuletzt in den außerordentlich fruchtbaren Böden des Köthener Landes. Diese boten Ackerbau und Viehzucht treibenden Menschen beste Wirtschaftsvoraussetzungen. Dass dieser Wirtschaftszweig auch für das mittelalterliche Köthen noch von erheblicher Bedeutung war, macht ein weiterer unscheinbarer Fund vom Köthener Marktplatz deutlich.
Aus der Baugrube eines mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Gebäudes konnte überraschenderweise eine Ansammlung verkohlter Getreidekörner geborgen werden. Das Bild zeigt einen Teil der verkohlten pflanzlichen Reste verpackt in mittelalterliche Gefäße, die aus derselben Fundschicht wie das Getreide stammen (Abbildung 2).

Im Landesamt für Archäologie wurden die Pflanzenreste umgehend untersucht. Das Interesse daran war groß, da umfangreichere Mengen mittelalterlichen Getreides in Mitteldeutschland bisher nur selten bezeugt sind. Gleichwohl dienen derartige Funde dazu, uns über die Nutzung und Entwicklung von Kulturpflanzen, die wichtig für unser tägliches Brot sind, Erkenntnisse zu liefern. Bekannt sind Kulturpflanzenreste von jüngst durchgeführten Grabungen in Magdeburg (Dom und Breiter Weg), aus Brunnen und Latrinen in Halle und Weißenfels und aus Stendaler Befunden. Auch trat Anfang der 1990er Jahre - ebenfalls in Köthen/Anhalt, am innerstädtischen Holzmarkt - ein verbrannter spätmittelalterlicher Getreidespeicher zu Tage.

Der neuerliche Fund vom Köthener Marktplatz besteht vorwiegend aus verkohlten Getreidekörnern, jedoch sind auch Holzkohlenfragmente, verkohlte Samen oder Früchte von Ackerunkräutern und sogenannten Ungräsern, also solchen von den Menschen unerwünschten Gräsern, die ebenso wie die Getreidearten zur Familie der Süßgräser gehören, enthalten. Bei den Getreidekörnern handelt es sich überwiegend um solche des Saat-Weizen-Typs (Triticum aestivum-Typ) (Abbildung 3). An zweiter Stelle sind Früchte des Saat-Roggens (Secale cereale) (Abbildung 4). Es handelte sich offenbar um Reste eines teilweise gereinigten Getreidevorrats, der nicht zur Nahrungszubereitung oder neuerlichen Aussaat verwendet werden konnte, sondern infolge unglücklicher Umstände einem Feuer anheimfiel. Der Brand fand teilweise unter sauerstoffarmen Bedingungen statt, wobei die eigentlich leicht zu Asche verbrennbaren Sämereien lediglich verkohlten und im Boden die Jahrhunderte überdauern konnten.

Wie kann nun der Fund vom Köthener Markt gedeutet werden? Die Holzkohlen sind Überbleibsel ehemaliger Hölzer, die sich am Lagerort des Getreidekorns befanden und Feuer fingen. In dem Pflanzenkohlenfund befanden sich vorwiegend größere und kaum kleinere Pflanzenreste, das deutet darauf, dass das Getreide ehemals vor der Niederlegung zur Bevorratung ein wenig gereinigt worden war. Saat-Weizen kann sowohl als Winter- und auch als Sommergetreide angebaut werden, bei Saat-Roggen wird eher Winteranbau bevorzugt. Die ebenfalls nachgewiesene Kornrade wächst vor allem im Wintergetreide, aber auch im Sommergetreide. Die Kornradensamen wurden gemeinsam mit dem Getreide geerntet, gelagert und wiederum ausgesät. Da man damals vermutlich das Erntegut siebte, blieben vor allem die größeren Kornradesamen mit den Getreidekörnern erhalten. Dass sich mehrere Getreidetypen sowie Ungräser und Unkräuter in dem Pflanzenkohlenfund vom Köthener Markt befanden, dürfte mit der Fruchtwechselfolge auf den Äckern zu tun haben, die von Sommerung zu Winterung und eventuell Brache wechselte.

Mit den zahlreichen Samen der Kornrade (Agrostemma githago) (Abbildung 5), einem Nelkengewächs, hat es aber noch eine weitere besondere Bewandtnis. Wenn diese nicht aus dem Brotgetreidekorn ausgelesen werden, sondern beides zusammen gemahlen wird, erhält das Brotmehl einen unangenehmen, bitteren Beigeschmack. Wegen ihres Gehaltes an dem Glykosid Githagin oder Agrostemmin können sogar gesundheitsschädliche und narkotische Wirkungen sowie gegebenenfalls starkes Niesen bei dem Verzehr des mit Kornrade verunreinigten Brotes die Folge sein. Dies war jedoch nicht nur ein lokales Phänomen im mittelalterlichen Köthen/Anhalt, sondern überregional über viele Jahrtausende bis ins 20. Jahrhundert in ganz Mitteleuropa als Problem bekannt. Heutzutage sind die purpurroten, einzeln stehenden Blüten der Kornrade kaum mehr von den Äckern, sondern nur noch aus botanischen Gärten bekannt. So ändern sich Zeiten und Äcker.

Anhand zweier Mauerblümchen von der archäologischen Dokumentation auf dem Marktplatz in Köthen/Anhalt wurde gezeigt, dass unscheinbare Funde durchaus geeignet sind, Geschichte lebendig werden zu lassen. Natürlich hat die alte Anhaltische Residenzstadt Köthen mehr als Mauerblümchen zu bieten. Die Abbildungen zeigen Ihnen zwei der ›schöneren‹ mittelalterlichen Funde. Es handelt sich um ein 4,5 Zentimeter langes Beschlagfragment (vermutlich für ein Kästchen) aus einem Rinderknochen (Abbildung 6), auf dem Reste roter Bemalung erkennbar sind, und einen circa drei Zentimeter langen Spielstein aus dem Geweih eines Rothirschs (Abbildung 7).


Die Mitarbeiter des Landesamtes für Archäologie waren über das reiche Fundaufkommen auf dem Marktplatz in Köthen überrascht. Daher werden wir Ihnen die überaus interessanten Ergebnisse der Grabung demnächst in einem gesonderten Beitrag in der Sektion Ausgrabungen ausführlicher vorstellen.


Text: Andrea Pieper, Cornelius Hornig, Monika Hellmund
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

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