Zur Navigation (Enter) Zum Inhalt (Enter) Zum Footer (Enter)

Fund des Monats

Juli 2002: Eine Straße durch zwei Jahrtausende

Das Tal der Weißen Elster im heutigen Stadtgebiet von Zeitz ist reich an archäologischen Fundstellen und Denkmälern. Am Südufer erhebt sich auf einem Bergsporn die mächtige, wahrscheinlich frühmittelalterliche Wallburg Posa. Der imposante Dom St. Peter und Paul im Gelände des Schlosses Moritzburg oder die Reste der Stadtbefestigung sind Zeugnisse der mittelalterlichen Stadt Zeitz.

Die Fundstellen der vorchristlichen Jahrtausende befinden sich dagegen besonders am Nordufer der Weißen Elster. Sie reihen sich von Grana im Westen bis Bornitz im Osten wie Perlen einer Kette entlang der Hochuferkante. Auch in der Gemarkung Zangenberg, heute ein Stadtteil von Zeitz, sind beim Kiesabbau in der ehemaligen Gemeindekiesgrube während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder Funde zu Tage gekommen (Abbildung 1). Sie belegen eine Besiedlung von der Jungsteinzeit (ab circa 5500 vor Christus) bis in die Völkerwanderungszeit (bis circa 5. Jahrhundert nach Christus). Als durch den Bau der Ortsumgehung Zeitz das Areal berührt wurde, waren deshalb die Archäologen zur Stelle (Abbildung 2).

Im unmittelbaren Umfeld der Kiesgrube hatten sich sechs vorgeschichtliche Brandgräber erhalten, die zunächst den Anschein einer ganz normalen Nekropole der Eisenzeit erweckten. Die Leichenbrände befanden sich jeweils in einer Urne, die mit einer Schale abgedeckt war. Die Gräber konzentrierten sich um eine fast quadratische Grube mit zwei je drei Meter langen Gräben an der Ostseite. Die Verfüllung dieser Grube bestand aus humoser Erde mit einigen Menschenknochen, Keramikscherben und Steinversturz (Abbildung 3). Auf der Grubensohle standen zwei Henkeltassen und eine Schale noch genauso wie sie in alter Zeit abgestellt worden waren (Abbildungen 4 und 5). Sieht man einmal von der etwas eigenartigen Form der Grube ab, so ist die Befundsituation alleine noch nicht außergewöhnlich. Eine umso größere Überraschung ergab dann aber die Datierung der Funde. Sie gehörten keineswegs - wie zunächst erwartet - nur der Eisenzeit an.

Vielmehr decken sie einen Zeitraum von nahezu 2000 Jahren ab - vom Beginn der Bronzezeit bis zum Ende der Eisenzeit. Die beiden Tassen aus der Grube lassen sich anhand der Gefäßform und des schulterständigen Henkels der frühbronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur (um 1800 vor Christus) zuordnen. Ein Doppelgrab datiert in die späte Bronzezeit (um 800 vor Christus). Ein weiteres Grab gehört der frühen Eisenzeit an (6. Jahrhundert vor Christus). Die einzige Metallbeigabe stammt aus einem Grab der mittleren Eisenzeit (4. Jahrhundert vor Christus). Die der Bestattung beigegebene Bronzefibel ist mit Kreisaugenmustern verziert und stammt aus dem keltischen Kulturbereich. Sie diente als Gewandspange (Abbildungen 6 und 7). Das letzte Grab schließlich datiert aufgrund einer Situla, die als Urne verwendet wurde, in die späte Eisenzeit (1. Jahrhundert vor Christus).

Wie erklärt sich dieser eigenartige Befund mit Bestattungen über zwei Jahrtausende an ein und demselben Ort?

Will man nicht annehmen, dass der Zufall seine Hand im Spiel hatte, dann muss der Platz zu unterschiedlichen Zeiten die Bewohner aus irgendeinem Grund dazu veranlasst haben, hier nur jeweils eine bestimmte Person zu bestatten. Um es gleich vorweg zu nehmen: Aussagen darüber, um welche Person oder Personengruppe es sich handelt, sind anhand des Befundes nicht möglich. Die Gräber sind weder in ihrer Form noch in ihrer Ausstattung besonders auffällig.

Zur Erklärung der Ortskontinuität dagegen gibt es zwei Möglichkeiten:

Der Orte hatte eine besondere Bedeutung, die von Generation zu Generation weiter überliefert wurde. Das Wissen um diese Bedeutung über einen Zeitraum von fast 2000 Jahren hinweg setzt in einer schriftlosen Gesellschaft Bevölkerungskontinuität voraus.

Dies widerspricht aber unseren derzeitigen Kenntnissen über die Kultur- und Besiedlungsabfolge in Mitteldeutschland. Auch die Tatsache, dass zwischen den ältesten und den nächstjüngeren Funden annähernd 1000 Jahre liegen, während die Zeitabstände der weiteren Bestattungen wesentlich enger sind, spricht eher gegen diese Interpretation.

Der Ort fiel aufgrund seiner topografischen Situation oder einer besonderen Markierung ins Auge. Die Lage der Fundstelle auf dem Hochufer über der Elsteraue alleine reicht als Begründung wohl nicht aus. Vielleicht war zusätzlich eine obertägig sichtbare Markierung vorhanden. Insgesamt erinnert die Befundsituation an ein Hügelgrab mit nachträglich eingebrachten Nachbestattungen, ein Phänomen, für das es ausreichend Vergleichsbeispiele gibt. Als zentrale Hügelbestattung käme nur die Grube mit der Gefäßdeponierung - die dann eine Grabbeigabe wäre - in Frage. Allerdings bestatteten die frühbronzezeitlichen Menschen nicht unter Hügeln. Außerdem fehlt in Zangenberg gerade hier der oder die Tote. Die wenigen Knochen lagen nicht im anatomischen Verband und können auch anderweitig in den Befund geraten sein. Die fehlende Bestattung bei gleichzeitig aufwendigem Grabbau könnte als Kenotaph (kultische oder rituelle Bestattung ohne Leichnam) gedeutet werden.

Möglich wäre auch die Deutung der Grube als kleines Totenhaus, das für mehrere zeitlich aufeinander folgende Bestattungen gedacht war. Später, vielleicht zum Zeitpunkt der ersten Nachbestattung, wurde es dann beräumt (Abbildung 8). Hier bleibt die weitere Auswertung abzuwarten. Natürlich ist die strikte Trennung der beiden Erklärungsversuche nicht möglich. Die obertägige Markierung eines Ortes erfolgt ja in der Regel aufgrund der Bedeutung, die ihm die Menschen zumessen.

Den späteren Bewohnern mag der ursprüngliche Sinn nicht mehr bewusst gewesen sein. Sie haben den Ort nun mit eigenen Vorstellungen verbunden. So zeigt der Befund von Zangenberg exemplarisch die Vielschichtigkeit der Beschäftigung und des Umganges mit dem Tod in den vorgeschichtlichen Kulturen. Er zeigt aber auch deutlich die Grenzen der Archäologie. Denn die geistigen Vorstellungen und die Gedankenwelt der damaligen Menschen lassen sich im archäologischen Befund kaum fassen.


Text: Holger Trimpert
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

Zum Seitenanfang