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Fund des Monats

Juli 2003: Falknerei im mittelalterlichen Stendal

Keramik, Glas, Metall, Knochen, evtl. Reste von Hölzern, Früchten, Stroh, Leder und Gewebe – das sind so die gängigen Funde, die der Archäologe aus mittelalterlichen Siedlungsschichten zutage fördert. Was nun im Einzelnen gefunden wurde, stellt sich allerdings erst nach eingehender Sichtung sämtlicher Funde heraus. Das war auch bei den 1996 in Stendal im Bereich Uppstall durchgeführten Ausgrabungen nicht anders. Und doch gab es hier, als die Knochenfunde routinemäßig durchgemustert wurden, eine kleine Überraschung: Neben dem üblichen Küchenabfall, der vor allem aus Haustierknochen, einschließlich Geflügel, bestand, fanden sich Reste gleich mehrerer Greifvogelarten. – Doch der Reihe nach. Wie sah es hier im Mittelalter überhaupt aus? Und welche neuen Erkenntnisse konnte die Ausgrabung insgesamt beisteuern?

Der Uppstall liegt zwischen dem im 15. Jahrhundert im gotischen Stil neu entstandenen Stadtzentrum der Hansestadt Stendal und dem Stadtteil Altes Dorf. Das Alte Dorf gilt als das 1022 in den Besitzungen des Hildesheimer Michaelisklosters erwähnte Dorf ›Steinedal‹. Daraus erwuchs zusammen mit einigen weiteren Dörfern nach einem Markgründungsprivileg von 1160 die Hansestadt Stendal. Der Name Uppstall ist 1286 urkundlich belegt und bezeichnet jenes Gelände, das sich südlich der Pfarrkirche des Alten Dorfes befindet.
Hier trat ein in seiner Grundstruktur komplett erhaltener Holzverschlag von vier Meter mal zwei Meter zutage. Seine Längsseiten waren aus vertikalen und seine Schmalseiten aus horizontalen Bohlen errichtet, die einen circa einem Meter in den Boden eingetieften Raum umschlossen. Hier fanden sich über 250 Daubenschalen, und zwar konzentriert in einer Ecke, teilweise noch ineinander gestapelt (Abbildung 1).
Sie waren offensichtlich mitsamt einer Bohlendecke im östlichen Teil des Verschlages nach unten gestürzt, als diese einbrach. Zwischen den Schalen zeigte sich eine auffällige Konzentration von Steinobstkernen, Eierschalen und Chitinhüllen von Insektenpuppen, unter den Schalen lag ein komplett erhaltener Kugeltopf des 12. und 13. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu dieser interessanten Fundkonzentration war der übrige Bereich mit dem üblichen Siedlungsabfall angefüllt, darunter auch Tierknochen.

Anhand der Tierknochen lassen sich nahezu alle Haustiere nachweisen, die damals wirtschaftlich relevant waren, auch Hunde, Katzen sowie Hühner, Gänse, Enten und sogar Tauben. Wildtiere scheinen dagegen in den Funden überhaupt nicht vertreten zu sein, abgesehen von den bereits erwähnten Greif- und Rabenvögeln. Nachgewiesen werden konnten Habicht, Sperber und Wanderfalke, außerdem Kolkrabe, Aaskrähe (Abbildung 2) und Dohle.
Tierknochen, die in derartigen Fundzusammenhängen zutage treten, werden im Allgemeinen als Siedlungsabfall angesehen. Auf die hier gefundenen Haustierknochen trifft das gewiss zu, denn der größte Teil dürfte wohl bei der Schlachtung angefallen sein. Die Herkunft der Greif- und Rabenvögel muss jedoch anders erklärt werden, da sie sicher nicht zum Verzehr bestimmt waren. Bliebe die Erklärung, dass man sie als Nahrungskonkurrenten betrachtet und einfach abgeschossen hat. Dagegen spricht aber die Beobachtung, dass sich diese Funde gerade auf denjenigen Bereich innerhalb des Holzgebäudes konzentrierten, wo die verstürzten Daubenschalen lagen. Dies bedeutet, dass die Vögel alle zur selben Zeit und zusammen mit den Daubenschalen hier zu liegen kamen. Ist aber ein derartiger Jagderfolg binnen so kurzer Zeit nicht doch eher unwahrscheinlich? Schließlich handelt es sich um äußerst wachsame und vorsichtige Vögel.

Hier drängt sich der Gedanke auf, dass es sich bei den Greifvogelknochen eher um Skelettreste von Beizvögeln handelt, das heißt um speziell für die Jagd auf Vögel und Säugetiere abgerichtete Greifvögel. Bestärkt wird man in dieser Ansicht durch die Tatsache, dass es sich bei allen drei Greifvogelarten jeweils um weibliche Tiere handelt. Bekanntlich sind die Weibchen von Habicht, Sperber und Wanderfalke durchschnittlich um circa ein Drittel größer als die Männchen und um die Hälfte schwerer. Sperberweibchen können sogar doppelt so schwer werden wie die -männchen. Die kräftigeren Weibchen sind somit in der Lage, größere Beutetiere zu schlagen. Daher wurden sie bevorzugt zur Beizjagd verwendet, was durch archäologische Quellen mehrfach belegt ist.

Die Falknerei, wie man die Beizjagd, die Abrichtung von Greifvögeln und den Umgang mit Beizvögeln auch nennt, war im Hochmittelalter in Mitteleuropa weit verbreitet. Sie diente besonders beim Adel kaum der Erlangung von Wildbret, um die Speisekarte zu bereichern, sondern vielmehr sportlichen Zwecken. Die Jagd mit Falken, Habichten und Sperbern war in erster Linie ein gesellschaftliches Ereignis, an dem auch Frauen teilnahmen (Abbildung 3).

Einer der bekanntesten Falkner war Kaiser Friedrich II. In seinem Buch ›Über die Kunst, mit Vögeln zu jagen‹ fasste er seine Erfahrungen im Umgang mit diesen Vögeln zusammen. Wertvolle Darstellungen zeigen unter anderem den Falkner mit seinen Gehilfen bei der Arbeit mit den Beizvögeln (Abbildung 4). Friedrich II. besaß über hundert Vögel, die er sich aus ganz Europa in seine Falknerei bringen ließ.

Die für Uppstall nachgewiesenen drei Greifvogelarten gehörten schon damals zu den beliebtesten Beizvögeln. Auch heute werden vor allem Habichte und Wanderfalken zur Beizjagd verwendet. Während mit dem Habicht (Abbildung 5) vor allem Hasen gebeizt werden, wird der Sperber (Abbildung 6) in erster Linie zur Jagd auf Vögel bis zu Taubengröße verwendet.
Bedingt durch seine spezielle Jagdtechnik, kann der Wanderfalke (Abbildung 7) nur Vögel im Fluge erbeuten. Seine Schnelligkeit und Wendigkeit erlaubt es ihm, selbst Vögel zu überwältigen, die erheblich größer und schwerer sind als er selbst. So wurden mit Wanderfalken sogar Reiher und Kraniche erfolgreich gebeizt.
Alle drei in Uppstall nachgewiesenen Greifvogelarten dürften damals in der näheren Umgebung Stendals vorgekommen sein und dort auch gebrütet haben. Mit Ausnahme des Wanderfalken gilt Letzteres auch heute noch.

Der Grabungsbefund gibt keine befriedigende Antwort, ob die Vögel in dem Holzverschlag untergebracht waren, etwa so wie heutzutage Beizvögel auf Falkenhöfen: in einem Unterstand, der Schutz vor Wind und Regen bietet, einzeln an Lederriemen gefesselt oder an einer längeren Flugleine. Möglicherweise kamen diese Vögel durch ein plötzliches Ereignis zu Tode. Das lässt sich zwar im Einzelnen nicht rekonstruieren, Tatsache ist aber, dass die Skelettreste der Vögel in unmittelbarer Nähe der 250 Daubenschalen gefunden wurden. Die hölzernen Schalen waren wohl für den Handel bestimmt. Ebenso ist durchaus damit zu rechnen, dass Greifvögel im 12. Und 13. Jahrhundert in bestimmten Kreisen eine nicht unbedeutende Handelsware darstellten.


Text: Hans-Jürgen Döhle, Brigitta Kunz
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

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