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Fund des Monats

Dezember 2005: D wie Dora

Neues aus dem Hause Luder

Über die Ausgrabungsgeschichte der ›Luthergrube‹ in Mansfeld ist schon verschiedentlich berichtet worden. Im Herbst 2003 konnte in Anschluss an eine Bau begleitende Maßnahme am Elternhaus Martin Luthers ein Sondageschnitt angelegt werden, der zu ganz überraschenden Ergebnissen führte. Die Lage des lutherschen Elternhauses war in Mansfeld über die Jahrhunderte immer bekannt. Dem Bericht eines Bürgermeisters des frühen 19. Jahrhunderts zu Folge, ist das eigentliche Wohnhaus bereits 1805/06 abgerissen worden. Dieses hatte Hans Luder, der Vater Martin Luthers, circa 1490 gekauft. Im Untergrund der im 19. Jahrhundert entstandenen Baulücke zwischen den heutigen Gebäuden Lutherstraße 24 und 26 besteht noch heute ein gut erhaltener Gewölbekeller, der einst zum Wohnhaus der Luthers gehörte. Das noch heute existierende ›Lutherhaus‹ war erst 1530, im Todesjahr Hans Luders, fertig gestellt worden.

Der Befund erwies sich als ausgesprochen schwer zu interpretieren. Seine Verfüllung bestand aus humosem, stark mit Holzasche durchsetztem Material. Eine unter der rechteckigen ›Grube‹ in den Lehm gestochene Treppe führte letztlich zu der Interpretation, dass es sich bei dem Befund primär um einen Treppenzugang handelte, der in die Baugrube des bereits erwähnten Gewölbekellers führte. Der Abfall gelangte demnach sekundär als Füllmaterial in den Schacht.

Das Sediment war mit Funden geradezu gesättigt. Insgesamt liegen die Fragmente von mehreren hundert Gefäßen vor, die nach Untersuchungen von Professor Hans-Georg Stephan aus der Zeit um 1500 stammen. Einige tausend Tierknochen gewähren einen geradezu intimen Einblick in die Ernährungsgewohnheiten des Haushaltes. Neben über 260 Silbermünzen sind vor allem die rund 300 Trachtbestandteile, darunter Beschläge, Heftnadeln, Nesteln, von herausragender Bedeutung (Abbildung 1). Die Beschläge bestehen in der Regel aus Messingblech und weisen eine höchst vielfältige Ornamentik auf. Sie sind häufig mit Nietstiften versehen, die darauf hindeuten, dass sie einst auf Leder oder ähnliche Materialien geheftet waren.

Der wohl bedeutendste Fund stammt von der tiefsten Stelle des grubenartigen Befundes. Es handelt sich um einen Messingbeschlag mit anhängender halbmondförmiger Applikation (Abbildung 2). Mit einer Länge von 17,5 Zentimeter weist er eine beachtliche Größe auf. Auch er wurde mit Hilfe feiner Niete auf Leder geheftet, das in diesem Fall auch noch erhalten ist. Was auf den ersten Blick wie eine große Gürtelschnalle wirkt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als aufwändiger Zierbeschlag. Wo dieser angebracht war, lässt sich schwer erschließen. Da er aber einen hohen dekorativen Wert besitzt, ist es wahrscheinlich, dass es sich hier um den Endbeschlag eines reich geschmückten Gürtels handelt. Nicht nur seine Funktion, auch die Ornamentik gibt zunächst Rätsel auf. Der Hauptteil des Beschlags besteht nämlich aus einem Buchstaben. Dieser wurde von den Ausgräbern – wie soll es bei einer Grabung am Hause Luder auch anders sein – als ›gotisches Fraktur  - L‹ interpretiert. Wir werden sehen, was nun ein ›Schriftgelehrter‹ dazu meint.

Aus der Textur und Rotunda, die gängigen Drucktypen des 15. Jahrhunderts, entwickelte sich die spätere Fraktur. Für die Typographie-Interessierten hier eine kurze Zusammenfassung:

Es ist kein großes L, sondern ein kleines D. Die ›Schriftart‹ nennt sich Textur, und nicht Fraktur. ›Gotische‹ Fraktur gibt es überhaupt nicht - denn die Fraktur entwickelte sich erst in der Renaissance aus Textur und Rotunda.  Nicht aus der Fraktur, die gab es damals noch nicht (Abbildung 3).

Das ornamentale Titelblatt zu ›Ars moriendi‹ (›Die Kunst zu sterben‹) wurde von dem Buchkünstler Jean Douvet zu Lyon 1496 herausgebracht. Es zeigt eine Texturschrift, bei der die Zeichen in ihrer Windstoßfaltung ganz ähnlich ausgebildet werden wie bei dem Mansfelder Zierbeschlag. Selbst die Nietungen in den Schriftbalken erinnern an unseren Beschlag. Es entstehen unweigerlich Assoziationen an gebogene und gefaltete, am Rande profilierte Metallbänder. Man beachte auch die Ausprägung des kleinen D in ›Ars moriendi‹. Drucke wie die des Douvet von Lyon fanden eine weite Verbreitung. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass dieses Blatt bei der Gestaltung des ›Luder-d‹  Pate gestanden hat.

Nachdem nun sicher ist, dass wir es bei unserem Buchstaben mit einem ›d‹  - nicht mit einem ›L‹ – zu tun haben, drängt sich natürlich die Frage auf, wie er zu interpretieren ist. Bei der Betrachtung von Gemälden des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit fällt es gelegentlich auf, dass an der Kleidung dargestellter Personen Buchstaben angebracht sind. Bei Geistlichen handelt es sich zumeist um Kombinationen, die ein Kürzel oder einen Sinnspruch religiösen Inhalts ergeben. Interessanter sind in unserem Zusammenhang die Portraits ›bürgerlicher‹ Personen, speziell solche, die anlässlich einer Heirat angefertigt wurden. Recht bekannt ist ein Gemälde Albrecht Dürers, auf dem die Nürnberger Patrizierin Elsbeth Tucher dargestellt ist (Abbildung 4). Auf der Brust trägt sie eine Spange, auf der unschwer die Buchstaben ›NT‹ zu erkennen sind. Diese stehen für Niklas Tucher, ihren Ehemann. Demnach war es damals Brauch, die Initialen des Ehepartners – gelegentlich wohl auch beide Kürzel -  auf dem Festkleid zu tragen. Sollte es sich bei dem ›d‹ um eine solche Initiale handeln?

Es drängt sich nun förmlich die Frage auf: Gab es im Haushalt Luder eine Person, deren Name mit einem ›D‹ begann?

Diese Frage kann eindeutig mit einem Ja beantwortet werden: Dorothea Luder (gestorben 1520), jüngere Schwester Martin Luthers, verheiratet mit Paul Mackenrodt.

Ob man nun unseren Beschlag in diese Richtung ausdeuten möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Reizvoll ist ein solcher Ansatz allemal.


Text: Björn Schlenker, Christian-Heinrich Wunderlich
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

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