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Fund des Monats

Oktober 2005: Nur ein Eisenhelm blieb zurück

Während der archäologischen Ausgrabungen im Zusammenhang mit dem Ausbau der Bundesstraße 6 im Landkreis Quedlinburg wurde neben anderen Fundorten auch die mittelalterliche Wüstung Marsleben untersucht. Der Im Jahr 780 erstmals erwähnte Ort wuchs nach Ausweis der schriftlichen Quellen und der archäologischen Befunde bis ins 14. Jahrhundert stetig an. Um 1400 wurde die Siedlung dann aus bisher ungeklärten Ursachen aufgegeben.

Insbesondere aus den über 60 untersuchten Steinkellern konnten reichhaltige und vielfältige Funde unterschiedlicher Bereiche des mittelalterlichen Alltagslebens geborgen werden. In einem mehrfach umgebauten, vermutlich durch einen Brand zerstörten und teilweise eingestürzten Keller wurden die Ausgräber auf ein ungewöhnlich großes Eisenobjekt aufmerksam (Abbildungen 1 bis 4). Da Metall im Mittelalter kostbar war und in der Regel immer wieder ›recycelt‹ wurde, kommen größere mittelalterliche Eisengegenstände nicht sonderlich häufig bei Ausgrabungen zum Vorschein. Der unmittelbar auf dem ehemaligen Kellerboden aufliegende halbrunde Fund wurde daher sorgfältig frei präpariert, um ihn möglichst unbeschädigt und komplett bergen zu können (Abbildung 5).

Zunächst war nicht ganz klar, um was es sich bei dem aufgrund der starken Korrosion nicht einwandfrei identifizierbaren Gegenstand handeln könnte. Die Form ähnelte einem bestimmten Typus mittelalterlicher Helme, die aber extrem selten als archäologische Bodenfunde auftreten. Oder handelte es sich vielleicht nur um einen eisernen Kessel? Gewissheit brachte eine Computertomographie, die verschiedene Details der Konstruktion deutlich erkennen ließ und alle Zweifel an der Identifizierung des Objektes als mittelalterlichem Eisenhelm beseitigte.

Es handelt sich um einen sogenannten ›Eisenhut‹, eine Helmform, die im Mittelalter ab dem 13. Jahrhundert sehr gebräuchlich war und in der frühen Neuzeit zu verschiedenen anderen Helmtypen weiterentwickelt wurde. An einer rundlichen Glocke ist eine eiserne Krempe befestigt, über die Mitte des Helmes verläuft ein breites Eisenband, das mittig einen aufgetriebenen Grat zeigt. Dieses Konstruktionsprinzip ist bereits auf mittelalterlichen Abbildungen des 13. Jahrhunderts detailliert dargestellt. Der ›Eisenhut‹ war ein Kopfschutz vor allem einfacher Fußkämpfer und sicherlich erheblich günstiger zu erwerben als aufwendiger konstruierte Helme. Solche ›Eisenhüte‹ waren daher zwar weniger statusträchtig als die ›klassischen‹ Ritterhelme, sie boten aber ausreichenden Schutz gegen Schläge und Beschuss von oben und hatten gegenüber den geschlossenen Helmformen den enormen Vorteil, die Atmung des Kämpfers nicht zu behindern. Um die ›Eisenhüte‹ bequemer tragen zu können und um die Einwirkung der gegnerischen Waffen abzudämpfen, hatten sie unter dem eisernen Äußeren ein Innenfutter aus organischen Materialien wie Leder, Wolle oder Flechtwerk. Auch bei unserem Helm haben sich im Inneren Spuren organischen Materiales erhalten, die bei weiteren Untersuchungen wichtige Informationen über die Konstruktion mittelalterlicher Helme liefern können.              

Unser Wissen über diese Helme beruht bisher hauptsächlich auf den spärlichen schriftlichen Quellen und zeitgenössischen Abbildungen, da reale ›Eisenhüte‹ nur sehr selten in Waffensammlungen und Rüstkammern die Jahrhunderte überdauerten. Archäologische Funde dieser Art sind ebenfalls außerordentlich rar; so ist der ›Eisenhut‹ von Marsleben erst der zweite Bodenfund dieser Art in Deutschland (der erste wurde in den siebziger Jahren auf der Burg Wilnsdorf in Nordrhein-Westfalen entdeckt. s. Walter Bauer: Grabungen und Funde in der Burg zu Wilnsdorf [Kreis Siegen], in: Dietrich Ellger [Hrsg.]: Beiträge zur archäologischen Burgenforschung und zur Keramik des Mittelalters in Westfalen 1; Denkmalpflege und Forschung in Westfalen 2 (Bonn 1979) 153-178).

Unser Fund wird daher das Wissen um diese verbreitete Gattung mittelalterlicher Rüstung erheblich erweitern. Die Fundumstände in einer Brandschicht auf einem Kellerfußboden verleiten auch zu interessanten Spekulationen über die Umstände der Zerstörung des Hauses, in dessen Ruinen der Fund lag. Könnte es sein, dass der Helm mit Kampfhandlungen in der letzten Phase der Besiedlung des Ortes Marsleben in Zusammenhang steht? Diese Problematik wird sich allerdings erst nach weiterer intensiver Auswertung der zahlreichen Funde und Befunde der Großgrabung an der B 6n umfassend diskutieren lassen. Wie so oft in der archäologischen Forschung wirft also die Beantwortung einer Frage gleich neue Fragestellungen auf. Schritt für Schritt wird unser Bild der Vergangenheit damit komplexer und nuancenreicher.

Der ›Eisenhut‹ wurde im Block geborgen und in die Restaurierungswerkstatt des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt eingeliefert (Abbildung 6). Für die Restaurierung sind die computertomo- graphischen Bilder eine wichtige Hilfe, denn die Form und der Erhaltungszustand des Helmes sind auf ihnen gut erkennbar. So handelt es sich zum Beispiel bei den im Bild schwarzen Partien um Fehlstellen des Grundmaterials Eisen. Nur noch Korrosion hält den Helm an diesen Stellen zusammen.

Das Innere des Helmes war mit Erde verfüllt. Diese wurde vorsichtig unter ständiger Beobachtung herausgenommen, denn es hätten sich darin Fremdmaterialien, wie zum Beispiel Keramik, Knochen oder organisches Material befinden können. Am Boden angekommen ließ sich tatsächlich etwas Besonderes feststellen: an einigen Partien befinden sich mineralisierte Fasern, die gesichert werden mussten (Abbildung 7).

Da kein systematischer Verbund vorliegt, scheint es sich nicht um Textilfasern, sondern eher um Lederfasern oder Filz zu handeln. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen; das Material konnte bisher noch nicht mit letzter Sicherheit identifiziert werden.

Die Freilegung der Außenseite erwies sich als sehr schwierig. Zu starke Erschütterungen bei der Reinigung hätten zusätzliche Beschädigungen des Helmes hervorrufen können. Es musste also ein schonendes Freilegungsverfahren gewählt werden. Die Eisenkorrosionsprodukte sind sehr dicht und hart wie Stein. Sie sind fest mit der Objektoberfläche verbunden. Nur durch ein schichtweises Abschleifen können sie relativ erschütterungsfrei heruntergearbeitet werden (Abbildung 8).

Da kein systematischer Verbund vorliegt, scheint es sich nicht um Textilfasern, sondern eher um Lederfasern oder Filz zu handeln. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen; das Material konnte bisher noch nicht mit letzter Sicherheit identifiziert werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass zwei Keramikscherben in diese Korrosion eingebettet sind und gesichert werden müssen. Die Arbeitsschritte der Freilegung sind langwierig, lohnen sich aber, wie jetzt schon am Zwischenzustandsfoto zu erkennen ist (Abbildung 9).


Text: Volker Demuth, Friederike Hertel
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

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