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Fund des Monats

November 2007: Steinkiste und Rind

Eine nicht alltägliche Bestattung

Am Nordrand einer Porphyrkuppe zwischen Brachwitz und Gimritz im Saalkreis, in deren Umfeld mehrere schnurkeramische Bestattungen gefunden werden konnten, wurde eine kleine Steinkiste angetroffen (Abbildung 1). Sie besaß keine Deckplatte und war lediglich 70 Zentimeter lang und 40 Zentimeter breit. Erwartet wurde eine Kinderbestattung. Doch der weitere Grabungsverlauf erbrachte ein völlig anderes Ergebnis. Beim systematischen Ausnehmen der Steinkistenfüllung konnte kein menschliches Skelett entdeckt werden, auch Beigaben fehlten völlig! Sollte es sich um ein Kenotaph, ein sogenanntes »Scheingrab« handeln? Auch dieser Interpretationsansatz barg noch nicht des Rätsels Lösung.

Da die Steinkiste in den humosen Oberboden gesetzt war, sollte geklärt werden, ob die Kiste ursprünglich Bestandteil einer größeren Grabgrube war. Bei diesem Arbeitsschritt zeigten sich nördlich und südlich der Steinkiste tierische Knochen (Abbildung 2). Bald stellte sich heraus, dass sie zu einem vollständigen Rinderskelett gehören. Trotz der schlechten Knochenerhaltung deuten die relativ schlanken Extremitäten-Knochen auf ein weibliches Tier, und zwar im Alter zwischen vier und fünf Jahren. Es lag auf der rechten Körperseite, der Kopf wies in Richtung Süden. Die Vorderbeine waren stark, die Hinterbeine leicht gewinkelt, wobei der linke Lauf jeweils auf dem rechten lag.

Dieses Befundbild gestattet folgende Rekonstruktion: Zuerst wurde eine Grabgrube geschachtet und darin das Rind niedergelegt (Abbildung 3). In direktem zeitlichem Anschluss wurde die Steinkiste exakt zwischen Vorder- und Hinterlauf des Rindes (Abbildungen 4 und 5) so platziert, dass die Platten der westlichen Schmalwand über den unteren Rippenenden des Tieres standen.

Die Knochenerhaltung des Rindes gibt einen wichtigen Hinweis für die Gesamtinterpretation des Befundes: Alle Knochen waren mürbe, beim Freilegen platzte die Knochensubstanz schichtweise ab. Insbesondere die Extremitäten-Knochen und Rippen zerfielen in mehrere Einzelteile. Manche der noch grabungsfeuchten Knochen ließen sich zwischen den Fingern zerreiben, sie bildeten dann eine breiige Masse. All dies lässt darauf schließen, dass die ungleich weniger fest ausgebildeten Knochen eines Kleinkindes in diesem Bodenmilieu nicht überdauern konnten.

Zumindest ist schwer vorstellbar, dass die Steinkiste um ihrer selbst willen angelegt worden sein soll. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Kind und Rind gemeinsam bestattet wurden, wobei dem Kind besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde. Dies zeigt sich weniger in der steinernen Grabarchitektur als viel mehr an dem für das Kind geopferten Rind. Dass es sich hierbei tatsächlich um ein Opfer gehandelt hat, wird an der großen wirtschaftlichen Bedeutung und vielfältigen Verwendbarkeit des Rindes deutlich: Die Kuh hätte noch viele Jahre Milch geben können.

Dieses Grabensemble ist unseres Wissens für das ausgehende Neolithikum in Mitteldeutschland bisher einzigartig. Über den kultisch-religiösen Hintergrund der Bestattungshandlung lässt sich anhand der Steinkistenposition begründet spekulieren. Es fällt auf, dass die Steinkiste jene Körperstelle berührt, an der sich Gebärmutter und Euter befinden - zwei Körperteile, die für Geburt und kindgerechte Nahrung stehen. Wir finden in dieser Bestattungshandlung den Kreislauf von Werden und Vergehen, von Leben und Tod, vom Geborenwerden und vom Sterben symbolisch verdichtet wieder. Ein außergewöhnlicher Mosaikstein aus der grabrituellen Vorstellungswelt des Jungsteinzeitmenschen ist mit dieser Bestattung konkret fassbar geworden.


Text: Helge Jarecki, Hans-Jürgen Döhle
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

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