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Fund des Monats

Dezember 2008: Ein reich ausgestattetes Kindergrab der älteren Merowingerzeit

Beim Straßenbau an der Bundesstraße 180 bei Kleinjena zwischen Naumburg und Freyburg wurden auf circa 6000 Quadratmeter archäologische Untersuchungen durchgeführt. Dabei kamen zahlreiche Gräber zutage, unter denen ein Kindergrab der älteren Merowingerzeit wegen seiner reichen und seltenen Ausstattung besonders auffiel.
Die fast kastenförmige Grabgrube war über 0,70 Meter in den anstehenden Boden eingetieft worden. Leider war die Knochenerhaltung im Grab nicht gut. Trotzdem konnte das Alter des in ihm beigesetzten Individuums bestimmt werden. Das etwa vierjährige Kind wurde in reicher Tracht und zusätzlichen Beigaben beerdigt (Abbildung 1).

Anhand dieser wurde das Grab in die frühe Merowingerzeit datiert (etwa zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts). Seine West-Ost-Orientierung spricht gleichfalls dafür. Die Ausrichtung der Toten spiegelt unterschiedliche Glaubensvorstellungen wider. So setzte sich die Ausrichtung West-Ost mit Blick nach Osten unter dem Einfluss des Christentums durch. Dies sollte jedoch nicht gleichzeitig ein sicheres Indiz für den christlichen Glauben sein.
Neben Schmuckstücken und Trachtbestandteilen befanden sich drei Gefäße mit im Grab, welche typisch für die späte Völkerwanderungszeit sind. Neben einer Flasche und einer verzierten Schale ist dies auch eine Rippenschale (Abbildung 2).

Es sind die unverwechselbaren Züge der Keramik der Thüringer, einem Großstamm, der in dieser Zeit auch das Untersuchungsgebiet besiedelt. Die Thüringer gründeten nach Abzug der Hunnen 452 nach Christus ein eigenes Königreich und wurden im zweiten Drittel des 6. Jahrhunderts von den Franken besiegt.

Kindergräber sind gegenüber denen Erwachsener immer unterrepräsentiert. Einerseits ist dies sicher auf die Erhaltungsbedingungen, andererseits aber auf die andere Behandlung verstorbener Kinder zurückzuführen. Die reiche Ausstattung des Kindes ist jedoch nicht ungewöhnlich. Eine Sonderbehandlung kann auf vielen Gräberfeldern beobachtet werden. Nach den Beigaben zu urteilen wurde dieses Kind in der Tracht einer Frau bestattet. So verschlossen kleine Fibeln, wie die Vogelfibel (Abbildung 3) im Grab einen umhangartigen Mantel, der von den Frauen über einer Tunika getragen wurde. Neben dieser wurden noch zwei andere bronzene Kleinfibeln geborgen, eine weitere Scheibenfibel und eine S-Fibel (Abbildung 4).

Fingerringe aus Bronze und diverse Glasperlen repräsentieren noch weitere Schmuckstücke. Die Glasperlen gehörten ursprünglich wohl zu einer Kette, waren aber durch Tiergangstörungen im gesamten Grab verteilt. Ein kleiner Muschelanhänger könnte ebenfalls Bestandteil dieser Kette gewesen sein.
Eine Besonderheit im Frühmittelalter sind die Gürtelgehänge der Frauen. Jene trugen anfangs verschiedene Utensilien an einem Gehänge meist in der Mitte des Körpers und später dann an ihrer linken Körperseite bei sich, unter anderem Toilettenartikel. Im Kindergrab fanden sich diese gleichfalls, allerdings rechts und zu Füßen des Kindes. Die Glieder einer groben Eisenkette fanden sich jedoch auf der linken Körperseite, etwa im Bereich des Beckens.

Aufgrund der dichten Lage des Fundensembles kann angenommen werden, dass die Gegenstände zusammen am Gürtel befestigt waren. Von diesem ist die Gürtelschnalle erhalten. Eine weitere Schnalle fand sich in der erwähnten Fundkonzentration. Dicht beieinander lagen eine Pinzette aus Bronze mit einer Öse zum Befestigen (Abbildung 5), ein Knochenkamm mit einer Verzierung aus Punktkreisaugen (Abbildung 6) und ein dünnwandiges Gebilde, welches etwa die Größe von einem Hühnerei hat und ebenfalls mit einem Bronzering zum Befestigen versehen ist.

Zur Überraschung stellte sich bei der Restaurierung des Fundstückes heraus, dass es sich um eine Kaurischnecke handelt (Abbildungen 7 und 8).

Kaurischnecken

Das Ursprungsgebiet dieses Salzwasserbewohners liegt im Indischen und Pazifischen Ozean, genauer vor der Ostküste Afrikas bis Hawaii. Wegen ihres glatten, sehr festen, porzellanartigen und glänzenden Gehäuses werden sie auch Porzellanschnecken (Cypraeidae) genannt. Dabei verdankt das Porzellan seinen Namen der Porzellanschnecke und nicht umgekehrt, da man dachte, Porzellan würde aus zermahlenen Cypraeaschalen hergestellt.

Die Familie der Porzellanschnecken (Cypraeidae) umfasst etwa 160 Arten die im Durchschnitt eine Größe von zwei bis acht Zentimeter erreichen. Einige Arten können auch bis zu 20 Zentimeter groß werden. Die bekanntesten Arten sind cypraea moneta und cypraea annulus, die als Kaurimuscheln bekannt sind und vor allem in Afrika als Kaurigeld verwendet  wurden (siehe unten). Diese beiden sind mit 1,5 bis 3,5 Zentimeter Länge viel kleiner, als ihre größeren bekannten Verwandten, die »cypraea tigris« (Tigerschnecke) und die »cypraea pantherina« (Pantherschnecke), die circa sechs bis neun Zentimeter lang sind.
Die beiden letzteren werden häufig verwechselt, weisen jedoch Unterschiede auf.
Die Tigerschnecke ist eiförmig mit verdickten Seiten und erlangt eine Größe von sieben bis neun Zentimeter.
Ihr Rücke und die Seiten haben eine weiße bis bräunliche Farbe und zeigen schwarze, braune oder bläuliche Tropfen, die ineinander verfließen können. Die Unterseite ist rein weiß. Die Mündung weist zu beiden Seiten kleine Zähne auf. Die Pantherschnecke hingegen wird nur sechs bis acht Zentimeter groß und ist mehr birnenförmig gestreckt. Die Zähne sind feiner und zahlreicher. Die Seiten fallen steiler ab und weisen statt den schwarzen orangerote Flecken auf.

Das Tier selbst sieht ganz anders aus, als das leere Gehäuse. Die Schnecke hat einen Mantel, mit dem sie das Haus fast vollständig bedeckt. An dem Gehäuse kann man bei den meisten Arten einer Längslinie erkenne, die anzeigt wie weit der Mantel des lebendigen Tieres reichte. Der Mantel ist außen meist mit stachelartigen Auswüchsen (Papillen, Tuberkeln) oder Warzen besetzt. Am Kopfteil ragen nicht nur die Fühler mit den Augen, sondern auch die Atemröhre hervor, wo sich auch die Kiemen befinden. Der Schutzmantel um das Gehäuse sondert den Kalk ab, der die glänzende Emailschicht bildet. Die Flecken auf der Oberfläche des Hauses entstehen durch die Papillen auf dem Mantel. Die Schnecke wächst durch neue Windungen ihres Gehäuses und erst durch die Entwicklungsstadien hindurch entsteht die charakteristische Form und Farbe eines Cypraeagehäuses. Der Lebensraum der Porzellanschnecke ist zumeist das Korallenriff, in allen Meeren, wo die Wassertemperatur mindestens 18 Grad Celsius beträgt.
Die Kaurischnecke aus dem Kleinjenaer Grab gehört mit etwa fünf Zentimeter Länge zu den größeren Arten. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um eine cypraea pantherina, also eine Pantherschnecke, da die Schnecke zum einen kleiner ist, als eine Tigerschenke es sein müsste und zum zweiten, weil sie leicht birnenförmig ist und etwas flachere Seitenwände aufweißt. Dies sind typische Merkmale der Pantherschnecke. Die Art kommt im Roten Meer oder am Golf von Aden vor. Im Mittelmeer gibt es nur die kleineren Arten.

Zur Kulturgeschichte der Kaurischnecke

Kaurischnecken sind hauptsächlich in ihrer Eigenschaft als Zahlungsmittel bekannt geworden. Muschelgeld hatte in ganz Ozeanien und Australien, vor allem in Melanesien und Neuguinea eine sehr hohe Bedeutung. Diese ging noch über seinen Wert als Tauschmittel hinaus, ließ die Funktion teils in den Hintergrund treten. Kaurimuschelgeld war vor allem in West- und Ostafrika beliebt, wohin es von den Malediven kam. Muschelgeld wurde noch bis weit in die Kolonialzeit verwendet. Funde belegen, dass es schon 1650 vor Christus in China als Zahlungsmittel zum Einsatz kam.
Aber auch als Schmuckelemente waren die Porzellanschneckenarten sowohl im Altertum bis in die heutige Zeit sehr beliebt. Um als Anhänger oder zum Auffädeln benutzt zu werden, wurden die Schnecken geöffnet, wie es auch bei jener aus dem Kindergrab von Kleinjena geschah. Sie fanden als Kettenanhänger, Pferde- und Kamelhalfterverzierung, an Schuhen und Gürtel angebracht, als Haarschmuck und in vielen anderen Variationen Verwendung.
Der Amulettcharakter wird auch durch Fundstücke aus prähistorischer Zeit deutlich. Häufig wurden der Schnecke magische Fähigkeiten zugesprochen. Kaurischnecken tauchen im archäologischen Fundgut Europas seit dem Paläolithikum auf. Im alten Ägypten ersetzten schon im letzten Drittel des 3. Jahrtausends Nachbildungen die echten Schnecken. Wunderschön ist etwa ein Gürtel mit goldenen Kaurischneckennachbildungen aus einem ägyptischen Grab der Prinzessin Si-Hator-Yunet in Lahun (Abbildung 10).

 

Als Grabbeigabe erscheinen die Schnecken in Europa nur im Zusammenhang mit reichen Beigabenensembles und kommen fast ausschließlich in Frauengräbern in Verbindung mit Gürtelgehängen vor. Auch im Kleinjenaer Grab war das Schneckengehäuse offenbar teil eines solchen Gehänges. Eine Ausnahme ist etwa ein junger Mann, in einem der eisenzeitlichen Fürstengräber vom Dürrnberg bei Hallein (Österreich), dem im 4. Jahrhundert vor Christus eine Kaurimuschel ins Grab gelegt wurde.
Ab Mitte des 6. Jahrhunderts bis etwa in die Zeit um 700 nach Christus ist die Grabbeigabe von Kaurischnecken in Europa zu beobachten (Abbildung 9).
Häufiger treten sie als Anhänger später auch in frühmittelalterlichen Gräbern auf. In den Gräbern Mitteldeutschlands stellen Kaurimuscheln eine ausgesprochene Seltenheit dar. Das Verbreitungsgebiet beschränkte sich eher auf Süd- und Südwestdeutschland. Das Vorkommen von Porzellanschnecken in Mitteleuropa ist ein wichtiger Beleg für Fernhandelskontakte bzw. die Einfuhr von Importgut. Aus ihrem Ursprungsgebiet am Roten Meer wurden sie vermutlich über die Mittelmeerländer verhandelt.
Es ist überliefert, dass im Altertum die Kaurischnecke wegen ihrer Form im Mittelmeerraum als Symbol für Fruchtbarkeit galt. Die Bauchseite der Porzellanschnecke mit dem Öffnungsspalt assoziierten die Menschen mit den weiblichen Geschlechtsorganen oder mit einem, von Lidern umschlossenen, Auge. Erstere Assoziation trägt dem Schneckengehäuse viele Aufgaben zu – Fruchtbarkeitsamulett, Liebesamulett (Rotes Meer), Zeichen der Jungfernschaft (Indien) oder als Zeichen der Mutterschaft (Japan). Durch den Vergleich mit einem Auge sollte das Gehäuse vor dem Bösen Blick schützen. In der Südsee und in Indonesien sind sie als Schmuck- und Amulettstücke weit verbreitetes und sehr beliebt (Abbildung 11).
Des Weiteren ist die Schnecke in ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet auch als Zeichen der Häuptlingswürde bzw. als Statussymbol bekannt, wie zum Beispiel auf den Fidji-Inseln. In Süditalien tragen teilweise heute noch junge Frauen solche Amulette gegen Unfruchtbarkeit und Geschlechtskrankheiten.


Text: Xandra Dalidowski, Christine Leßmann, Norma Literski
Online-Redaktion: Norma Literski, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

K. Banghard, Kaurischnecke. Hoops Reallexikon der germanischen Altertumskunde 16, 2000, 344-347.

M. Harris, Kulturanthropologie. Frankfurt/New York 1989.

W. Hirschberg (Hrsg) Neues Wörterbuch der Völkerkunde. Berlin 1988.

A. Lennartz, Die Meeresschnecke Cypraea als Amulett im Frühen Mittelalter. Bonner Jahrbuch 104, 2004, 163-232.

F. A. Schilder, Die ethnologische Bedeutung der Porzellanschnecken. Zeitschrift für Ethnologie 58, 1926, 313-327.

M. Schilder, Die Kaurischnecke. Die neue Brehmer-Bücherei – das Leben der Tiere und Pflanzen in Einzeldarstellungen, Leipzig 1952.

B. Schmidt, Die späte Völkerwanderungszeit in Mitteldeutschland. Veröff. Landesmus. Vorgeschichte 18, Halle 1961.

T. Voigt, Große Porzellanschneckenhäuser in vorgeschichtlichen Gräbern. Jahresschr. Mitteldt. Vorgeschichte 36, 1952, 177-183.

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