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Fund des Monats

Juni 2009: Geschmückt im frühen Tod

Slawische Bestattungen bei Teutschenthal

Seit Ende der 1990er Jahre fanden im Trassenbereich der nunmehr fertig gestellten Autobahn 38 Göttingen-Halle archäologische Untersuchungen statt. Die dabei auf teils bekannten, teils auch neu entdeckten Fundstellen zutage geförderten Funde erregten mehrfach das Interesse und Aufsehen von Fachkollegen sowie innerhalb der Bevölkerung. Im Umfeld des Autobahnneubaus wurden auch Zubringerstrecken ausgebaut oder neu angelegt. Durch solche Maßnahmen bot sich ebenfalls die Möglichkeit zu archäologischen Untersuchungen, die dann jedoch in kleinerem Maßstab durchgeführt wurden. Ein Projekt solcher Art bildeten die Untersuchungen am westlichen Ortsrand von Steuden (Landkreis Saalekreis), nahe Teutschenthal. Unter der Regie des Landesbetrieb Bau (LBB) Sachsen-Anhalt, Niederlassung Süd, wurde dort die L 177 als Ortsumgehung ausgebaut, deren Trasse teilweise entlang der Schafstädter Straße verläuft. Als südlich des Kreuzungsbereiches der L 177 und der K 2267 nach Dornstedt mehrere Körpergräber aufgedeckt wurden, veranlasste das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt archäologische Untersuchungen, die vom 28. Juli bis 04. September 2008 stattfanden.

Die Fundstelle lag nur wenige Meter südlich des Würdebaches, der von Westen kommend durch Steuden und weiter Richtung Teutschenthal fließt. Auf einer Fläche von circa 400 Quadratmeter deckte man mehrere West-Ost-orientierte Körpergräber auf, die sich nach Abbaggern der 50 bis 80 Zentimeter starken Humusauflage im Löss abzeichneten (Abbildung 1). Im Laufe der Untersuchung wurden schließlich insgesamt 30 in Reihen angelegte Gräber aufgedeckt, davon waren 29 Einzelgräber und eines ein Mehrfachgrab. Bei zwei Befunden wurden Überschneidungen von zwei nacheinander angelegten Gräbern festgestellt, die Gesamtanzahl der identifizierten Individuen betrug 30. Offensichtlich hatte man den westlichen Rand eines Friedhofsareals aufgedeckt, dass sich weiter Richtung Osten fortsetzt. Anhand der gefundenen Beigaben stellte sich heraus, dass es sich um einen slawischen Friedhof handelte. Dies ist in der Gegend nicht neu, denn bereits 1957 untersuchte H. Pieletzki nordöstlich von Steuden sechs Körpergräber (Hoffmann & Schmidt 1960, 338; Rempel 1966, 107).

Die Bestatteten lagen in gestreckter Rückenlage in länglichen bis rechteckigen Grabgruben, deren Ausrichtung zwischen 70 Grad und 100 Grad zu Nord variiert. Die teils sehr eng angelegten Grabgruben weisen darauf hin, dass viele der Leichname offensichtlich in Tücher eingewickelt waren. Hinweise auf Holzeinbauten, beziehungsweise Holzsärge konnten nur vereinzelt entdeckt werden. In einigen Gräbern (circa 23 Prozent) fand man jedoch verschiedene Arten von Steinsetzungen, die an bereits bekannte Befunde slawischer Friedhöfe erinnern (Rempel 1966, 15-16). Dabei verwendete man Muschelkalk, der in unmittelbarer Nähe im etwa fünf Kilometer entfernten Weidatal ansteht. Die Befunde 6 bis 10 bildeten im Südteil des Friedhofs eine geschlossene Gruppe solcher Steingräber (Abbildung 2).
Besonders sorgfältig gestaltete man den Grabeinbau der Bestattung in Befund 6. Dort wurde der Körper eines 8 bis 10-jährigen Kindes beinahe vollständig mit Muschelkalkplatten abgedeckt (Abbildung 3). Beim Freilegen entdeckte man mehrere Schmuckgegenstände, die das Kind am Körper trug. Dabei handelt es sich um einen Ring am Fingerring der rechten Hand sowie paarweise getragene Schläfenringe (Abbildung 4). Ein zwei Millimeter starker Bronzedraht formt einen Fingerring mit einem Durchmesser von gut zwei Zentimeter. Die beiden Schläfenringe bestehen aus Silberdraht, der an den Enden bandarmig verbreitert ist und jeweils eine S-förmige Schleife bildet. Die Silberdrähte sind circa 1,5 Millimeter stark und bis zu 1,5 beziehungsweise 1,7 Millimeter aufgebogen. Dieser Schläfenringtyp ist kennzeichnend für das 9./10. Jahrhundert und besonders häufig im thüringischen und sächsischen Raum anzutreffen (Hermann 1985, 303). Er bildet auf slawischen Friedhöfen die am häufigsten vertretene Fundgattung. Oft wurden diese Ringe paarweise, an einem Lederriemen oder Stoffband getragen (Rempel 1966, 50ff.). Bei den kleineren Exemplaren ist auch ein Ohrpiercing denkbar.

Im Beckenbereich der Bestattung Befund 6 fand man außerdem sechs Schneckengehäuse (Abbildung 4). Bei vier der Schnecken sind unmittelbar an der Gehäuseöffnung Bohrungen angebracht. Möglicherweise waren diese Schnecken an einer Schnur zu einer Kette aufgefädelt worden, und – der Lage im Beckenbereich des Kindes nach zu schließen – als Gürtelkette getragen worden. Denkbar ist aber auch die Aufbewahrung in einem Beutel, möglicherweise als Glücksbringer oder Ähnliches, zumal bei zwei Schnecken die feinen Gehäuseöffnungen beschädigt sind.
Auffällig regelmäßig war auch die steinerne Abdeckung bei Befund 8. Dort lagen auf einer Länge von etwa zwei Meter etwa 15 annähernd gleich große Kalksteine in einer Linie (Abbildung 5). Die Reihe war leicht nach links über der Körperachse versetzt, in der Grabgrube fanden sich vereinzelt weitere Kalksteine. Die Anordnung der Steine legt die Vermutung nahe, dass sie nur ein Bestandteil einer weiteren nicht mehr nachweisbaren Konstruktion waren. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang ein Holzeinbau, beziehungsweise die Abdeckung mit einem Totenbrett. , Auch in dem untersuchten Gräberfeld am Reidebach fand man in Befund 20184 »unverkohlte Reste eines Kiefernbrettchens«, die als Reste eines Totenbretts gedeutet werden (Vergleich Mattheußer 2003, 122).
Das Grab Befund 8 enthielt noch weitere Schmuckgegenstände, die der Tote bei der Bestattung noch am Körper trug (Abbildung 6). So steckte am Mittelfinger der rechten Hand ein bandförmiger Ring, der aus einem fast zwei Zentimeter breiten Bronzeblech gefertigt war. Die übereinander lappenden Enden sind spitz zulaufend. Die Schauseite des Rings ist blank; aus anderen Fundzusammenhängen ist dieser Typ jedoch auch mit Verzierungen bekannt (Hermann 1985, 305). An der linken Schläfe fand man schließlich den gleichen Ohrringtyp wie bei Befund 6 (Drahtstärke 1,5 Millimeter, Durchmesser maximal 1,7 Zentimeter). Die Gleichartigkeit der Schmuckbeigaben sowie die ähnliche Bestattungsweise und die Nähe der Gräber zueinander legen die Vermutung nahe, dass die beiden Personen in Beziehung zueinander standen.
Weitere Schmuckbeigaben fand man in dem Grab Befund 27 (Abbildung 7). Auch hier handelte es sich um das Grab eines Kindes, in diesem Fall war das Individuum etwa 4 bis 6 Jahre alt. An der rechten Schädelseite lag ein mehrteiliger Ohrringanhänger (Abbildung 8). Er besteht aus drei Anhängern aus Silberdraht und einer Glasperle. Jeweils vier Silberdrähte sind dabei zu einem rhombischen Körper verlötet, der in der Mitte durch einen kreuzförmig verlöteten Steg stabilisiert wird. Diese Form ist relativ ungewöhnlich und hat zumindest eine konstruktive Ähnlichkeit mit bestimmten Formen der sogenannten Blechbeeren (Rempel 1966, 57 sowie Tafel 36, 12 & 49, 11). Die übrigen Gräber des Friedhofs erbrachten keine weiteren Funde.
Trotz der geringen Anzahl der Gräber mit Beigaben wird die Tendenz deutlich, dass vor allem junge Frauen und Mädchen Schmuck trugen.

Bei den gefundenen Schneckengehäusen im Kindergrab Befund 6 handelt es sich höchstwahrscheinlich um die der Großen Turmschnecke (auch Märzenschnecke genannt) deren wissenschaftlicher Name Zebrina detrita(O.F. Müller, 1774) lautet.

Gehäuse von rezenten Exemplaren, die in der Gegend des Fundplatzes aufgesammelt worden, sind etwas größer und weisen noch die Namen gebende Färbung auf (Abbildung 9).
Die Zuordnung der Art ist etwas unsicher, weil die Gehäuse aus dem archäologischen Befund in Steuden völlig gebleicht sind. Eventuell könnte es sich um die Bergturmschnecke handeln, dann wären es aber extrem große Gehäuse Außerdem liegen sie mit circa 18 Millimeter Gehäusehöhe am mittleren Bereich der Schwankungsbreite von Zebrina detrita.Außerdem sprechen auch andere Gehäusemerkmale dafür.
Heutzutage ist Zebrina detrita in den Weinbergen und Muschelkalk-Hängen des Unstrut-Tales zu finden. Dies ist der für sie typische Lebensraum. Sie bevorzugt im Gegensatz zu vielen anderen Schneckenarten trockene Standorte mit viel Licht. Dort kommt sie reichlich vor. Besonders im Frühjahr lassen sich rasch größere Mengen der schön gestreiften Gehäuse  sammeln. Die große Turmschnecke ist in Frankreich, der Tschechoslowakei und Ungarn zu finden. Mitteldeutschland liegt an ihrer nördlichen Verbreitungsgrenze.
Der Fund von Steuden ist nicht der erste mit solch durchlochten Schneckengehäusen – bei Freyburg wurden in einem slawischen Grab 146 Gehäuse gefunden, die zum Teil schon durchbohrt waren, entdeckt. Man kann annehmen, dass die Gehäuse in der Nähe des Fundorts gesammelt wurden. Vielleicht hatte das Kind des Steudener Grabes die Schneckenhäuser selbst gesammelt und als kleine persönliche Kostbarkeit immer bei sich getragen. Bei der Bestattung wurden sie ihm dann mit in sein Grab gelegt.


Text: Dr. Silke Clasen (Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt), Ulrich Müller (Veitshöchheim)
Online-Redaktion: Norma Literski, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

J. Hermann, Die Slawen in Deutschland. Geschichte und Kultur der slawischen Stämme westlich von Oder und Neiße vom 6.-12. Jh. (Berlin 1985).

W. Hoffmann & B. Schmidt, Wichtige Fundmeldungen und Neuerwerbungen des Jahres 1957. Jahresschrift Halle Band 44, 1960, 338.

E. Mattheußer, Das slawische Gräberfeld am Reidebach. Ein weites Feld, Ausgrabungen im Gewerbegebiet Halle/Queis. Archäologie in Sachsen-Anhalt Sonderband 1 (Halle 2003), 119-128.

H. Rempel,  Reihengräberfriedhöfe des 8.-11. Jahrhunderts aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (Berlin 1966).

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