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Fund des Monats

März 2010: Beutejagd vor 200.000 Jahren

Anhand zweier fast vollständig erhaltener Tierskelette aus der Fundstelle Neumark-Nord 1, circa 20 Kilometer südwestlich von Halle im Geiseltal gelegen, kann man ein urzeitliches Jagdszenario entwerfen, wie es sich vor 200.000 Jahren so abgespielt haben könnte.
Die Protagonisten sind ein großer, etwa siebenjähriger männlicher Damhirsch (Dama dama geiselana; Abbildung 1) und eine nicht übermäßig große, etwa zehnjährige Höhlenlöwin (Panthera leo spelaea; Abbildung 2).

Es war ein dämmriger Spätherbstabend. Im dichten Unterholz in Seeufernähe liegt ein Rudel von Höhlenlöwinnen auf der Lauer - wie bei ihren heutigen afrikanischen Verwandten sind die weiblichen Tiere für die Jagd zuständig, während die männlichen das Revier gegen Hyänen und andere Löwen verteidigen. Darunter ist auch ein etwa zehnjähriges Weibchen, das in ihrem Leben schon einige Verletzungen und Erkrankungen durchgemacht hat. Unter anderem hat sie den rechten oberen Eckzahn - wohl infolge einer Entzündung – schon vor längerer Zeit verloren, denn das Zahnfach ist wieder zugewachsen (Abbildung 1). Vor einiger Zeit war auch das rechte Wadenbein gebrochen, als sie einem ausschlagenden Pferd nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte. Diese Verletzung ist aber inzwischen schon wieder verheilt. Auch den rechten Vorderlauf und das Jochbein des Schädels hat sie sich im Laufe ihres Lebens bei der Jagd und bei Rangeleien mit Artgenossen verletzt. Diese Blessuren sind zwar auch verheilt, die Löwin hat aber zumindest leichte Beeinträchtigungen zurückbehalten.

Natürlich wissen wir nicht, ob es wirklich so war. Es sind nur zwei gut erhaltene und recht vollständige Skelette eines Damhirsches und einer Höhlenlöwin erhalten geblieben (Abbildungen 2 und3). Am Zustand der Knochen kann man aber einige Aussagen treffen, die in dem obenstehenden Szenario verwendet wurden. Diese und viele weitere Funde wurden zwischen 1985 und 1996 in einem Tagebau im Geiseltal geborgen. Darunter sind Skelette und Skelettreste von Eurasischen Altelefanten (Elephas antiquus), verschiedene Nashornarten, Pferde, Rinder, weitere Hirscharten, Höhlenhyänen, Höhlenbären, Wölfe sowie kleinere und kleine Wirbeltiere und Wirbellose. An die 200 Pflanzenarten, erhalten geblieben in Form von Früchten und Samen, Blatt- und Holzresten, geben einen Einblick in Umwelt und Lebensraum der vorzeitlichen Tierwelt vor rund 200.000 Jahren. Die Ausgräber um Prof. Dr. Dietrich Mania, damals an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena tätig, bargen aber auch kulturelle Hinterlassenschaften des Vor-Neandertalers. Stein- und Knochengeräte, für die Nahrungsgewinnung zerschlagene Tierknochen und Holzkohlenreste ehemaliger Feuerstellen sind erhalten geblieben.
Durch den engagierten Einsatz von Prof. Dr. Mania konnte ein komplexes urzeitliches Biotop in all seiner Lebenspracht und Lebensvielfalt vor seiner Zerstörung durch den Braunkohletagebau gerettet werden. Die Ausstellung »Elefantenreich - Eine Fossilwelt in Europa«, die vom 26.03. bis 03.10.2010 im Landesmuseum für Vorgeschichte zu sehen sein wird, widmet sich dieser untergegangenen Artenvielfalt, greift jedoch besonders Elephas antiquus heraus, dessen Funde in Neumark-Nord aufgrund der großen Anzahl und hervorragenden Erhaltung von internationaler Bedeutung sind.

Höhlenlöwen

Der Name »Höhlenlöwe« Panthera leo spelaea ist irreführend, da Höhlen von Löwinnen hauptsächlich nur genutzt wurden, um ihren Nachwuchs zu bekommen und die ersten Wochen aufzuziehen. Jedoch sind die Erhaltungsbedingungen in Höhlen sehr viel besser als im Freiland.
Höhlenlöwen waren mit Schulterhöhen bis zu 150 Zentimeter um etwa zehn Prozent größer als heutige afrikanische und indische Artverwandte, in Körperbau und Verhalten ihnen aber ähnlich. Altsteinzeitliche Bildwerke lassen allerdings erkennen, dass männliche Höhlenlöwen keine ausgeprägte Mähne besaßen. Die Entwicklungslinien von Löwe und Tiger trennten sich vor circa 2,6 Millionen Jahren. In Europa sind erste Löwen vor etwa 750.000 Jahren nachzuweisen. Während des letzten Kältemaximums vor rund 20.000 Jahren verschwanden sie jedoch endgültig. Als einzige der katzenartigen Raubtiere leben Löwen dauerhaft in Rudeln von bis zu zehn Tieren. Diese bestehen aus ein bis zwei erwachsenen Männchen, daneben mehreren Weibchen und Jungtieren verschiedenen Alters.

Im Geiseltal lebten diese Raubkatzen im Steppengelände nahe ihrer Hauptbeute, den großen Huftieren wie Steppenbisons, Pferden und verschiedenen Hirschen, ausnahmsweise auch Nashörnern und Elefanten. In den offenen Landschaften um den See gingen die Weibchen und die älteren Jungtiere gemeinsam auf die Jagd. Daneben lauerten sie aber auch im dichten Unterholz in unmittelbarer Seenähe, um Tiere, die unaufmerksam ihren Durst stillten oder die sich im zähen Schlamm nur langsam bewegen konnten, zu erbeuten. Auch machten sie sich über die Kadaver verendeter Elefanten und anderer Tiere her oder vertrieben Hyänen von deren Riss. Das zeigen uns einige der Bissspuren an den Elefantenknochen, die ebenso von Löwen wie auch von Hyänen verursacht worden sein können. Männliche Löwen beteiligen sich nur gelegentlich an der Jagd; ihnen obliegt die Verteidigung des 150 bis 400 Quadratmeter großen Territoriums gegen rudelfremde Artgenossen. Doch auch die Löwen selbst fanden dort den Tod. Einer der Knochen vom Höhlenlöwen trägt Bissmarken wohl von Hyänen, die bereits damals die unerbittlichen Gegner der Raubkatzen waren.
Funde von Raubtieren sind fast immer seltener als die von Pflanzenfressern, was das natürliche Räuber-Beute Verhältnis widerspiegelt. Neben einigen Einzelknochen von anderen Individuen konnte dennoch glücklicherweise aus den Seesedimenten das fast vollständige Skelett des weiblichen Tieres geborgen werden (Abbildung 4).

Damhirsche

Zahlreiche Hirscharten wie Damhirsch, Rothirsch und Riesenhirsch lebten sowohl in den offenen Steppengebieten im Umland des Sees als auch in den bewaldeten Bereichen rund um die Seeufer. Mit über 80 Skeletten und Skelettresten ist der Damhirsch (Dama dama geiselana) die häufigste Tierart in den Ablagerungen des Sees von Neumark-Nord 1 (Abbildung 5). Die Überreste repräsentieren Hirsche verschiedenen Alters und Geschlechts, wobei aber die erwachsenen Männchen überwiegen. Da sich die Damhirsche von Neumark-Nord 1 durch verschiedene Merkmale an Geweih und Skelett von den heutigen Formen unterscheiden, wurden die Tiere aus dem Geiseltal in eine eigene Unterart gestellt. Auffällig ist vor allem der besondere Langwuchs von Unterschenkel- und Mittelfußknochen insbesondere bei den weiblichen Tieren, was wohl ein schnelleres Fliehen ermöglichte. Heutige Damhirsche haben Schulterhöhen bis etwa 1,20 Meter, wobei die Weibchen kleiner als die Männchen sind. Die Tiere aus dem Geiseltal waren etwas größer.

Angehörige dieser Gruppe kennt man seit dem Beginn des Eiszeitalters vor mehr als zwei Millionen Jahren, der heutige Damhirsch taucht vor circa 750.000 Jahren auf. Am Ende des Eiszeitalters sind Damhirsche in fast ganz Mitteleuropa ausgestorben, wurden aber im 10./11. Jahrhundert als Jagdwild wieder eingeführt und leben heute gebietsweise auch wieder in freier Wildbahn.
Die direkte Umgebung des Sees war ein idealer Lebensraum für diese Tiere, die unterholz- und gebüschreiche Laub- und Mischwälder mit Lichtungen bevorzugen. Dort fraßen sie in der Dämmerung und der Nacht Gräser, Kräuter, Laub, Rinde und verschiedene Waldfrüchte. Im Sommer lebten die Rudel der erwachsenen Hirsche getrennt von den Weibchen und Jungtieren.
Warum so viele und oft gut erhaltene Skelette in den Seeablagerungen gefunden wurden, wird unter Fachleuten noch diskutiert. An einigen Skeletten gibt es zwar Hinweise, die auf menschliche Jäger hindeuten, andere zeigen Spuren von Raubtierverbiss, wieder andere erscheinen aber völlig unberührt. Eine Hypothese besagt, dass sich im See in warmen Sommern hohe Konzentrationen von Bakteriengiften (Cyanobakterien) befanden, an denen die durstigen Tiere eingingen. Zeitgenössische Beispiele für dieses Phänomen gibt es viele. Ein Hinweis auf dieses Szenario könnte auch sein, dass die meisten Kadaver nicht von Raubtieren angerührt wurden, die die Gefahr witterten. Ebenfalls nicht von der Hand zu weisen ist aber eine weitere naheliegende Erklärung: Die über 80 Tiere starben in einem Zeitraum von mehreren hundert Jahren. Wenn jedes Jahr nur ein Hirsch, aus welchen Gründen auch immer, im See oder in seiner näheren Umgebung starb, war die Anzahl der Skelette schnell erreicht.


Text: Dieta Ambros, Arnold Muhl
Online-Redaktion: Tomoko Emmerling, Anja Lochner-Rechta

 

 

Literatur

C. G: Diedrich: Ein Skelett einer kranken Löwin Panthera leo spelaea und andere männliche Löwenreste aus Neumark-Nord. In: H. Meller (Hrsg.), Elefantenreich - Eine Fossilwelt in Europa. Katalog zur Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Halle [Saale] 2010) 445-451.

K.-H. Fischer, Ein Löwenskelett (Panthera spelaea) aus interglazialen Seesedimenten der Saalezeit von Neumark-Nord bei Merseburg (Sachsen-Anhalt). In: H. Meller (Hrsg.), Elefantenreich - Eine Fossilwelt in Europa. Katalog zur Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Halle [Saale] 2010)  431-443.

T. Pfeiffer, Sexualdimorphismus, Ontogenie und innerartliche Variabilität der pleistozänen Cervidenpopulationen von Dama dama geiselana Pfeiffer 1998 und Cervus elaphus L. (Cervidae, Mammalia) aus Neumark-Nord (Sachsen-Anhalt, Deutschland).- Berliner geowiss. Abh. 30, 1999, 207-313.

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