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Fund des Monats

Mai 2011: Archäologisch-historischer Wanderweg in Lüdelsen

Von 2007 bis 2010 fanden in Lüdelsen (Altmarkkreis Salzwedel) im Rahmen des DFG-geförderten Forschungsprojektes »Megalithlandschaft Altmark« umfangreiche Ausgrabungen durch das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen Anhalt und das Institut für Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel an zwei Megalithgräbern statt.
Aufgrund des großen Interesses der Bevölkerung und auf Anregung des ehemaligen Bürgermeisters Manfred Lange entstand hier ein Wanderweg, der noch weitere archäologische und historische Stätten einbezieht (Abbildung 1). Dank der finanziellen Unterstützung durch den Förderverein des Landesmuseums konnten acht Stationen beschildert werden. Die »Jungen Archäologen der Altmark e.V.« stellten die Erläuterungstafeln auf (Abbildung 2).
Der vier Kilometer lange Wanderweg (Dauer circa eine Stunde) führt zunächst zu den Megalithgräbern; anschließend werden weitere historische Stätten von Lüdelsen besucht. Insbesondere im Wald nördlich der Straße sind zahlreiche mittelalterliche und frühneuzeitliche Wölbäcker erhalten, die durch das damals praktizierte Zusammenpflügen zur Mitte des Beetes hin entstanden. Einen weiteren Einblick in Landschaft, Umwelt und Wirtschaft des 4. vorchristlichen Jahrtausends gibt die Station im idyllischen Tal der Hartau.

1. Station: Großsteingräber der Altmark

Die Großsteingräber (Megalithgräber, Hünengräber) gehören zu den eindrucksvollsten obertägig sichtbaren Bodendenkmalen der Altmark. Von den über 200 bekannten und größtenteils von Johann Friedrich Danneil 1843 beschriebenen Anlagen sind heute nur noch acht in der östlichen und 40 in der westlichen Altmark mehr oder weniger gut erhalten (Abbildung 3), darunter die Gräbergruppe von Lüdelsen und das nahe gelegene Grab von Stöckheim (Abbildung 4). Die Errichtung der Megalithgräber erfolgte innerhalb weniger Jahrhunderte (3600 bis 3100 vor Christus) und wird in der westlichen Altmark den ersten sesshaften Bauern dieser Landschaft zugewiesen (Trichterbecherkultur).
Die ersten wissenschaftlichen Ausgrabungen an drei altmärkischen Anlagen führte das damalige Landesmuseum für Vorgeschichte unter der Leitung von Ulrich Fischer 1938/39 in Leetze durch (Abbildung 5). 70 Jahre später setzten das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt und das Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Kiel die planmäßige Erforschung der Großsteingräber fort. Der Großdolmen Lüdelsen Fundplatz 3 und das benachbarte Ganggrab Lüdelsen Fundplatz 6 (Königsgrab), außerdem eine zeitgleiche jungsteinzeitliche Siedlung in Tangeln sind nun umfassend untersucht. Botanische und bodenkundliche Analysen geben Aufschluss über das Aussehen der damaligen Landschaft und über die Wirtschaftsweise der ersten Ackerbauern und Viehzüchter, die etwa ab 3700 vor Christus vermutlich von Norden und Südwesten die westliche Altmark besiedelten.

2. Station: Rekonstruiertes Großsteingrab

Lüdelsen Fundplatz 3 wurde 2007 archäologisch untersucht (Abbildung 6). Die Erbauung der Grabanlage mit Kammer, Steinumfassungen und der ersten Hügelschüttung erfolgte um 3550 vor Christus.  Die Anlage bestand aus einer 4,2 Meter mal 2,6 Meter großen Grabkammer mit Hügelschüttung und einer doppel- (oder drei-)reihigen Umfassung aus Feldsteinen (Abbildung 7). Die gleichzeitig errichteten Steinkränze formten mit den Eingangsträgersteinen einen Vorhof vor der Kammer, abgegrenzt nach außen durch einen freistehenden Menhir. Der innere Steinkranz bildete die Begrenzung der ersten, älteren Hügelschüttung. Sie reichte bis zur Unterkante der Decksteine, die unbedeckt und sichtbar blieben. Funde (unter anderem Scherben und eine querschneidige Pfeilspitze) vom nicht gepflasterten Kammerboden stammen von den ersten Bestattungen (Trichterbecherkultur, circa 3550 bis 3200 vor Christus). Die letzte Bestattung erfolgte etwa um 2400 vor Christus (Einzelgrabkultur). In diesem Zusammenhang wurde ein zweiter Hügel von fast 30 Meter Durchmesser aufgeschüttet, der den ersten Hügel und beide Steinumfassungen vollständig überdeckte, die Decksteine waren jedoch weiterhin noch sichtbar. Ab diesem Zeitpunkt blieb die Kammer ungestört; nur in der Umgebung der Anlage belegen Funde aus der Bronze- und Eisenzeit, dass Menschen auch in späterer Zeit diesen Ort immer wieder aufsuchten.
Nach der vollständigen Ausgrabung der Anlage wurde das Großsteingrab 2008 auf Grundlage der Grabungspläne rekonstruiert (Abbildungen 8 und 9).

3. Station: Großsteingräber Lüdelsen Fundplatz 1, 2, 4 und 5

Die Gräber Lüdelsen Fundplatz 1 bis 5 reihen sich in Ost-Westrichtung parallel zu dem nach Süden hin abfallenden Hang und dem 200 Meter entfernten Flüsschens Hartau auf (Abbildung 10). Möglicherweise kann hier ein alter Wegeverlauf in etwa parallel zur heutigen Straße rekonstruiert werden.
Dabei handelt es sich um drei weitere Großdolmen, zum Teil mit erhaltener und sichtbarer Steinumfassung, und um einen Polygonaldolmen mit zwei Wandsteinpaaren, der vermutlich nie eine Steinumfassung besaß. Der Hügel weist noch eine Höhe von 1,8 Meter auf (Abbildung 11); auf dem Deckstein befinden sich zahlreiche, überwiegend runde Schälchen.

4. Station: Königsgrab

2009 und 2010 fanden archäologische Untersuchungen am und im Königsgrab statt (Abbildung 12). Mit 38 Meter Länge ist dieses Ganggrab mit monumentaler trapezförmiger Umfassung aus großen Findlingsblöcken, die den Langhügel umschließt, die größte Anlage der Grabgruppe von Lüdelsen (Abbildung 13). Hügel- und Kammerteil bilden keine Einheit und wurden nicht gleichzeitig erbaut. Der Hügel ist mehrphasig: Der erste, etwa 40 Zentimeter hohe Hügel wurde 3700/3500 vor Christus ohne Steinumfassung errichtet. Erst einige Zeit nach der Aufschüttung des rund 1,30 Meter hohen zweiten Hügels (3500/3300 vor Christus) wurden Nischen am Hügelsaum geschaffen, um die großen Umfassungssteine dort zu positionieren – in diese Zeit fällt auch die Erbauung der steinernen Grabkammer. Um 2800/2600 vor Christus wurde der Hügel noch einmal um circa 0,50 Meter erhöht und das Trockenmauerwerk herausgerissen. Es erfolgte eine Aufschüttung der Flanken der Anlage, sodass nur noch das obere Drittel der Findlinge sichtbar war (Abbildung 14). Zur gleichen Zeit räumte man die Kammer für eine Nachbestattung (späte Kugelamphorenkultur) vollständig aus und verfüllte sie anschließend mit Sand. Der fundleere Kammerboden bestand aus drei Lagen: kopfsteingroße Feldsteine, faustgroßer Granitbruch und abschließend eine Schüttung aus Granitgrus.
Während der frühen Eisenzeit (7. und 6. Jahrhundert vor Christus wurde die Kammermitte für eine Urnenbestattung genutzt. Zu einem späteren Zeitpunkt stürzte der mittlere Deckstein in die Kammer. Wahrscheinlich im 19. und 20. Jahrhundert zerstörten Grabräuber den Eingangsbereich und die eisenzeitliche Nachbestattung.
Die Ursprünge des »Königsgrabes« sind älter als das Großsteingrab Lüdelsen 3.
In den ersten beiden Hügelschüttungen wurden keine weiteren Gräber entdeckt, jedoch waren auf der Oberfläche der ersten zwei Hügel mehrere kleinere flache Mulden verteilt. In diesen Vertiefungen befanden sich größere Reste von Holzkohle. Wahrscheinlich wurde die Anlage in frühester Zeit nicht als Grab genutzt, sondern erhielt diese Funktion erst in spätere Zeit.

5. Station: Wassermühle »Lüdelsen«

Die ältesten Nachrichten über den Bau einer Wassermühle (Abbildung 15) »bei dem forwerke Lüdelsen, das nach Diestorff gehöret« gehen in das Jahr 1586 zurück. Der Diesdorfer Amtmann Balzer Barsewisch nennt »eine sehr gutte gelegene Stelle«, auf der man eine Wassermühle bauen könnte. Bereits im Jahr 1587 wurde die Mühle durch den ersten Müller Melchior Gruß betrieben. Als Pächter der Mühle musste er jährlich dem Amt zehn Wispel Roggenpacht (16.220 Kilometer) entrichten.
In den folgenden Jahrhunderten kam es immer wieder zum Wechsel der Mühlenpächter. Im Dreißigjährigen Krieg arbeitete 1638 nur noch ein Mahlgang. »Der andere ist bei dieser Kriegszeit zerschlagen worden«, heißt es in einem Bericht des Amtmannes. 1717 wurde die Amtsmühle an den Müller Joachim Lemme aus dem Lüneburgischen Amt Klötze für 600 Taler inklusive 30 Taler »Erbstandsgelder« und 80 Taler Mühlenpacht »erb- und eigentümlich« verkauft. Sie blieb bis zu ihrer Stilllegung Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts in Betrieb, wobei die Wasserkraft durch einen Motor bereits ersetzt wurde.
Von 1978 bis 1990 dienten die alten und neu erbauten Gebäude als Ferienheim der Magdeburger Verkehrsbetriebe. Heute ist die ehemalige Wassermühle in Privatbesitz (Abbildung 16). Die alte Kastanie markiert den Eingangsbereich des nicht mehr vorhandenen Mühlengebäudes. Das Wasser der umgeleiteten Hartau betrieb das oberschlächtige Wasserrad.

6. Station: Kirche Lüdelsen

Die erste Erwähnung des Dorfes Lüdelsen erfolgt in einer Urkunde von 1290. In ihr wird der Verkauf der Anrechte von Margarethe, der Witwe des Ritters »Johann de Dore«, an dem Dorf »abbentorp« (Abbendorf) an das Kloster Diesdorf bestätigt. Als Zeuge für den Verkauf wird »Dom. Henricus, plebanus in Lüdelsen«, der Prediger, genannt. Demnach hatte das Dorf auch eine Kirche. Sie stand auf dem ehemaligen »Kirchberg« (heute südlich des Sportplatzes).
1458 bestätigte in Salzwedel der Markgraf Friedrich der Jüngere der Probstei Dähre auch den Besitz »de Kerke und Kerkhere (Pfarrer) to Ludeltzen«. In den darauf folgenden Jahren wurde das Dorf verlassen, denn 1483 verzichteten die Besitzer, Gebrüder von dem Knesebeck, auf ihre Ansprüche an der »wüste dorpstede tho Lüdelsen«. Das Dorf verschwand und die Kirche zerfiel. Die Pfarrstelle wurde in Jübar eingerichtet. Die Glocken gelangten nach Tylsen und die nach Jahrhunderten zur Ruine gewordene Kirche diente um 1890 als Material zu Pflasterung der Dorfstraße des unter Friedrich dem Großen (1740 bis 86) neu gegründeten Straßendorfes. Der alte Kirchenschlüssel wurde jedoch gefunden und ist in der neuen Kirche zu besichtigen (Abbildung 17).
Die neue Kirche (Abbildung 18) wurde 1922 bis 24 als Gedächtniskirche für die Gefallenen des 1. Weltkriegs aus Kalksandsteinen des Lüdelsener Hartsteinwerkes von Quickenstedt und Gose neu errichtet. Eine Gedenktafel befindet sich in der Kirche. Der Bau begann mit der Grundsteinlegung am 28.3.1922 zur Zeit der beginnenden Inflation. Bauentwurf und Durchführung oblag dem Maurermeister Behrens aus Jübar. Am 19. Mai 1924 wurde sie durch einen Festgottesdienst eingeweiht. Spätere Restaurierungen und Umbauten veränderten ihr Aussehen.

7. Station: Wald ist nicht gleich Wald - Landschaftsveränderungen seit der Trichterbecherzeit (3600 vor Christus bis heute)

Als die Erbauer der Großsteingräber im 4. Jahrtausend vor Christus in der Altmark zu Hause waren, sah der Wald anders aus als heute. Pollenanalytische Untersuchungen im Beetzendorfer Bruch und Bierstedter Holz geben Aufschluss über die Waldgeschichte. Der damalige (Ur-)Wald dehnte sich über den größten Teil der Landschaft aus; es gab nur kleinere Rodungsinseln für Siedlungen, Feldanbau von Weizen (Einkorn und Emmer) sowie Weiden für Viehhaltung. Der Wald umschloss auch die Großsteingräber. Er bestand zu großen Teilen aus Laubbäumen (Eiche, Esche, Linde, etwas Ulme und an lichteren Orten Hasel und Birke), die Kiefer war der einzige häufigere Nadelbaum. An feuchten Standorten wie der Hartau oder dem Tangeln’schen Bach stand, wie heute auch, die Erle. Die Bäume stellten eine wichtige Ressource dar: sowohl für Waldweide und Laubfutter als auch als Lieferant für Bau- und Konstruktionsmaterial, Feuerholz und Werkzeuge. Folge davon war die Umgestaltung des Waldes (Abbildung 19). Zum Ende des 4. Jahrtausends vor Christus stieg der menschliche Einfluss auf die Landschaft, sodass von bis zu 20 Prozent Offenland auszugehen ist. Waldweide nahm eine wichtige Rolle in der Landschaftsnutzung ein.
Während der Einzelgrabkultur (2800 bis 2200 vor Christus) kam es zu einer weiteren Landschaftsöffnung. Seit der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends vor Christus kommt die Buche regelhaft im Wald der westlichen Altmark vor. In den Jahrhunderten um Christi Geburt existierten zahlreiche Getreidefelder mit Weizen im nun großflächigeren Offenland.
Nach der Völkerwanderungszeit wurde verstärkt Roggen angebaut und ab dem Hochmittelalter (etwa13. Jahrhundert) auf armen Sandböden auch Buchweizen. Die Region wurde durch offenes Land geprägt. Reste der spätmittelalterlichen Wölbäcker sind heute noch im Gelände zu erkennen.
Mit der Neuzeit und dem Wüstfallen von Siedlungen in der Region nahm auch der Anteil des Waldes wieder zu. Es kam zu Aufforstungen (zum Beispiel Fichten und Kiefern). Die heute im Wald anzutreffende Douglasie (Nadelbaum) wurde erst im 19. Jahrhundert vom Botaniker David Douglas aus dem Westen Nordamerikas mitgebracht und zunächst in Parks kultiviert. Der gepflanzte Bestand im hiesigen Wald ist circa 70 Jahre alt. Auch die heute auf lichteren Flächen des Waldes (zum Beispiel am Waldrand) anzutreffende Robinie stammt aus Nordamerika und ist mittlerweile in Mitteleuropa aus den Parks »ausgebrochen« und verwildert.

8. Station: Wüstung Nieps

Das hier einstmals befindliche Dorf Nieps wird 1335 erstmalig genannt, als Balduin von dem Knesebeck den »Hinrikus Bonigke und Johannes Griben« mit zwei Mühlen und einem Hof »in villa et in Campis Nipitze« (Nieps) belehnt. Die Fundamentreste einer Wassermühle konnten gegenüber der ehemaligen »tausendjährigen Eiche« nach einem Windbruch 1972 am Ufer der Hartau entdeckt werden (Abbildung 20). 1491 stand das Dorf noch, da Hans von der Schulenburg »pechte und rente« aus dem Dorf Nieps verkaufte. Am Anfang des 16. Jahrhunderts muss es dann vollständig wüst geworden sein. 1698 war die wüste Feldmark ganz mit Wald überwachsen.

Neben Hochäckern (Wölbäckern) und einem Hohlweg erinnern noch der Standort der »tausendjährigen Eiche« (Abbildung 21), die die vor etwa einem halben Jahrhundert morsch wurde und bei einem Sturm umfiel, an das Dorf.
Neben vielen mittelalterlichen Lesefunden wurden bei Feldbegehungen auch zahlreiche Feuersteinartefakte (Abschläge, Klingen, Geräte) aufgesammelt, die darauf hinweisen, dass sich hier ehemals auch eine jungsteinzeitliche Siedlung befand. Aufgrund der intensiven Besiedlung im Mittelalter sind jedoch kaum noch ungestörte Befunde dieser Zeitepoche vorhanden, sodass die Frage unbeantwortet bleiben muss, ob hier die Erbauer der Großsteingräber wohnten.


Text: Barbara Fritsch, Denis Demnick, Hartmut Bock, Sarah Diers
Online-Redaktion: Tomoko Emmerling, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

H. Bock (Hrsg.), Archäologie in der Altmark. Band 1 und Band 2 (Oschersleben 2002).

H. Bock/B. Fritsch/L. Mittag, Großsteingräber der Altmark. Halle (Saale) 2006.

D. Demnick/H.-R. Bork/B. Fritsch, Das Großsteingrab Lüdelsen 3 in der westlichen Altmark (Sachsen-Anhalt).Vorbericht zur Ausgrabung 2007 und zum Pollenprofil vom Beetzendorfer Bruch.Jahresschrift mitteldeutsche Vorgeschichte 92 (Halle (Saale) 2008) 231-308.

L. Mittag, Sagenhafte Steine. Großsteingräber, besondere Steine und Steinkreuze in der altmärkischen Sagenwelt (Salzwedel 2006).

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