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Fund des Monats

Juni 2013: Die vergrabene Chorschranke von Eilenstedt

2010 und 2011 fanden im Schiff der romanischen Dorfkirche von Eilenstedt am Huy (Landkreis Harz) anlässlich der Sanierung des schwammbefallenen Bodens archäologische Grabungen statt.

Dabei deckten die Ausgräber neben zahlreichen Mörtelbruchstücken Fragmente mittelalterlicher Stuckplastik von bemerkenswerter künstlerischer Qualität auf. Besonders aufsehenerregend war ein über zwei Meter großer Block aus Stuck, der mit der gestalteten Seite nach unten lag. Nach Art einer Blockbergung gehoben und gewendet, zeigte das schätzungsweise 900 Kilogramm schwere Fundstück auf der Vorderseite das Relief einer Heiligenfigur.
Die weitere Bearbeitung der Fundstücke erfolgte in der Restaurierungswerkstatt des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie. Ziel der restauratorischen Untersuchung im Austausch mit Naturwissenschaftlern, Bauforschern und Kunsthistorikern war es, Zusammengehörigkeit, Aufbau und Darstellung der Fragmente zu klären sowie ihre Herstellungstechnik und Bemalung nachzuvollziehen.

Die weitere Bearbeitung der Fundstücke erfolgte in der Restaurierungswerkstatt des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie. Ziel der restauratorischen Untersuchung im Austausch mit Naturwissenschaftlern, Bauforschern und Kunsthistorikern war es, Zusammengehörigkeit, Aufbau und Darstellung der Fragmente zu klären sowie ihre Herstellungstechnik und Bemalung nachzuvollziehen.

Darstellungen und Aufbau der Stuckfragmente

Von den über 400 geborgenen Bruchstücken ließen sich durch Vergleich der Mörtel etwa 50 Stuckfragmente einer einheitlichen plastischen Gestaltungsphase zuordnen. Einige der sehr unterschiedlich erhaltenen Stücke aus Hochbrandgips zeigen figürliche Darstellungen, ornamentale Motive sowie Teile von Architektur. Sie sind stilistisch in die Zeit um 1200 zu datieren.
Das große Figurenfragment, das zentrale Fundstück, war einst Teil einer Stuckwand. Die Reste der schulterlangen Haartracht, die antike Kleidung aus einem bodenlangen Untergewand mit langen Ärmeln (Tunika) und einem Mantel (Pallium) sowie die nackten Füße weisen darauf hin, dass es sich um einen männlichen Heiligen, mit großer Wahrscheinlichkeit um einen Apostel handelt. In seiner rechten Hand hält er das Ende eines Spruchbandes, links den Zipfel seines Gewandes. Das gebogene Rankenband rahmte eine rundbogige Türöffnung ein. Der obere Fries zeigt Drachenvögel, die ihre langen Hälse zurückbiegen, um sich in den Rücken zu beißen. Sie sind paarweise einander zugeordnet, wobei die Drachenschwänze in einem Blattmotiv zusammenlaufen.

Aus dem Fundkomplex hervorzuheben sind außerdem drei kleine Köpfchen, vermutlich zwei Engel mit Heiligenscheinen sowie ein Bärtiger mit Krone, dessen Gesichtszüge besonders sorgfältig und detailliert ausgearbeitet sind: Krähenfüße um die Augen, eine Falte zwischen den Brauen, Stirnfalten und geschlossene Lippen erzeugen einen ernsten Gesichtsausdruck.
Nach bisherigen Erkenntnissen stammen die Stuckfragmente von einer Chorschranke mit zwei Durchgängen sowie einer bekrönenden Arkade. Ähnlich aufgebaute Chorschranken finden sich in der Liebfrauenkirche in Halberstadt (dort besteht allerdings die Arkade aus Holz) und in St. Michael in Hildesheim. Viele Fragen zur Gestalt der Abschrankung bleiben jedoch offen. Die Antworten liegen möglicherweise noch begraben: im Chorbereich der Eilenstedter Kirche, wo mit weiteren Stuckfragmenten zu rechnen ist, wurden bisher keine Grabungen vorgenommen.

Material und Herstellungstechnik

Die Fragmente bestehen aus dem für die hiesige mittelalterliche Stuckplastik typischen Material Hochbrandgips. Mörtelproben werden vom Institut für Diagnostik und Konservierung in Halle zurzeit näher untersucht.
Zur Herstellung von Hochbrandgips wird Gipsgestein bei bis zu 1200 Grad Celsius gebrannt, gemahlen und meist ohne Zuschläge mit Wasser zu Mörtel verarbeitet. Das Abbinden kann bis zu zwei Tage dauern. Je nach Konsistenz der Gipsmasse erfolgt die Verarbeitung durch Gießen, freien Auftrag, Schneiden oder Behauen. Hochbrandgips ist aufgrund seiner hohen Festigkeit auch für die Verwendung im Außenbereich geeignet. Diese im 20. Jahrhundert in Vergessenheit geratene Technologie wird in jüngster Zeit wieder entdeckt und praktiziert (www.ziegelei-hundisburg.de).

Werkspuren an den Stuckfragmenten liefern Hinweise auf die Herstellungstechnik. Wie anhand von Schalungsabdrücken und Materialgrenzen abzulesen, wurde zur Errichtung der Stuckwand offenbar am späteren Standort grober Mörtel in eine Verschalung aus Holzbrettern gestampft. Für die plastische Ausarbeitung der Figur und der Friese diente feinerer Mörtel. Die Formgebung erfolgte durch freien Antrag oder Herausschnitzen aus der Stuckmasse.

Der Standort der Abschrankung konnte bisher nicht ermittelt werden. Einen Hinweis geben die Abdrücke sorgfältig mit dem Beil bearbeiteter Werksteine auf der linken Seitenfläche der Stuckwand, wie sie sich am Triumphbogen, im Übergang vom Schiff zum Chor, befunden haben könnten. Offenbar hatten sich die Oberflächen der Steine im frischen Stuckmörtel abgedrückt. Ein Fundament, aufgrund des hohen Gewichts der Schranke erforderlich, wurde bisher jedoch nicht ergraben.

 

Die Bemalung der Stuckplastik

Farbe stellte ein wichtiges Gestaltungsmittel in der mittelalterlichen Plastik dar. Zahlreiche kleine Farbreste bezeugen, dass auch die Eilenstedter Chorschranke komplett und stark farbig bemalt war. So war die Tunika des Apostels offenbar leuchtendrot, der Mantel grün gefasst. Der Hintergrund zeigt Spuren von blauer Bemalung.
Zur Identifizierung der Pigmente wurden Malschichtproben beim Landeskriminalamt in Magdeburg mit dem Rasterelektronen-mikroskop untersucht. Da es sich bei diesem Verfahren um eine Elementanalyse handelt, ist es besonders für Pigmente geeignet, die ein charakteristisches Element besitzen.
Auf diese Weise ließ sich die rote Farbe der Tunika beispielsweise als Zinnober identifizieren, ein quecksilberhaltiges Mineral, dessen Hauptvorkommen in Spanien liegen. Um die Leuchtkraft zu erhöhen, trugen die Maler das teure Pigment innerhalb der Friese auf eine Untermalung von Mennige, einem orangeroten Bleioxid auf. Besonders bemerkenswert ist die Analyse von Ultramarin: dieses leuchtendblaue, aus dem Halbedelstein Lapislazuli gewonnene und auf dem Meerweg – ultra mare – aus Afghanistan importierte Pigment war so wertvoll, dass es mit Gold aufgewogen wurde. Den Glanzpunkt der Bemalung bildete eine Vergoldung aus reinem Blattgold, die am Heiligenschein eines Engelsköpfchens und an der Krone des Männerkopfes nachgewiesen werden konnte.
Die hochwertige Bemalung steht im Einklang mit der vorzüglichen plastischen Qualität der Eilenstedter Stuckdekoration.

Bedeutung und offene Fragen

Die romanische Stuckplastik stellt eine Besonderheit der Kulturlandschaft Sachsen-Anhalts dar. Aus der Zeit vom 10. bis zum 13. Jahrhundert finden wir hier eine einzigartige Dichte an Kunstwerken aus Stuck, darunter einige von herausragender Qualität: Das Heilige Grab von Gernrode oder die Chorschranken der Liebfrauenkirche von Halberstadt sind von europäischer Bedeutung. Vor allem in der 2. Hälfte des 12. Jahrhundert bis zur Mitte des 13. Jahrhundert ist eine Blüte der Stuckplastik zu verzeichnen – ein Phänomen, welches durch die Auffindung der um 1200 datierenden Eilenstedter Fragmente noch einmal mehr Bestätigung findet, auch wenn es noch nicht entschlüsselt ist: Wer waren die Künstler, wo hatten sie gelernt, was waren ihre Vorbilder? Der Neufund von Eilenstedt, der hiermit erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wird, stellt einen wichtigen Mosaikstein für die kunstwissenschaftliche Forschung dar.

Andererseits wirft der Befund neue Fragen auf: Bisher kannte man Schranken, die den Chor vom Kirchenschiff abgrenzen, vor allem aus Stiften oder Klöstern. Dort feierte die Klerikergemeinschaft getrennt von der Gemeinde den Gottesdienst. Die Existenz einer Abschrankung in einer Dorfkirche wie in Eilenstedt lässt auf eine besondere Bedeutung des Ortes schließen. In Sachsen-Anhalt ist bisher nur eine weitere anhand eines Fundamentes nachgewiesen: in der Dorfkirche von Pretzien (Salzlandkreis).

Die liturgische Funktion ist ungeklärt: Wer versammelte sich hinter der Schranke zum Gottesdienst und zu welchen Anlässen? Welche Verbindung gab es zum Kloster Huysburg, dessen Abt Ekbert zwischen 1134 und 1138 die Gründung der Eilenstedter Kirche auf klösterlichem Landbesitz veranlasste?
Die Eilenstedter Stuckfragmente stellen überaus wertvolle historische Zeugnisse dar, deren Bergung, Untersuchung, konservatorische Bearbeitung und Präsentation in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Archäologie, Denkmalpflege, Restaurierung, Bauforschung, Kunstgeschichte und Naturwissenschaft ermöglicht wurde.


Text: Corinna Scherf
Online-Redaktion: Konstanze Geppert, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

Arnold, Torsten: Die Untersuchung Konrad Riemanns zu Werktechnik und Polychromie der Chorschranken in der Liebfrauenkirche in Halberstadt im Lichte jüngster Konservierungsmaßnahmen. In: Polychrome Steinskulptur des 13. Jahrhunderts. Görlitz und Zittau 2012, 143-154.

F. Berndt, Stuckplastik im frühmittelalterlichen Sachsen. Ihre Bedeutung und Technik (Hannover 1932).

M. Exner, Stuck des frühen und hohen Mittelalters. Icomos, Hefte des Deutschen Nationalkomitees IX (Hildesheim 1995).

M. Hörnes (Hrsg.): Hoch- und spätmittelalterlicher Stuck. Material-Technik-Stil-Restaurierung (Regensburg 2002).

S. B. Hohmann, Die Halberstädter Chorschranken : ein Hauptwerk der niedersächsischen Kunst um 1200 (Berlin 2000).

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Deutscher Verein für Kunstwissenschaft e.V. (Hrsg.), Das Heilige Grab in Gernrode : Bestandsdokumentation und Bestandsforschung (Berlin 2007)

E. Rüber-Schütte, Das Bistum Halberstadt. Ein Zentrum mittelalterlicher Stuckarbeiten. In: A. Siebrecht (Hrsg.), Geschichte und Kultur des Bistums Halberstadt 804-1648 (Halberstadt 2006).

E. Rüber-Schütte, Einige Anmerkungen zu zwei Bildwerken: Eine verlorene Wandmalerei aus der Liebfrauenkirche von Halberstadt und ein Figuralkapitell aus Stuck aus der Drübecker Klosterkirche. In: Kunst, Kultur und Geschichte im Harz und Harzvorland um 1200 (Petersberg 2008) 215-238.

Straße der Romanik

Wurde Ihr Interesse geweckt? Viele der mittelalterlichen Kunstwerke aus Stuck in Sachsen-Anhalt lassen sich vor Ort besichtigen. Sie sind Teil der Straße der Romanik.
Noch heute lassen sich an der rund eintausend Kilometer langen Tourismusroute originale Zeugnisse der Geschichte und der Kunst des Mittelalters bestaunen. Die Route verbindet zwischen Arendsee im Norden und Zeitz im Süden des Landes 65 Orte mit 80 romanischen Domen, Kirchen, Burgen und Pfalzen. 
Mehr Informationen zur Straße der Romanik finden Sie hier: www.strassederromanik.de

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