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Fund des Monats

November 2014: Mit Brief und Siegel

Ein Siegelstempel (Petschaft) aus Stendal

Das Siegel(lateinisch sigillum, Bildchen) ist eine Form der Beglaubigung von Urkunden oder Sicherstellung (Verschluss) der Unversehrtheit von Gegenständen oder Behältnissen (Briefumschlag, Tür) mithilfe eines Siegelstempels oder, sphragistisch (siegelkundlich) korrekt, eines Typars, der in eine weiche, erhärtende Masse gedrückt wird (Siegelklumpen aus Siegellack, Wachs, früher Ton et cetera).
Oft wird zwischen »Siegel« als Abdruck und »Siegelstempel« als Prägewerkzeug begrifflich nicht unterschieden. Für »Siegelstempel« kann auch der aus dem Slawischen stammende Begriff Petschaft benutzt werden.
Siegelstempel wie auch die Stempelabdrucke, das heißt die Siegel, sind gleichermaßen als Objekte und Zeugnisse des Rechtswesens historische Denkmäler.
Im mittelalterlichen Westeuropa war das Siegel das rechtsgültige Äquivalent für die eigenhändige Namensunterschrift. In einer Zeit, als die Fähigkeit des Schreibens noch sehr beschränkt war, konnte nur das persönliche Siegel Urkunden und andere Dokumente beglaubigen respektive als Nachweis für abgeschlossene Verträge oder anderweitige Verpflichtungen dienen. Das Siegel musste daher seine Besitzer eindeutig identifizieren, also Wappen bzw. Signum der Person oder der Körperschaft (zum Beispiel Kloster, Stadt, Markt), Namen, Stand, gegebenenfalls amtliche Funktion und eventuelle rechtliche Abhängigkeiten anzeigen.

In Europa gewann das Siegeln seit dem 10. Jahrhundert eine zunehmende Bedeutung. Nicht nur territoriale und klerikale Fürsten urkundeten auf diese Weise, sondern auch der exponierte Adel und die Geistlichkeit. Beim titulierten Hochadel – Amtsträger wie zum Beispiel Herzöge und Pfalzgrafen – wurde der Gebrauch des Siegels im Laufe des 11. Jahrhunderts immer häufiger und ist im 12. Jahrhundert allgemein üblich.
Während des 12. Jahrhunderts begannen auch der unbetitelte hohe Adel und Ministeriale zu siegeln. Diesem Beispiel folgten Klöster und Städte und vor allem seit dem 13. Jahrhundert der niedere Adel, Patrizier und profane Institutionen.

Im Gegensatz zu mittelalterlichen Siegeln, die sich zahlreich als Wachsabdruck auf Urkunden erhalten haben, sind personenbezogene Siegelstempel nur selten erhalten. Zum einen wurden viele dieser Typare weitervererbt, denn ihre Anfertigung – vorgenommen von spezialisierten Siegelschneidern – war teuer.
Der neue Siegelführer ließ dann den Stempel entsprechend umschneiden. Um Missbrauch und Urkundenfälschung zu verhindern, wurden die Typare nach dem Tod ihrer rechtmäßigen Eigentümer häufig aber auch vernichtet oder anderweitig aus dem Verkehr gezogen. So gab man sie beispielsweise dem Siegelführer mit ins Grab.

Doch auch nur wenige dieser als Grabbeigaben in den Boden gelangten Siegelstempel sind auf uns überkommen. Sie zählen zu den ganz raren historischen Zeugnissen, die per Ausgrabung zutage gefördert werden. Solch ein seltener Glückfall ereignete sich 2005 auf der Stadtkerngrabung in der Hansestadt Stendal. Bei archäologischen Ausgrabungen im südlichen Teil des »Uppstalls« wurde direkt unter der Oberfläche ein bronzener Siegelstempel mit Griff, ein sogenannter Petschaft, mit einer Gesamtlänge von 3,15 Zentimetern und einem Durchmesser der gravierten Siegelfläche von zwei Zentimetern (Abbildung 1) geborgen. Der leicht rautenförmige Griff ist am oberen Ende durchbohrt. Hier konnte er mithilfe eines Bandes oder einer Lederschnur beispielsweise am Gürtel oder auch am Schlüsselbund befestigt werden.
Die gravierte Siegelfläche trägt folgendes Motiv: Im Wappenschild ein (goldener) Armleuchter mit drei Armen (Zillen), darauf ein Helm mit wallender Helmzier (Helmdecke). Auf dem Helm steht ein (weißer) Schwan mit einem (goldenen) Ring im Schnabel (Abbildung 2).

Zum Fundort

Stendal wird bereits 1022 in den Besitzurkunden des Michaelisklosters von Hildesheim als »Steinedal« erwähnt. Laut Überlieferung erhielt die Stadt 1160 das Marktgründungsprivileg (nach Magdeburger Stadtrecht) durch Albrecht den Bären (Abbildung 3).

Ende des 13. Jahrhunderts wird der »Uppstall« erstmals als ein zur Stadt Stendal gehörendes Gebiet genannt. Das Gewann »Uppstall« liegt an einer schmalen Straße zwischen dem im 13. Jahrhundert errichteten Ostwall und der »Breiten Straße«, welche etwa die Nord-Süd-Achse durch den Stadtkern bildet. Im Norden grenzt es an Sankt Jakobi, die Kirche des Alten Dorfes, die 1285 zum ersten Mal erwähnt wird und deren heutiges Aussehen im Wesentlichen auf das 14. Jahrhundert zurückgeht. Der nördliche Uchtearm, ein kleiner Fluss, der heute kanalisiert unter der Stadt in Ost-West-Richtung verläuft, bildet die südliche Begrenzung (Abbildung 4).

Mehrere archäologische Untersuchungen in den Jahren 1996, 1998 und 2005 (im südlichen Teil) erbrachten neue Erkenntnisse zur Besiedlungsgeschichte des »Uppstalls«.
Die Auswertung dendrochronologisch bestimmter Eichenhölzer (Jahresring-Chronologie) belegte eindeutig, dass die Besiedlung des nördlichen Teils bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts begann, während der südliche Teil zu dieser Zeit noch als Garten- und Weideland genutzt wurde, bevor sich die Bebauung im 13. Jahrhundert auch auf dieses Areal ausdehnte.
Einen Hinweis für die Erschließung liefert auch ein ausgedehntes Grabensystem, das 2005 in fast allen Grabungsflächen bis in den Grundwasserbereich dokumentiert werden konnte (Abbildungen 5 bis 8).

Herkunft, genealogische Zuordnung und zeitliche Bestimmung des Siegels

Auf der Suche nach der Herkunft des Siegels sowie einer Deutung beziehungsweise Auflösung des Motivs und somit einer genealogischen Zuordnung gaben zwei Grabplatten wichtige Hinweise (Abbildungen 9 und 10). Unzweifelhaft handelt es sich bei dem Wappen im Stempel um dasjenige derer von Krusemarck, einem alten Adelsgeschlecht aus der Altmark. Die Bestimmung und chronologische Einordnung des Siegelstempels verdanken wir Herrn Andreas Rohloff, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in Magdeburg.
Dieses alte Adelsgeschlecht, mit seinem der Familie bereits seit 1336 zustehenden gleichnamigen Sitz unweit von Osterburg, Landkreis Stendal, führte ein entsprechendes Wappen, jedoch in leicht abweichender Form (Gleicharmiger Leuchter; die im Typar zu sehende Helmzier ist zwar nicht in dieser Form beschrieben; wohl aber das Vorkommen eines Schwans).

Hans von Krusemarck

Das Wappen ist auf einer alten Grabplatte im Kloster Jerichow (Stadt Jerichow, Landkreis Jerichower Land) belegt. 1552 wurde eben dieses Kloster durch Hans von Krusemarck säkularisiert. Deutlich am Wappen zu erkennen ist die Säule hinter dem Schwan, auch ein Knauf lässt sich an deren Spitze erahnen.

Bruno von Krusemarck

Das Wappen findet sich auf einer alten Grabplatte in Krusemark (Landkreis Stendal) mit folgender Inschrift. »Anno 1605 den 25 May ist der edle und ehrenwerte Bruno v. Krusemarcken auf Krusemarck erbsessen, seines Alters 70 Jahr in Gott selig entschlafen...«

Die Altmark ist die Wiege dieses adeligen Geschlechts. Die »von Krusemarck« gehörten zwar nicht zu den am allerfeinsten beglaubigten Adelsgeschlechtern der Altmark, wohl aber zu den angesehensten derselben. Eine Stammeinheit mit den »von Möllendorf« (Priegnitz) und den »von Krüsicke« ist wahrscheinlich. Vielleicht erklärt sich daraus das verhältnismäßig späte Auftreten des Geschlechts in den Urkunden. (Weitere interessante Details zur Geschichte der Familie von Krusemarck/Krusemark können der genealogische Webseite derer von Krusemarck/Krusemark [www.krusemarck.com] entnommen werden.)
Das Geschlecht derer »von Krusemarck« mit dem Wahlspruch »DEO SOLI GLORIA« (Gott allein die Ehre) finden wir erst 1298 beziehungsweise 1299. So gibt es einen urkundlich belegten Prozess zwischen dem Stendaler Domkapitel und dem Knappen Johann von Krusemarck (1381 bis 1385), während andere Mitglieder der Familie von Krusemarck an den Stendaler Dom für ihr Seelenheil Gedächtnisfeiern gestiftet hatten, so zum Beispiel Mesandus von Krusemarck, Claus, Margarete und vor allem Jacob von Krusemarck. Letzterer besuchte 1408 die Universität Erfurt und wurde später Cannonicus und Senior des Stendaler Domkapitels.
Begütert waren die von Krusemarck an mehreren Stellen in der Altmark und der Mark Brandenburg. Ihre Hauptorte waren Hohenberg, Krusemark und Ellingen sowie Giesenslage, Germerslage und Sanne(heute alle Landkreis Stendal). So gewähren uns vorliegende Urkunden aus dem 15. Jahrhundert einen Einblick in den wachsenden Besitz der Familie. Zum Ende des 16. Jahrhunderts gehörte der Familie auch ein Viertel des Dorfes Welle (bei Stendal) sowie Groß Ellingen und Hohenberg.
Die von Krusemarcks erloschen 1822 mit dem Tod des Friedrich Wilhelm Ludwig von Krusemarck.

Datierung und chronologische Bestimmung

Zur zeitlichen Einordnung des Stempels lässt sich anhand des Siegelbildes mit Sicherheit nur sagen, dass die Darstellung nicht vor Ende des 15. Jahrhunderts entstanden sein kann. Ausschlaggebend für diese Einschätzung ist das Vorkommen eines sogenannten »offenen« Helms (Spangen- oder Bügelhelm). Die Helmform ist erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts entwickelt worden. Durch dieses Kriterium kann aber nur das Maximalalter eingeschränkt werden, da Typare nicht selten nach älteren Vorlagen geschnitten werden und dadurch deren Stil nachbilden, so dass ein jüngeres Stück stilmäßig einen älteren Eindruck erwecken kann. Die Helmzier (Helmdecke) wird man wohl in das erste Drittel des 16. Jahrhunderts datieren können.
Ein Rätsel bleibt allerdings bislang noch ungelöst. Zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Umständen gelangte das Siegel zum »Uppstall«, um bei der Siedlungsgrabung 2005 wieder zum Vorschein zu kommen? Gefunden wurde es nämlich in den obersten Erdschichten, beim Abgraben der (heutigen) Oberfläche bis auf das erste Planum.
Wenn auch häufig Siegel dem Siegelführer – gewissermaßen als Grabbeigabe – mit ins Grab gegeben wurden (zum Beispiel um einen Missbrauch zu verhindern), so scheidet diese Möglichkeit in unserem Fall allerdings aus. Der »Uppstall« war zu allen Zeiten ein Gebiet, das entweder landwirtschaftlich (anfangs als Garten- und Weideland) oder gewerblich (als Handwerks- und Fabrikationszentrum) genutzt wurde. Bestattet wurde hier zu keiner Zeit.
Trotz alledem zählen einzelne Siegelstempel zu den ganz raren historischen Zeugnissen, die per Ausgrabung zutage gefördert werden.


Text: Gregor Alber, Wolfgang Schwarz
Online-Redaktion: Julia Kruse, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

R. Kahsnitz, Siegel und Goldbulle. In: R. Haussherr (Hrsg.), Die Zeit der Staufer 1. Ausstellungskatalog (Stuttgart 1977) 17-107.

E. Kittel, Siegel. Bibliothek für Kunst und Antiquitätenfreunde 11 (Würzburg 1970).

W. Leonhardt, Das große Buch der Wappenkunst (München 1984).

A. Muhl, Beeidigt durch das Schragenkreuz. Bemerkungen zu einem hochmittelalterlichen Siegelstempel. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 86, 2003, 295–314.

G. Seyler, Geschichte der Siegel (Leipzig 1894).

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