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Fund des Monats

Juni 2015: Faustkeilfund nach Mulde-Hochwasser im Landschaftspark Goitzsche

Hochwasser der Mulde 2013 legt Faustkeil des Neandertalers frei

Die Erforschung der ältesten Besiedlung Sachsen-Anhalts ist vor allem dem Braunkohle- und Kiesabbau zu verdanken. Durch das sogenannte »Baggerpaläolithikum« wurden im Laufe von mehr als 100 Jahren Tausende von Steinartefakten des Alt- und Mittelpaläolithikums und Skelettreste eiszeitlicher Tiere zusammengetragen (Grünberg 2002; Weber 2004a). Diese Funde haben es ermöglicht, nicht nur Hinweise auf die damaligen Lebensbedingungen, die Werkzeuginventare und deren Formenspektren, sondern auch auf die technischen Fähigkeiten der frühen Menschen zu erhalten. Nach dem Hochwasser 2013 ist ein 16 Zentimeter großer Faustkeil im ehemaligen Tagebaugebiet der Goitzsche gefunden worden, der die Aufmerksamkeit wieder auf das schon von den Neandertalern in der letzten (Weichsel-)Kaltzeit aufgesuchte Tal der Mulde lenkt. Das in das Mittelpaläolithikum gehörende Feuersteinwerkzeug wurde nun vom Finder – Günther Lochner – dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in Halle (Saale) übergeben und soll im Folgenden zusammen mit der Fundregion vorgestellt werden.

 

Die Goitzsche

Die Goitzsche (oder seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Zuge der Eindeutschung auch als »Goitsche« in den Messtischblättern eingetragen) war einst ein circa 760 Hektar großes Auenwaldgebiet, fünf Kilometer südöstlich von Bitterfeld; heute Stadt Bitterfeld-Wolfen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld (Abbildung 1). Es liegt am Westrand des unteren Muldetales, zwischen den beiden Bachläufen und Zuflüssen, dem Lober und der Leine. Wie viele in der Region sind auch die Namen »Goitzsche« und »Mulde« slawischen Ursprungs. Sie stammen von den Wenden (Sorben), die Anfang des 6. Jahrhunderts in das Gebiet kamen. Übersetzt wird »Goitzsche« mit »Gottes Aue« und Mulde mit »die Zerreibende« oder »die "Mahlende«.
Das Urstromtal, durch das die Mulde fließt, entstand in der Eiszeit. Erst seit etwa 130 000 bis 160 000 Jahren, dem Ende der vorletzten Kaltzeit – der Saale-Kaltzeit –, fließt die Mulde im heutigen Flussbett nach Norden (Litt/Wansa 2008, 299; 316–317). Allerdings war sie noch bis zum Ende der letzten Eiszeit, der Weichsel-Kaltzeit, ein »verwilderter Fluss«. Das Flussbett war breit und relativ flach. Die Mulde war in zahlreiche Arme aufgeteilt. Vermutlich erst mit Beginn des Alleröd-Interstadials (circa 11 400 bis 10 730 vor Christus) wurde die Mulde zum mäandrierenden Fluss. Sie entwässert mit ihren Nebenflüssen fast das ganze Erzgebirge (Fuhrmann 1999). Die großen Mengen der von den Hängen zugeführten Schuttmassen bewirkten allerdings weiterhin, dass sich der Flusslauf ständig in der Aue änderte, wie die zahlreichen Altwässer belegen (Wolf/Alexowsky 2008, 459–460 Abb. 4.6–11). Die außergewöhnlich hohe Fließgeschwindigkeit der Mulde führt bis heute regelmäßig zu Hochwasser und Überschwemmungen (Weigert 2002).

Landschaftliche Veränderungen der Neuzeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Goitzsche Teil des Bergbaugebietes Bitterfeld-Gräfenhainichen (Abbildung 2). Ab 1976 war sie auch der größte Bernsteintagebau Deutschlands (LMBV 2009; Wimmer et al. 2009). Die Entstehung des Tagebaus Goitzsche hat zu großflächigen landschaftlichen Veränderungen geführt. Der Lauf der Mulde ist auf einer Strecke von 9,2 Kilometern verlegt und das Grundwasser abgeleitet worden. Der Lober-Leine-Kanal wurde von 1949 bis 1951 gebaut. Aus dem gefluteten Tagebau Muldenstein entstand der Muldestausee (1975/76). Alte Ortschaften wurden überbaggert. Restbestände des einstigen Auenwaldes sind heute nur noch im Nordteil des Bärenhofplateaus, der »Bärenholzinsel«, erhalten (Wimmer 1997, Abb. 1; Litt/Wansa 2008, 315; 323–325).
1991 wurde der Braunkohlenabbau und 1993 die Gewinnung des sogenannten »Honigbernsteins« in den unter dem Bitterfelder Flözkomplex liegenden Glimmersanden eingestellt (Wimmer 1997; Wimmer et al. 2009). Mehr als 20 Jahre später beginnt man, die hinterlassene »Mondlandschaft« mit einer Größe von 60 Quadratkilometern zu einem Erholungs- und Naturschutzgebiet umzugestalten. Tagebaurestlöcher wurden geflutet und ließen eine fast 24 Quadratkilometer große Wasserfläche, bestehend aus mehreren größeren und kleineren miteinander verbundenen Seen, unterbrochen durch Buchten, Halbinseln und Inseln entstehen (Abbildung 3). Zwei Drittel der Bergbaufolgelandschaft gehören heute zu Sachsen-Anhalt und ein Drittel zum Freistaat Sachsen. Die größte Wasserfläche bildet der Große Goitzsche-See. Im Südosten – zwischen Löbnitz und Sausedlitz – liegt der Seelhausener See. Südlich und südwestlich von Bitterfeld befinden sich um Holzweißig mehrere kleinere Seen, benannt nach den ehemaligen Gruben (Riebau/Beiche 2002; LMBV 2009).

Wie früher ist die Goitzsche ein beliebtes Ausflugsziel vor allem für Radfahrer. Anfang Juni 2013 veränderte wieder ein Hochwasser Teile der Landschaft in einen fast ursprünglich erscheinenden Lebensraum. Der Finder des Faustkeils – Günther Lochner – schildert den damaligen Anblick der Goitzsche folgendermaßen:

»Wie schon 2002 führte die Mulde ein extremes Hochwasser. Wieder wurde die Mulde an dem flaschenhalsartigen künstlichen Tal in den Muldestausee zurückgestaut und durchbrach erneut flussaufwärts ihre Deiche. Diesmal brachen die Wassermassen zum Seelhausener See durch und ließen diesen in kürzester Zeit voll laufen. Die Flut drückte gegen den am Westufer des Sees verlaufenden fast im Nullgefälle verlegten Lober-Leine-Kanal. Die beidseitig flankierenden Dämme des Kanals waren völlig überfordert. In breiter Front überströmt brachen sie auf etwa 70 Meter Breite. Der dahinter liegende Landpfeiler zum Großen Goitzschesee wurde großflächig vom Hochwasser überflutet und die Wassermassen ergossen sich in den See. […]
Natürlich interessierten uns zuallererst die von den gewaltigen Kräften des Hochwassers geschaffenen Veränderungen. Wir fanden eine für uns völlig neue Welt vor. Die Faszination wollte für uns und viele andere Radwanderer einfach kein Ende nehmen. In rückschreitender Erosion hatten die Wassermassen von der Mulde zum Seelhausener See einen am Ende etwa 250 bis 300 Meter breiten Canyon und von diesem zum Großen Goitzschesee vier weitere kleinere Canyons gefräst.
Vor allem die Vielfalt und die Kleinteiligkeit der Gestalt der vier Goitzsche-Canyons hatten es uns angetan. Die tiefen Einschnitte der vier unterschiedlich großen Canyons und ihrer Seitenarme in das ursprüngliche Relief, beidseitig von bis zu um die acht Meter hohen Steilwänden flankiert, sind Zeugnisse der ungeheuren Kraft des Hochwassers. […]
Nach dem Abfluss des Hochwassers aus der Muldenaue und dem Seehausener See floss nur noch das Wasser des Lober-Leine-Kanals durch den großen Canyon in den Großen Goitzschesee ab. Hier fühlten wir uns zurückversetzt in die jüngste Eiszeit und ihre Zwischenwarmzeiten, als die Wasser der schmelzenden Eismassen in Mitteleuropa die heutigen Urstromtäler schufen. […]
Die Fülle von Feuersteinen in allen Größen und Farben bestätigte uns darin. Waren sie doch viele tausend Jahre das Rohmaterial für die Werkzeuge der Menschen der Steinzeit, und wir hätten ihnen jeden Augenblick begegnen können. Es war wie eine Reise durch Zeit und Raum.«

Funde aus der Tiefe der Zeit

Die ältesten Artefakte, die in der Goitzsche gefunden worden sind und zu denen auch der Faustkeil gehört, stammen aus der Zeit des Neandertalers, dem Mittelpaläolithikum. In der letzten Kaltzeit, der Weichsel-Eiszeit, erreichte das Inlandeiszeit schon nicht mehr den mitteldeutschen Raum (Eissmann 1994). Die Flusslandschaft mit den zahlreichen Wasserläufen und kleinen Seen bot ein reichhaltiges Nahrungsangebot. Die Steinsohlen der Fließrinnen lieferte das Rohmaterial für die Werkzeugherstellung. Die Hallesche Porphyrkuppenlandschaft und das Grimma-Wurzener Porphyrhügelland in Nordwestsachsen boten einst den Jägern und Sammlern auch auf kleineren Härtlingsbergen (zum Beispiel Steinberg/Muldensteiner Berg, Pfefferberg, Hohen Lubischer Berg) ideale Lagerplätze mit weiter Sicht ins Umland (Abbildung 4).  Wegen der vor allem im letzten Jahrhundert  betriebenen  Steinbrucharbeiten sind diese aber nur noch teilweise erhalten.

Seit Beginn des Braunkohleabbaus sind in den pleistozänen Deckschichten Knochen und Stoßzahnfragmente von Mammut, Riesenhirsch und Wollhaarnashorn, aber auch Moschusochse, Steppenwisent und Wildpferd freigelegt worden. Alle Skelettreste stammen von kaltzeitlichen Tieren.
Erst sehr spät, in den 1980er Jahren, begann die regelmäßige Suche nach neandertalerzeitlichen Steinartefakten in den weichselzeitlichen Niederterrassenschottern (Rudolph/Bernhardt 1997; Wimmer 1997). Mittlerweile sind etwa eintausend Steinartefakte aus dem Tagebau Goitzsche zusammengetragen worden, teils auf sachsen-anhaltischer und teils auf sächsischer Seite. Allein aus Sachsen-Anhalt stammen sie von mehr als 20 Fundstellen bei Bitterfeld, Mühlbeck, Pouch, Döbern, Niemegk, Paupitzsch und Holzweißig.

Nur selten war eine etwas größere Konzentration, wie beispielsweise im Juni 2002, an einem alten Uferbereich aufgeschlossen. Die an der südlichen Böschungskante des ehemaligen Baufeldes Rösa und heute am nordwestlichen Rand des Seelhausener Sees gelegene Fundstelle wurde von Diethelm Runck entdeckt. Dank rechtzeitiger Meldung konnte das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in Halle (Saale) die Fundstelle genauer erfassen (Abbildung 5). Leider konnten die Arbeiten nicht zu Ende geführt werden, da im August 2002 durch das Mulde-Hochwasser ein Damm am Lober-Leine-Kanal brach und die vollständige Flutung des Tagebaurestloches in nur wenigen Tagen auslöste. Insgesamt wurden 369 mittelpaläolithische Steinartefakte aufgelesen, davon 82 allein auf einer Fläche von nur zwei Quadratmetern. Die relativ scharfen Kanten vieler Stücke belegen, dass sie nicht weit fluviatil transportiert worden sind. Es wurden überwiegend Abschläge und einige Kerne geborgen. Weniger als zehn Prozent der Steinartefakte sind modifiziert, wobei Abschlaggeräte mehr als doppelt so häufig wie Kerngeräte gefunden wurden (Seiler/Runck 2003).
Im späten Mittelpaläolithikum (MIS 5d–3, circa 115–35 ka) werden die beidseitig flächig retuschierten Steinwerkzeuge häufiger (Rubens 2014). Mehrere Schaber aus der Goitzsche zeigen diese charakteristisch stufige und teilweise weit auf die Fläche reichende Bearbeitung der Arbeitskanten (Rudolph/Bernhardt 1997; Seiler 2002). Sie werden als Blattschaber bezeichnet. Daneben wurden auch sogenannte Keilmesser gefunden, die ebenfalls ein- oder beidseitig flächenretuschiert sind, aber an einer Kante unbearbeitet und kantig blieben. Weitere aus Abschlägen gefertigte Werkzeuge des Neandertalers sind Halbkeile, bei denen nur die Oberseite flächig retuschiert wurde.

 

Der neue Faustkeil aus der Goitzsche

Faustkeile gehören in Sachsen-Anhalt – im Unterschied zum benachbarten Sachsen – zu den seltenen altsteinzeitlichen Funden. Es sind beidflächig flächenbearbeitete Werkzeuge, in der Regel mit einer zugearbeiteten Spitzenpartie (Bosinski 1967, 27-28, Taf. I–VI; Débenath/Dibble 1994, 129-170). Sie wurden sowohl aus Geröllen und Knollen als auch aus Gesteinsplatten und größeren Trümmerstücken gefertigt. Gebraucht wurden sie für eine Vielzahl von Tätigkeiten. Einige sind sogar aus Knochen hergestellt worden (Vergleich Bilzingsleben, Thüringen; Rhede, Nordrhein-Westfalen).
Der von Günther Lochner gefundene Faustkeil ist – wie die meisten anderen in Sachsen-Anhalt – flach mit parallel verlaufenden Flächen (Le Tensorer 2012, 212). Er ist symmetrisch gestaltet, beidflächig bearbeitet und ellipsoid in seiner Form. Seine Länge beträgt 16,3 Zentimeter, die Breite 8,9 Zentimeter und die Dicke 2,8 Zentimeter. Mit diesen Maßen ist er einer der größten mittelpaläolithischen Faustkeile in Sachsen-Anhalt. Er wiegt 395,5 Gramm. Als Rohmaterial wurde grauer Feuerstein verwendet, der mit den Gletschern nach Mitteldeutschland transportiert wurde. Das terminale Schneiden-Ende – auf den Fotografien oben – zeigt eine rundliche, leicht ausgesplitterte Kante. Sie ist etwas dünner als der mittlere Teil des Stücks und weist ventral (auf der »Bauchseite«: Abbildung 6c) den Rest einer leicht verwitterten älteren Abschlagfläche auf (Abbildungen 6a und c).

Das basale Ende (auf den Abbildungen unten) ist dicker und spitzer zulaufend. Auf beiden Seiten sind relativ große in die Fläche reichende Abschläge abgetrennt worden. Die Dorsalseite (die »Rückenseite«, Abbildung 6a) ist etwas konvexer als die Ventralseite, auf der planere Abhebungen vorgenommen worden sind. Die Kanten sind – außer im terminalen Bereich und oberen Drittel der rechten Kante – alternierend bearbeitet. Die linke Kante ist gröber als die rechte zugerichtet worden und weist eine deutliche »Wellenlinie« auf (Abbildung 6d). Das terminale Ende und die rechte Kante sind als Schneide fein nachbearbeitet worden (Abbildung 6b). Durch Umlagerung sind auch die Lateralkanten leicht beschädigt und abgestumpft. Vereinzelte dickere Restbereiche deuten an, dass die Feinbearbeitung der Seiten vermutlich vorzeitig abgebrochen wurde. Auf der Ventralseite sind beim Schlagen im oberen rechten Bereich zwei kleine Hohlräume im Gestein freigelegt worden (Abbildung 6c). Trotzdem scheint der Faustkeil benutzt worden zu sein, was durch Untersuchungen der Gebrauchsspuren vielleicht noch bestätigt werden könnte. Die Form ähnelt zwei Faustkeilen aus Barleben (Landkreis Börde) und Mosigkau (Stadt Dessau) sowie Funden aus dem Kieswerk Löbnitz (Sachsen), in dem weichselzeitliche Schotter der Mulde abgebaut werden (Rudolph/Bernhardt 1997; Rudolph 2003).

Bislang sind etwas mehr als 40 Steinartefakte als »Faustkeile« in den Ortsakten des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt vermerkt, von denen einige im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle ausgestellt sind. Es sind – wie beim Neufund – mehrheitlich Einzelfunde, die in Kiesgruben, Braunkohletagebauen oder Ziegeleitongruben aufgelesen worden sind (Weber 2004b).
Die Formenvielfalt der als »Faustkeil« inventarisierten bifazial bearbeiteten Steinartefakte aus Sachsen-Anhalt ist relativ groß. Es gibt langgestreckt bis breit dreieckige, mandel- und herzförmige, ovale und rundliche Stücke. Ihre Größe variiert zwischen circa 16 Zentimeter (Barleben, Weddersleben) und fünf Zentimeter (Westeregeln). Nur wenige von ihnen haben die »klassische« Faustkeilform mit einer verdickten Basis und einem ausgezogenen spitzen Ende, wie zum Beispiel die Stücke aus Hundisburg (Nummer 1, Landkreis Börde), Mannhausen (Landkreis Börde) und Naumburg (Landkreis Burgenlandkreis). Flache Faustkeile wurden unter anderem auch bei Hundisburg, Magdeburg-Neustadt, Werdershausen und Westeregeln gefunden. Sehr feingearbeitete Faustkeilblätter sind vor allem aus dem Tagebau von Königsaue dokumentiert. Halbkeile stammen aus den Kiesgruben bei Barleben und Magdeburg-Rothensee.

In Sachsen-Anhalt sind die meisten bekannten Faustkeile aus baltischem Feuerstein, seltener aus Quarzit (Helfta, Weddersleben) geschlagen worden. In der Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle sind einige Exemplare von Weddersleben aus dem kreidezeitlichen Quarzit von der Teufelsmauer ausgestellt (Seiler/Runck 2002). Die zeitliche und kulturelle Zuordnung fast aller Stücke ist mangels Fundzusammenhang sowie ihrer Bergungs- und Fundgeschichte nicht gesichert. Die ältesten als »Protofaustkeile« bezeichneten bifazial bearbeiteten Kerngeräte sind Kiesgrubenfunde aus Wallendorf. Sie wurden möglicherweise in einer Spätphase der Holstein-Warmzeit beziehungsweiseder »Fuhne-Kaltzeit« hergestellt (Weber 2004c, 63). Aus der Saale-Kaltzeit stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit unter anderem die Faustkeile aus Hundisburg, Mannhausen, Naumburg und Weddersleben. Die jüngsten gehören in die Weichsel-Kaltzeit, so wie die Steinartefakte des Neandertalers in der Goitzsche.
Der neue Faustkeil aus der Goitzsche wird unter der Aktivitätsnummer 8777 in der paläolithischen und mesolithischen Sammlung des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt aufbewahrt. Es bleibt zu wünschen, dass der fast zu einem »Meisterwerk« gewordene Faustkeil eines Neandertalers bald auch einmal in einer Ausstellung von der Allgemeinheit bewundert werden kann.


Text: Judith M. Grünberg, Günther Lochner, Diethelm Runck
Online-Redaktion: Julia Kruse, Anja Lochner-Rechta

 

Danksagung

Drei Kollegen vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in Halle (Saale) danken wir sehr herzlich für ihre Unterstützung: Herr Dr. Arnold Muhl überließ uns den Faustkeil zur Publikation. Andrea Hörentrup hat den neuen Faustkeil fotografiert. Das historische Messtischblatt aus dem Jahr 1750 wurde von Verena Junski aus dem  Archiv des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie herausgesucht. Die Karten zur Landschaftsnutzung der Goitzsche in den letzten 170 Jahren stellte uns freundlicherweise Andreas Kadler (post-mining & brownfields consulting, Berlin) für diesen Beitrag zusammen.

 

Literatur

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R. Fuhrmann, Die Entwicklungsgeschichte postsaaleglazial entstandener Talabschnitte der Weißen Elster und Mulde und die stratigraphische Gliederung des jüngeren Quartärs. Altenburger naturwissenschaftliche Forschungen 11 (Altenburg 1999) 43–63.

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J.-M. Le Tensorer, Faustkeile. In: H. Floss (Hrsg.), Steinartefakte vom Altpaläolithikum bis in die Neuzeit. Tübinger Publications in Prehistory (Tübingen 2012) 209–218.

T. Litt/S. Wansa, Quartär. In: G.H. Bachmann/B.-C. Ehling/R. Eichner/M. Schwab (Hrsg.), Geologie von Sachsen-Anhalt (Stuttgart 2008) 293–325.

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T. Weber, Der Faustkeil – das »Universalgerät« des Altsteinzeitmenschen? In: H. Meller (Hrsg.), Paläolithikum und Mesolithikum. Katalog zur Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle 1 (Halle [Saale] 2004) 167–173.

T. Weber, Die ältesten Spuren des Menschen in Sachsen-Anhalt.In: H. Meller (Hrsg.), Paläolithikum und Mesolithikum. Katalog zur Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle 1 (Halle [Saale] 2004) 61–67.

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L. Wolf/W. Alexowsky (unter Mitarbeit von M. Seifert-Eulen und einem Beitrag von H. Heilmann und R. Symmangk), Quartär. In: W. Pälchen/H. Walter (Hrsg.), Geologie von Sachsen. Geologischer Bau und Entwicklungsgeschichte (Stuttgart 2008) 419–472.

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