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Fund des Monats

Mai 2017: Lampen aus dem Schloss

Bei Ausgrabungen im Schloss Wittenberg wurden im November 2016 unter anderem Glasscherben geborgen. Sie wurden dicht gepackt noch in feuchtem Sediment geborgen und in die Restaurierungswerkstatt des Landesmuseums nach Halle eingeliefert (Abbildung 1). Glasfunde aus archäologischen Ausgrabungen sind durch die Jahrhunderte währende Bodenlagerung meist sehr schlecht erhalten. Die stabilisierenden Stoffe im Glas werden mit der Zeit durch das Wasser im Boden herausgewaschen. Das Glas korrodiert. Beim Bergen und Trocknen der Glasscherben kann die Oberfläche zu feinen, regenbogenartig schillernden Schichten trocknen, abblättern und im schlimmsten Fall kann das Glas komplett zerfallen. Durch das Festigen mit Acrylharzen in der Restaurierungswerkstatt lässt sich dies verhindern. In diesem gesicherten Zustand konnten die über 100 Glasscherben wieder zu ihrer ursprünglichen Form zusammengesetzt werden (Abbildung 2).

Die Scherben ließen sich nicht wie erwartet zu Flaschen zusammensetzen. Ein scheinbar erkennbarer Flaschenhals hatte zu dieser Vermutung geführt. Stattdessen entstanden sechs trichterförmige Gläser, welche in teils tordierten (also verdrehten) Röhren enden. Der untere Abschluss der Gläser ist leider nicht erhalten, sie scheinen einfach schmaler zu werden. Die trichterförmigen Öffnungen variieren im Durchmesser zwischen fünf und sieben Zentimetern. Die maximal messbare Höhe liegt bei elf Zentimetern. Die ganze Glasmasse ist so stark korrodiert, dass die Oberflächen stark verbräunt sind und deshalb undurchsichtig erscheinen. Nur noch an einigen Stellen lässt sich die ursprüngliche grünlich durchscheinende Farbe von mittelalterlichem Waldglas erahnen (Abbildung 3). Die Objekte datieren wahrscheinlich in das späte Mittelalter oder die frühe Neuzeit.

Es scheint sich um gläserne Trichterbecher zu handeln. Sie wurden wohl nicht als Trinkgefäß, sondern als Lampen verwendet. Hierzu wurde das Glas mit Wasser und Öl gefüllt und mit einem Schwimmdocht versehen.

Je nach Gefäßform und Wasserhöhe verändert sich der ausgestrahlte Lichtkegel und führt zu einer unterschiedlichen Beleuchtung (Abbildung 4). Sie konnten in der Hand gehalten oder einzeln aufgehängt werden. Zu mehreren in eine durchlochte Metallscheibe gesteckt, ließen sie sich zu großen Leuchtern gruppieren. Mit dem so genannten Polycandelon (griechisch für viele Lichter) wurden schon im Byzantinischen Reich die Basiliken beleuchtet (Abbildung 5). Heute noch sind solche Leuchter zum Beispiel in der Hagia Sophia in Istanbul oder auch im Grab des heiligen Franziskus in der gleichnamigen Basilika in Assisi zu sehen, aber auch in Moscheen wird diese Art von Lampen verwendet. Auch auf zahlreichen Abbildungen in mittelalterlichen Handschriften und auf anderen Bildern sind durch das gesamte Mittelalter hindurch im Hintergrund als Lampen aufgehängte Trichterbecher zu erkennen (Abbildung 6 – Codex Manesse [1305–1340]; Abbildung 7 – Speculum humanae salvationis [um 1360]).

Dabei scheint sich die Erkenntnis, dass es sich bei einer Vielzahl von Glasgefäßen, die keine Standfunktion haben, überhaupt um Beleuchtungskörper, und nicht etwa um »Sturzbecher« handelt, erst langsam in der archäologischen Forschung durchzusetzen. Steckner (1999) wies erstmals überhaupt am Beispiel römischer Diatretgläser nach, dass es sich hier nur um Schwimmdochtlampen handeln konnte. Der Gedanke wurde in der Folge auf andere spätantike Gefäßtypen ausgeweitet, beispielsweise facettierte römische Glasbecher aus dem Fürstengrab Gommern (Wunderlich 2003, 261). Die Schliffe sind in Lampenschalen sogar funktional, da sie das nach unten abgestrahlte Licht brechen und interessante Lichtmuster auf den Boden projizieren (Abbildungen 8 und 9). Im Mittelalter wurden diese Leuchtgefäße »Ampulla« (Fläschchen) genannt. Aus diesem Wort entwickelte sich sowohl unsere »Ampel« als aber auch unser Wort »Lampe« (Bartels 1988).

Möglicherweise schlummert in den Museen und den archäologischen Depots noch eine Vielzahl von Gefäßen, die bei kritischer Betrachtung nicht als Ess- oder Trinkgefäß, sondern als Lampen angesehen werden können. Dies gilt keineswegs nur für Glasgefäß – auch unter keramischen Gefäßen könnten durchaus »verborgene« Lampen schlummern (Hegewisch 2009, 25).
Allgemein ist die Zahl eindeutiger Lampen unter den archäologischen Funden Mitteldeutschlands ausgesprochen gering. Während es bis in die frühe Neuzeit kaum Funde gibt, die eindeutig als »Lampe« zu bezeichnen sind, ändert sich diese Lage ab dem 15./16. Jahrhundert nach Christus nahezu plötzlich. Die Gründe hierfür scheinen – neben der Möglichkeit, dass einige »Lampen« als solche im Fundmaterial vielleicht nicht erkannt wurden – vor allem ökonomischer Natur zu sein.
Öllampen verbrennen – ebenso wie Talglampen – pflanzliches oder tierisches Fett, das eigentlich der menschlichen Ernährung dienen könnte. Eine einzelne Flamme, von der Größe einer Kerzenflamme, verbrennt etwa so viele Kalorien, wie der Mensch, der ihr dabei zusieht.
Während die ökonomische Problematik der Beleuchtung in einem fürstlichen Haushalt noch überwindbar erscheint, waren sie für die einfachere Bevölkerung von entscheidender Bedeutung. Licht war Luxus. Das ändert sich erst in der frühen Neuzeit. Grund waren die neu aufkommenden Feldfrüchte Raps und Rübsen, die derart viel Öl lieferten, dass auch einfachere Haushalte damit Öllampen betreiben konnten.


Text: Vera Keil, Christian-Heinrich Wunderlich
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

Klaus Bartels, Wie die Amphore zur Ampel wurde. 49 Wortgeschichten (München 1988).

Morten Hegewisch, Lampen im Barbaricum. In: Kyrill Myzgin (Hrsg.), Ostrogothica. Archäologie des Zentral- und Osteuropas in der Späten Römischen Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit. Sammelband der wissenschaftlichen Schriften zum 10. Jahrestag der Germanisch-Slawischen archäologischen Expedition der Charkover-Nationalen-V.-N. Karazin-Universität (Char’kov 2009) 19–33.

Cornelius Steckner, Diatrete als Lichtefäße. In: Rosemarie Lierke (Hrsg), Antike Glastöpferei (Wien 1999) 110–128.

Christian-Heinrich Wunderlich, "Lightkultur" in: Fettnäpfchen, Tranfunzeln und Armleuchter. Vorgeschichtliche Beleuchtungstechnik. Archäologie in Sachsen-Anhalt 1, 2002, 83–94.

Christian-Heinrich Wunderlich, Light and Economy. An Essay About the Economy of Prehistoric and Ancient Lamps. In: Laurent Chrzanovski (Hrsg.), Nouveautés Lychnologiques (Sierre 2003) 251–264.

Christian-Heinrich Wunderlich, "Und es ward Licht". Archäologie in Deutschland 2006,4, 32–35.

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