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Fund des Monats

Mai 2018: Die Frau im Töpferofen

Eine Sonderbestattung aus dem Elb-Havel-Winkel bei Wulkau

Die Frau im Töpferofen - erinnert unweigerlich an die Märchen der Gebrüder Grimm. Gänzlich andere Hintergründe dürften jedoch im Fall des hier vorgestellten Befundes vorliegen. In Folge der jüngeren Hochwasserereignisse – die große Deichbruchstelle des Junihochwassers 2013 bei Fischbeck liegt unweit entfernt – wurde der Deich bei Wulkau (Landkreis Stendal) saniert. Im Baufeld nördlich einer bereits dokumentierten Fundstelle hatte sich eine einzelne eisenzeitliche Brenngrube erhalten, die von einer Anwohnerin entdeckt und gemeldet wurde (Abbildung 1).

Erhalten hatte sich eine ovale, Nord-West und Süd-Ost orientierte Brenngrube von 2.32 mal 2.0 Meter mit einer Tiefe von 0.62 Meter, die in den Hang der Hochfläche am Übergang zu Elbaue gegraben worden war. Zur Stabilisierung und besseren Wärmespeicherung waren die Wände unter weitgehender Auslassung der Grubensohle mit Lehm verkleidet, der durch die anschließende Befeuerung weitgehend verziegelt war. Auf der Westseite, 35 Zentimeter über dem Boden, sorgte eine ovale Öffnung für zusätzliche Luftzufuhr (Abbildung 2). Im Inneren fanden sich weitere verziegelte Lehmstücke des Überbaus, der nach der Aufgabe abgebrochen und in der Grube verblieben war. Den Negativabdrücken zur Folge handelte es sich um eine Balken-Flechtwerkkonstruktion, die mit häcksel-gemagertem Lehm abgedichtet und vorbeugend gegen Rissbildung durch eine zusätzliche, mit Sand und Scharmott gemagerte Lehmschicht überzogen war. Die fehlende räumliche Trennung zwischen Feuerungs- und Brennraum und die Konstruktion des Überbaus deuten auf einen einfachen, stehenden Meilerofen hin, wie sie teils noch bis ins 20. Jahrhundert hinein zum Brennen von Keramik in Gebrauch waren. Dies deckt sich auch mit dem Fund eines als Brennhilfe zu deutenden Lehmquaders am Boden der Grube, einigen beim Brand überhitzten Scherben aus der Verfüllung und mit den Temperaturen, die über die Brenngrube zu erreichen waren und die zur Verziegelung der Lehmwände geführt haben. Die Arbeitsgrube dürfte auf der Nordwest--Seite gelegen haben, von wo aus auch die Beschickung oberhalb der Grube erfolgt sein wird.

In einem weiteren Schritt wurde in der Anlage Getreide gegart beziehungsweise geröstet. So fanden sich im Südwesten über dem Boden neben dünnen Bändern auch in den Ecken Konzentrationen an Holzkohle, die mit verkohlten Getreidekörnern durchsetzt waren (Abbildung 3). Es folgte schließlich die Beisetzung. Da sich der Leichenbrand in der Binnenverfüllung in Nestern auf unterschiedlichen Niveaus verteilte, dürfte die Einbringung mit dem Abbruch des Überbaus einhergegangen sein. Bemerkenswert sind die zahlreichen als Beigaben zu interpretierenden Objekte. Neben drei Schleif- beziehungsweise Poliersteinen (Abbildung 4), einem spitz zugearbeiteten Knochengerät, fünf Spinnwirteln und den Resten einiger Keramikgefäße fanden sich in der Brenngrube auch ein Segelohrring und die Bruchstücke eines Weiteren, ein eiserner Bügel wohl von einer Fibel sowie sieben Glasperlen (Abbildung 5). Da mit Ausnahme einer Perle die anderen Objekte keinerlei Spuren von Hitzeeinwirkung zeigen, dürften diese nicht auf dem Scheiterhaufen, sondern wohl erst nachträglich im Zuge der Beisetzung mitgegeben worden sein. Zudem zeigen sowohl die Polier- und Schleifsteine, wie auch das Knochengerät und eine Perle Gebrauchs- beziehungsweise Abnutzungsspuren, sodass zumindest diese nicht extra für die Bestattung gefertigt, sondern aus dem Besitzstand entnommen wurden. Während die vier kleineren Perlen in Blau gehalten sind, handelt es sich bei den größeren Stücken um zwei Schicht- und eine Spiralaugenperle, die wohl als Importstücke im südlichen Jastorfkreis zu gelten haben. Es sind auch die Perlen und Segelohrringe, vor allem aber die Spinnwirtel mit ihren hauswirtschaftlichen Bezug, die auf eine Frauenbestattung hindeuten. Diese dürfte nach Ausweis einer erhaltenen Zahnkrone des zweiten oder dritten Molares ohne Anzeichen von Abkauung im adulten Alter verstorben sein.

Die Schichtaugenperlen, wie auch die kleinen unspezifischen Perlen liefern durch die längeren Laufzeiten keine nähere Datierungshinweise. Die Fibel, deren eiserner Bügel überliefert ist und die ein frei stehendes Fußende besaß, entspricht dem Frühlatèneschema, welches mit Latène C 1 ausläuft. Da die Spiralaugenperlen erst mit Latène C1 aufkommen, dürfte die Bestattung an den Beginn von Mittellatène gehören. Das Keramikspektrum, insbesondere die bis zum Fuß verlaufende senkrechte Verzierung aus doppelten Leiterbändern und von Strichen eingefassten Tannenzweigenmuster, verweist in die von Keiling definierte Stufe IIa und damit in die Frühphase der jüngeren Eisenzeit.
Die Beisetzung in einem Töpferofen abseits des Gräberfeldes und der Verzicht, die Beigaben zu verbrennen, sondern erst nachträglich mitzugeben, weist die Grablege als eine der wenigen Sonderbestattungen im Bereich der Jastorfer Kultur aus. Die Poliersteine, die durchaus zur Glättung lederharter Keramik vor dem Brand gedient haben können, lassen zwar über eine Verbindung der Verstorbene mit dem Töpferofen spekulieren, die näheren Hintergründe für die abweichende Totenbehandlung bleiben allerdings im Dunkeln.


Text: Dominik Petzold
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

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H. Keiling, Die vorrömische Eisenzeit im Elde-Karthane-Gebiet (Kreis Perleberg und Kreis Ludwigslust) (Schwerin 1969).

H. Keiling, Kolbow. Ein Urnenfriedhof der vorrömischen Eisenzeit im Kreis Ludwigslust, Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte der Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg 8 (Berlin 1974).

K. Kunter, Schichtaugenperlen. In: O.-H. Frey, H. W. Böhme, C. Dobiat (Hrsg.), Glasperlen der vorrömischen Eisenzeit IV: nach Unterlagen von Th. E. Haevernick, Marburger Studien zur Vor- und Frühgeschichte 18 (Espelkamp 1995).

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K.-U. Uschmann, Die trichterförmig eingetieften Brenngruben im Raum zwischen Weser und Oder in der Zeit vom 3. Jh. v. Chr. bis zum 4. Jh. n. Chr., EAZ 33, 1992, 317–326.

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