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Fund des Monats

Mai 2021: Begraben, aber nicht vergessen

Die Untersuchung der spätbronze- und früheisenzeitlichen Urnenbestattungen nahe der Ringgrabenanlage von Schönebeck.

Im vergangenen Sommer lieferten Ausgrabungen an der nur 1,3 Kilometer nordwestlich von Pömmelte gelegenen zweiten Ringgrabenanlagen Schönebeck im Salzlandkreis weitere Einblicke in die tiefgreifende Geschichte eines Platzes, in dessen Mittelpunkt bisher vor allem die frühbronzezeitliche Kreisgrabenanlage stand. Wie neuste Untersuchungen nun weiter bestätigen konnten, setzte sich die Biographie des Ortes rund 1000 Jahre nach Nutzungsende der Ringgrabenanlage nicht weniger monumental fort:  Eine ausgedehnte Nekropole der späten Bronze- und frühen Eisenzeit mit vermutlich hunderten Urnenbestattungen und über einem Dutzend Grabhügeln verwandelte den Ort in eine Lokalität des Gedenkens an die eigenen Toten (Abbildung 1). Aktuell werden im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt die vollständig im Block geborgenen Urnenbestattungen des bisher nur teilweise ergrabenen Gräberfeldes unter Laborbedingungen freigelegt, um Vorgänge rund um den damaligen Bestattungsritus besser nachvollziehen zu können.

 

Mit der Grabung im Randbereich der Ringgrabenanlage von Schönebeck im Sommer 2020 wurde an die 2011 durchgeführten Untersuchungen angeschlossen, bei denen neben der großflächigen Erschließung des frühbronzezeitlichen Rondells bereits einige Kreisgräben ehemaliger Grabhügel der mittleren- bis späten Bronzezeit freigelegt wurden. Diese zeichneten sich bereits in Luftbildern ab, die 1991 zur erstmaligen Entdeckung der Anlage führten, und nach geomagnetischer Prospektion sowie einer ersten Grabung im Jahr 2005 die Hinweise auf einen überlagernden Bestattungsplatz lieferten (Abbildung 2).

Eine Überraschung erbrachte die Lehrgrabung im Sommer 2020, die in Kooperation mit der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg durchgeführt wurde, und sich neben einem Areal im Norden, vor allem auf den Bereich östlich des Rondells konzentrierte: auf nur 2.230 Quadratmeter Fläche stießen die Studierenden auf insgesamt 103 Bestattungen, von denen 86 Urnenbestattungen, zwölf Brandschüttungsgräber und fünf Körperbestattungen darstellten (Abbildungen 3 und 4). Vor allem die Vielzahl von Urnen und Brandschüttungsgräbern, die in Luftbildern und Geomagnetik zunächst unsichtbar blieben, lieferten einen Vorgeschmack auf die bisher noch unbekannte Dimension der Belegung des derweil nur teilweise ergrabenen Bestattungsplatzes an der Elbe.

 

Bearbeitung der im Block geborgenen Urnen im Labor

Mit Abschluss der Grabung im Herbst verlagerte sich die archäologische Aufarbeitung der Funde in die Werkstätten des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, wo seither die im Block geborgenen Urnen penibel freigelegt werden. Ziel der Untersuchung ist es, die Vorgänge beim Deponieren der Verstorbenen in die Urnen besser nachzuvollziehen, um etwaige Auffälligkeiten, Muster, bestenfalls sogar gängige Praktiken, im Umgang mit den Toten innerhalb bestimmter Zeithorizonte zu erkennen. Dabei wird mit modernster Technik gearbeitet. Bevor die Urnen aus ihrem Gipsmantel befreit werden, erfolgen Röntgen- und teils computer-tomographische Untersuchungen (CT), um vorab den Inhalt der Urne non-invasiv – also zerstörungsfrei – zu erfassen. Diese Methode bietet den Vorteil die Urne gezielt freizulegen, da sich vor allem massedichte Objekte wie Metallartefakte, aber auch Beigefäße oder besondere Knochenpartien vom restlichen Gefäßinhalt deutlich abheben (Abbildung 5). Dadurch konnten bisher allein in 37 Urnen Hinweise auf Metallartefakte festgestellt werden.

In der anschließenden Mikro-Ausgrabung unter Laborbedingungen wird der Urneninhalt dann minutiös freigelegt (Abbildung 6). In mehreren Plana werden die sterblichen Überreste der Bestatteten freigeputzt und fotografisch dokumentiert, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Beobachtung der Schichtung, Position und Zusammensetzung des Leichenbrandes gelegt wird. Nur so können später weitreichendere Aussagen hinsichtlich des Bestattungsvorgangs getroffen werden, wie etwa: Welche Überreste wurden vom Scheiterhaufen aufgelesen und zuerst in die Urne gelegt? Wurde sich um das Einhalten einer anatomisch korrekten Reihenfolge bemüht? Wurden die Leichenbrandfragmente ursprünglich in organischen Behältnissen, wie etwa Stoff- oder Lederbeuteln, eingewickelt oder systematisch zusammengebunden? Weisen die Langknochen wiederkehrende Orientierungsmuster auf?

Mit dem detaillierten Abtrag in Schichten ist die Untersuchung aber längst nicht abgeschlossen. Man könnte meinen, dass die bisherigen Lagebeobachtungen in Kombination mit radiologischen Erkenntnissen ein umfassendes Urteil über die Position, den Zustand und die Form aller in der Urne enthaltenen menschlichen und dinglichen Bestandteile liefert. Dennoch liefern freigelegte Knochen, Beigaben, das Füllsediment und die innere Gefäßwandung weiteres Erkenntnispotential.

Der Leichenbrand selbst wird nach der Freilegung ebenso wie die meisten anderen Funde gereinigt, um anschließend anthropologisch bestimmt zu werden. Während Merkmale an den sterblichen Überresten Aussagen über Alter, Geschlecht und Pathologien erlauben (die im Falle genetischer Mutationen sogar Verwandtschaftsbezüge erkennen lassen können!), verweisen Zustand und Verfärbungen der Knochen auf die einstigen Verbrennungstemperaturen, eine mögliche Scheiterhaufenlöschung durch Flüssigkeiten oder nachträgliche Fragmentierung des Knochenmaterials durch die Bestattenden, um die verstorbene Person in das Urnengefäß einzubringen. Zusätzlich können auch potenziell beigegebene Tierknochenfragmente oder Knochennadeln vom menschlichen Leichenbrand unterschieden werden.

 

Das Füllsediment ist aufgrund seiner Kleinstbestandteile von Interesse. Durch Flotation – eine Variante des Schlämmens – können botanische Makroreste (Samen, Früchte und ähnliches), Kleinstknochenfragmente und Holzkohlereste gewonnen werden, die nicht nur für die Radiokohlenstoffdatierung nutzbar wären, sondern ebenfalls Aussagen über die Umwelt zu Zeiten der Bestattung erlauben. Sind Beigaben wie bronzene Nadeln, Bernsteinanhänger oder andere Schmuck- und Trachtbestandteile enthalten, bietet sich auch nach deren Bergung die Möglichkeit Gebrauchsspurenanalysen durchzuführen, um Beobachtungen über Verwendung und Herstellung zu anzustellen.

Ist die Urne entleert, bieten zuletzt die Gefäßscherben weitere Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns. Ergibt sich durch die bereits bestehende Fragmentierung des Gefäßes die Chance, eine Scherbe aus der Gefäßwandung zu entnehmen, wird diese genutzt: die ungewaschene Wandungsscherbe kann nämlich im Zuge von Lipidanalysen, bei der, vereinfacht gesagt, anhaftende Proteine bestimmt werden,  offenbaren, ob das Gefäß vor der Verwendung als Urne bereits anderweitig genutzt wurde – etwa als Haushaltsutensil. Finden sich Lipide, besteht sogar die Möglichkeit Aussagen über die im Gefäß aufbewahrten/zubereiteten Lebensmittel zu treffen bzw. Vermutungen anzustellen, ob das Gefäß damit wasserdicht gemacht wurde – ein weiterer Schritt in der Rekonstruktion des Lebens der Bestattungsgemeinschaft vor Ort.

Zuletzt werden die Reste des Gefäßes gereinigt, geklebt und gezeichnet (Abbildung 7). Das Gefäß kann spätestens jetzt in bestehende Typologiesysteme eingeordnet werden, oder diese gar erweitern. Etwaige Metallartefakte werden ebenso restauriert und archäologisch bestimmt. Die daraus resultierenden relativen Zeitstellungen für Gefäß und Beigabe(n) erlauben daran anschließend eine grobe Einordnung der Bestattungen in einen spezifischen Zeithorizont. Wird dieses Verfahren für alle bisher ergrabenen Urnen angewandt, ergibt sich Schritt für Schritt ein detailliertes Bild über die vollzogenen Praktiken im Umgang mit dem Tod innerhalb der Nekropole Schönebeck über die Zeiten hinweg. Zusammen mit den anderen vorgefundenen Grabformen, etwa den Grabhügeln, können beispielsweise Vergleiche angestellt werden, die Aussagen darüber zulassen, ob lediglich zeitliche-kulturelle Unterschiede oder andere, die Verstorbenen betreffende Charakteristika ausschlaggebend für die Wahl der Bestattungspraktik vor Ort waren.
Ein interessantes Beispiel findet sich diesbezüglich mit der Urne 1328 (Abbildungen 1 und 7). Das terrinenartige Urnengefäß, welches mit seiner Schrägriefung dem Formengut der spätbronzezeitlichen Saalemündungsgruppe (circa 1300 bis 750 vor Christus) zuzurechnen ist, wurde unmittelbar am Fuße eines bereits bestehenden mittel- bis spätbronzezeitlichen Grabhügels deponiert (Abbildung 4). In dem Kreisgraben, der einst jenen Hügel umgrenzte, fanden sich zudem zwei weitere Urnennachbestattungen sowie eine nachträglich eingetiefte Urne über der primären Zentralbestattungen, was letztlich eine konkrete Bezugnahme der Urnen zum Hügel erkennen lässt. Die Gründe für diesen räumlichen Bezug zu älteren Bestattungen können (bisher) nur erahnt werden. Vielleicht war es der letzte Wunsch der/des Bestatteten am Fuße jenes Grabhügels niedergelegt zu werden, da ihm/ihr die Hauptbestattung noch persönlich oder aus Erzählungen bekannt war. Es ist gut möglich, dass durch diesen Akt der Bezugnahme eine Verbindung zu den eigenen – oder gar unbekannten, fiktiven – Ahnen hergestellt werden sollte. 

Bisher lässt sich das Formengut der geborgenen Urnen in die spätbronzezeitliche Saalemündungsgruppe sowie die eisenzeitliche Hausurnenkultur einordnen, wobei Formen der letzteren das Spektrum dominieren. Eine Schälchenkopfnadel mit Schwanenhals (Abbildung 8) aus einer bereits freigelegten Urne verweist auf das 8.bis 6. Jahrhundert vor Christus und stützt den bisher vorgeschlagenen Datierungsrahmen. Kommende Untersuchungen werden nun zu klären versuchen, wie der Umgang mit den Toten auf der Nekropole von Schönebeck vonstattenging. Vor allem die noch abzuwartenden anthropologischen Bestimmungen erscheinen in Kombination mit den archäologischen Befunden vielversprechend. Letztlich bleiben die Ergebnisse zur Belegungsabfolge und zeitlichen Tiefe des Bestattungsplatzes noch abzuwarten. Vor allem Aspekte der Ausdehnung des Gräberfeldes, welches sich womöglich bis zur Ringgrabenanlage Pömmelte erstreckte, bleiben noch zu klären. Bisherige Erkenntnisse deuten an, dass die beiden Rondelle für die Bestattungsgemeinschaft an der Elbe keine wahrnehmbare Rolle mehr spielten. In Schönebeck erhärtet sich der Verdacht, dass von der ursprünglichen Kreisgrabenanlage nichts mehr wahrzunehmen war.

 

Text: Florian Helmecke
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

B. Großkopf, Leichenbrand. Biologisches und kulturhistorisches Quellenmaterial zur Rekonstruktion vor- und frühgeschichtlicher Populationen und ihrer Funeralpraktiken (Dissertation Universität Leipzig 2004). 

R. Maraszek, A. Muhl, R. Schwarz und B. Zich, Glutgeboren. Mittelbronzezeit bis Eisenzeit. Begleithefte zur Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle 5, 2015, 25–30, 45–52.

A. Spatzier, Das endneolithisch-frühbronzezeitliche Rondell von Pömmelte-Zackmünde, Salzlandkreis, und das Rondell-Phänomen des 4.–1. Jt. v. Chr. in Mitteleuropa. Forschungsberichte des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 10/I, 2017, 277–279.

A. Spatzier, The enclosure complex Pömmelte-Schönebeck: The dialectic of two circular monuments of the late 3rd to early 2nd millennium BC in Central Germany. In: H. Meller und F. Bertemes (Hrsg.), Der Aufbruch zu neuen Horizonten. Neue Sichtweisen zur europäischen Frühbronzezeit [Abschlusstagung der Forschergruppe FOR550 vom 26. Bis 29. November 2010 in Halle (Saale)]. Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 19 (Halle 2019), 421–443.

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