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Fund des Monats

Juni 2002: Ein neuer Fund an alter Stätte

Der Faustkeil aus dem Eiskeil

Am 9. 10. 2000 entdeckte der damalige Museumsleiter Andreas Geisler aus Egeln im Karstgebiet der ›alten Ziegelei‹ von Westeregeln einen Faustkeil. Diese Entdeckung rückt diesen schon sehr lange bekannten Fundplatz nun auch wieder als wichtige Station der mitteldeutschen Altsteinzeit in den Blickpunkt. Bereits im Jahre 1820 wurde Westeregeln als Knochenfundstelle bekannt. Erstmals berichtete man damals von großen Mammutknochen und Backenzähnen vom Rhinozeros und Pferden. Überregionale Bedeutung erlangte Westeregeln jedoch erst durch die intensiven Forschungen von Alfred Nehring, der zwischen 1871 und 1881 Oberlehrer in Wolfenbüttel, und danach Professor für Zoologie in Berlin war.

Seit 1874 führte Nehring auf dem Gelände eines Gipssteinbruches Beobachtungen und Sammlungen durch. Schnell erkannte er, dass in den Taschen und Klüften der Gipshügel zahlreiche Reste eiszeitlicher Tiere eingelagert waren. (Abbildung 1) Unter Vorwegnahme moderner Forschungsmethoden bei der Klimarekonstruktion, zum Beispiel der Wichtigkeit der kleinen Nagetiere, war er denn auch der erste Forscher, der eine eiszeitliche Steppe in Norddeutschland nachwies.

Er kam zu dem Schluss, dass es sich um eine steppenartige Landschaft gehandelt haben musste, die »in einem direkten Zusammenhang mit dem osteuropäischen Steppengebiet gestanden hat«. Zu den damals beobachteten Tierarten gehörten aber auch Großsäuger, außer den schon erwähnten Arten Wolf, vielleicht Bär, Pferd, Auerochse, sowie verschiedene Vögel und zahlreiche Molluskenschalen. Zur Illustration entwarf er auch sehr lebendige Lebensbilder dieser Zeit.

»In der Steppe herrscht bis zum gänzlichen Verdorren der Vegetation ein reges Leben in der Tierwelt, hier weiden die Antilopenrudel und die Pferdeherden, hier huschen die Steppennager hin und her, indem sie entweder ihrer Nahrung nachgehen oder miteinander im Spiel sich unterhalten, hier treiben sich auch zahlreiche Raubvögel und karnivore Raubtiere umher, um die wehrlosen Pflanzenfresser zu überfallen.«

Es sei daran erinnert, dass dies sogar noch vor dem forschungsgeschichtlich so bedeutsamen Jahr 1875 stattfand, in dem der schwedische Geologe Otto Torrell mit dem Nachweis von Gletscherschrammen auf dem Rüdersdorfer Kalk östlich von Berlin der Drifttheorie den Todesstoß versetzte: Nicht schwimmende Eisberge im Rahmen einer sintflutartigen Überflutung des nordmitteleuropäischen Flachlandes hatten die mitunter tonnenschweren ›Findlinge‹ nordischer Gesteinsbrocken ins nordmitteleuropäische Flachland gebracht, sondern sie waren nach dem Abschmelzen eines sich über Tausende von Kilometern erstreckenden Inlandeisgletschers liegen geblieben.

Auftritt des Menschen

In dieser Zeit hat Nehring im Rahmen seiner Geländearbeit vor Ort nicht allein pleistozäne Faunenreste beobachtet und geborgen, sondern auch zumindest eine Feuersteinklinge (Abbildung 2). Nehring fällt damit auch das Verdienst zu, den ersten Beleg aus Norddeutschland für die damals noch durchaus umstrittene Koexistenz der eiszeitlichen Tierwelt und des (fossilen) Menschen zu erbringen. Wenngleich das an einer Kante retuschierte Klingenfragment keine spezifische Geräteform bildet, die man zwingend einer eiszeitlichen archäologischen Formengruppe zuweisen muss, meinte doch V. Toepfer (1966) auf Grund der Faunenreste eine zeitliche Einordnung in das frühe bis mittlere Jungpaläolithikum aus der Zeit vor ungefähr 30.000 Jahren vornehmen zu können. Dass die Fundstelle mit ihren lössgefüllten Spalten nicht erschöpft war, belegte zunächst ein kleiner von A. Geisler im August 1993 geborgener Feuersteinabspliss (Weber 1994 [1996]), zusammen mit Knochenresten großer Säugetiere (Wollhaar-)Nashorn, Wildpferd und Wildesel1). (Abbildung 3) Ein hier genommenes Radiocarbondatum erbrachte ein (Mindest-)alter von 50.310 +1580/-1320 Jahren vor heute (KIA-10337) 2 .

Der Faustkeil

Die kürzlich vorgenommene und vorläufig letzte Begehung erbrachte dann den anfangs erwähnten Faustkeil (Abbildung 4). Bei diesem handelt es sich um einen für den mitteldeutschen Raum besonderen Fund. Zwar sind - gerade in den letzten Jahren - immer wieder Faustkeile (und mit ihnen umfangreiche Fundkomplexe einer reichen ›Begleitindustrie‹) zum Vorschein gekommen, jedoch entstammen diese fast immer einer ganz anderen Art von Fundstelle.

Es sind meist eiszeitliche Schotter, sandige bis kiesige Flussablagerungen, die der Baustoffgewinnung dienen oder in den Deckschichten von Braunkohlen-Tagebauen abgetragen werden und unseren Vorfahren schon vor Jahrzehntausenden und Jahrhunderttausenden als willkommene Rohstoffquellen dienten.

Während diese Schotterfunde in einzelnen Tagebauaufschlüssen (zum Beispiel Markkleeberg) durch die Verzahnung mit Gletscherablagerungen einigermaßen sicher geologisch datiert werden können (dort in die Saale-Eiszeit vor über 150.000 Jahren), kommt die große Mehrzahl der Entdeckungen in Schottervorkommen zutage, die unter dem Grundwasserspiegel liegen und sich so einer direkten Beobachtung und damit stratigraphischen Einordnung entziehen.

Auf Grund typologischer und technologischer Ähnlichkeiten werden diese Funde meistens auch in die Saale-Eiszeit gestellt. Das Stück aus Westeregeln gehört dagegen nach dem Ergebnis der vor Ort möglichen geologischen Beobachtungen in die letzte (Weichsel-) Kaltzeit. Auch hier kamen einige Abschläge als ›Begleitindustrie‹ zutage, und es besteht die Hoffnung, noch datierbare Faunenreste zu entdecken.

Nicht so einfach gestaltet sich die Suche nach Vergleichsfunden. Nach verbreiteter typologischer Auffassung handelt es sich bei dem nahezu dreieckigen Faustkeil um ein charakteristisches Stück aus dem nach französischen Fundorten so genannten Moustérien de tradition acheuléenne. Aus dem mitteldeutschen Raum liegt lediglich ein ähnliches Stück aus dem Kieswerk Sprotta vor (Seiler 1998). Weitere Stücke stammen natürlich aus Frankreich, so zum Beispiel aus der Höhle Pech de l´Azé (Abbildungen 5 und 6). Solche oder ähnliche Werkzeuge werden normalerweise dem Neandertaler zugeschrieben, allerdings kann dies ohne das Vorliegen von tatsächlichen Knochenfunden nicht entschieden werden. Bis zur Entdeckung weiterer Funde bleiben dem Betrachter daher nur die Gedanken Alfred Nehrings von der steinzeitlichen Nutzung der ›Gipsfelsen‹ von Westeregeln:

»Die überhängenden Gipsfelsen boten den umherstreifenden Jägern Schutz gegen Sonne, Regen und Wind; hier zündeten sie ihre Feuer an, um das Wildpret am Spieße zurösten, hier ließen sie die Knochen nach ihrem Abzuge zurück.«


Text: Thomas Porr
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

Literatur

Francois Bordes, Faustkeil und Mammut (München 1968).

M. Seiler, Mittelpaläolithische Funde bei Sprotta, Lkr. Delitzsch (Sachsen). Archäologie in Sachsen-Anhalt 8, 1998, 10-13.

Volker Toepfer, Westeregeln - ein klassischer Fundplatz für die Forschungsgeschichte des mitteldeutschen Pleistozäns. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 50, 1966, 1-20.

Thomas Weber, Bericht zur archäologischen Denkmalpflege im Regierungsbezirk Magdeburg. Archäologische Berichte aus Sachsen-Anhalt 1994, 1996, 15-26.

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