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Fund des Monats

November 2003: Sicheln im Sand

Diesen Anblick in Preußlitz (Altkreis Bernburg; heute: Salzlandkreis) werden die Mitarbeiter der Grabungsmannschaft auf der MITGAS-Trasse wahrscheinlich nicht so schnell vergessen: Zwischen den Gruben einer vorgeschichtlichen Siedlung stecken drei Sicheln aus Bronze im unberührten Sand (Abbildung 1). Niemand kann eine Verfärbung erkennen, oder eine andere Spur, die darauf hindeuten würde, dass diese Stücke eingegraben wurden. Eine natürliche Überdeckung der Funde durch erodiertes Material oder Fluss-Sedimente scheidet als Ursache aus, da der Fundort eben und auch zu weit von dem Fluss Fuhne entfernt liegt.

Als die Sicheln weiter freigelegt werden, stellt sich heraus, dass sie alle mit der Spitze nach unten im gewachsenen Boden stecken. Offensichtlich wurde vor 3000 Jahren ein Loch in den Mutterboden gegraben, bis man auf den anstehenden Sand traf. Dann bohrte man zwei Sicheln vollständig hinein und verfüllte das Loch sofort wieder. Dasselbe geschah ein paar Meter weiter mit einer dritten Sichel.

Warum aber wurden die wertvollen Sicheln vergraben? Warum liegen sie nicht in einer Grube? Hat man sie vergessen oder sollten sie nie mehr gefunden werden? Waren sie Diebesgut, Vorrat oder Weihegabe? Um bei der Beantwortung dieser Fragen weiterzukommen, müssen Fundsituation und Art der Fundstücke mit bereits bekannten Funden verglichen werden. Bei den Sicheln handelt es sich um sogenannte Knopfsicheln eines Typs der späten Bronzezeit (circa 1200 bis 800 vor Christus) (Abbildung 2). Die Bezeichnung stammt von dem Knopf, mit dem der ehemals hölzerne Griff am Ende der Klinge befestigt war. Die drei massiven Rippen, die längs der Klinge laufen, dienten der Stabilisierung. Die drei kleinen schräggestellten Rippen in der Nähe des Knopfes sollten vielleicht verhindern, dass der Griff verrutscht. Gegossen wurden die Stücke entweder in einer Stein- oder Tonform. Die Sicheln waren vor allem zum Schneiden von Getreide geeignet.
Die Deponierung von Metallgegenständen oder -schrott ist eine Sitte, die wir in der frühen und späten Bronzezeit häufig antreffen. Die Hortfunde enthalten oft so große Mengen an Bronzefunden, dass sie als Materialvorrat von Schmieden oder Händlern angesehen werden. Andere Horte werden mit rituellen Handlungen in Verbindung gebracht. Depots, die nur Sicheln enthalten, sind allerdings selten. Außerdem erfolgte die Niederlegung meistens in Gruben. Besonders in der späten Bronzezeit ist zu beobachten, dass sich viele dieser Depots in der Nähe von Befestigungen und Grabenanlagen befinden. Auch in Preußlitz befindet sich die Fundstelle in der direkten Umgebung einer doppelten Ringwallanlage, deren äußerer Graben von der MITGAS-Trasse tangiert wird. Der noch 1,70 Meter tiefe Spitzgraben konnte an einer Stelle geschnitten werden und lieferte von der Sohle größere Mengen Keramik, die in die Spätbronzezeit datiert werden können.

Auf Luftbildern ist das ganze Ausmaß der Siedlung zu erkennen (Abbildung 3). Nimmt man die Beobachtungen beim Bau der nahe gelegenen JAGAL-Pipeline hinzu, so scheint der bronzezeitliche Ort einmal den gesamten Raum auf dem rechten Fuhne-Ufer zwischen den heutigen Orten Preußlitz und Plömnitz eingenommen zu haben.

Der bisherige Stand der Untersuchung ergibt also folgendes Bild: Die Sicheln wurden einzeln und ungeschützt so mit der Spitze in den Boden gebohrt, dass die Stelle selbst für den Deponierenden schwer wieder aufzufinden gewesen wäre, sollte er sie nicht durch einen Stein oder ähnliches an der Oberfläche markiert haben. Ein Materialvorrat scheidet auch angesichts der geringen Menge als Erklärung aus. Ein unbeabsichtigter Verlust erscheint durch die besondere Lage im Boden unmöglich. Am wahrscheinlichsten ist also, dass die Stücke gezielt niedergelegt und nie mehr geborgen werden sollten. Vielleicht wollte man dem Boden, der die Familie das Jahr über ernährt hatte, den Dank mit einem Erntegerät abstatten (Abbildungen 4 und 5).

Der schmale Schnitt der MITGAS-Pipelinetrasse hat wieder einen kleinen Einblick in die Gewohnheiten und Sitten der bronzezeitlichen Bewohner Mitteldeutschlands gewährt. Doch schon die nächste Fundstelle kann unser Ergebnis in Frage stellen und verändern, denn die Archäologie steht bei der Beantwortung so vieler Fragen erst am Anfang.


Text: Stefan Mühlemeier
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

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