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Fund des Monats

Februar 2008: Der Schatz des bronzezeitlichen Farbenhändlers

Niederröblingen, Grabung A71. Es war keine besondere Aufgabe, die dem Grabungshelfer zuteil wurde: den unscheinbaren Befund 3770 sollte er mal schnell noch schneiden. Kaum in Erwartung eines großen Fundes machte er sich mit der Kelle an die Arbeit, bis er plötzlich auf kräftig rote Verfärbungen im schwarzen Erdreich stieß. Er rief nach dem zuständigen Archäologen, dem sich ein merkwürdiger Anblick bot: mehrere rotbraune Objekte lagen dicht gedrängt beieinander (Abbildung 1). Das umgebende Erdreich war stellenweise beige-bräunlich verfärbt. »Durch Hitzeeinwirkung«, dachte der Fachmann zunächst, hatte dabei wahrscheinlich verziegelte Lehmbrocken vor Augen. Aber dafür war das Zeug zu weich, und die linsenartige Form der circa acht Zentimeter großen Scheiben verwunderte den Archäologen auch – so etwas hatte er noch nicht gesehen.

»Späte Bronzezeit, vielleicht auch Eisenzeit« vermutete der Archäologe, allerdings nur aufgrund der Lage des Befundes im Boden. Denn die erhofften, datierenden Scherben fehlten leider. Die Bergung erwies sich dann auch noch als schwierig und etwa fünf der schönen roten Scheiben zerfielen dabei.
Es blieb aber genug Material übrig, um es in das chemische Labor im Landesmuseum zu bringen, damit dort getestet werden konnte, was es damit auf sich habe. »Rötel«: die Vermutung lag nahe, und von dem Chemiker wusste man, dass der sich über alles freut, was irgendwie bunt ist (Abbildung 2).

Der kratzt nun vorsichtig an den mittlerweile getrockneten, aber immer noch weichen Stücken. Alle sind rot gefärbt, braunrot genauer gesagt, mit Ausnahme eines Stückes gleicher Form: das ist beigegelb. Mit dem Skalpell werden senfkorngroße Mengen entnommen, im Mörser verrieben, erst trocken, dann mit einer Bindemittellösung. Die Farbe wird jetzt etwas satter, die farbige Paste wird mit einem Pinsel auf  Papier aufgetragen, getrocknet, gescannt und fotografiert.

Schon der Farbeindruck und das typische »Knirschen« unter dem Mörser deuten auf »Ocker« hin, eisenhaltige Tonerden, die schon im Altpaläolithikum zu Farbzwecken verwendet wurden. Endgültige Gewissheit verschafft der chemischen Schnelltest aus der »Archäognost«-Reihe. Der Eisennachweis ist positiv, die Glühprobe charakteristisch: sowohl gelber als auch roter Probe werden in der Hitze schwarz und bei Erkalten rot. Im Gegensatz zu Zinnober, der ein ähnliches Verhalten zeigt, lassen sich unsere Proben durch Glühen nicht verdampfen (Abbildung 3).

Rötel, Pompejanisch Rot, Roter Ocker, Hämatit

Die Farbwirkung der Ocker rührt von dem Gehalt an Eisen(III)-oxiden (Hämatit, rot) und Eisen(III)-oxidhydraten (gelblichorange) her. Je nach Art, Beschaffenheit (zum Beispiel Partikelgröße) und Konzentration können diese Ockererden ein breites Spektrum gedämpfter Farbtöne von blassgelb über braunorange, rotbraun bis violettbraun annehmen. Stark eisenhaltige, rote Sorten werden als »Rötel« bezeichnet.
Bei aller Freude über die schönen roten Linsen aus unserem Farbenschatz haben wir das gelbe Ockerstück noch nicht betrachtet. Im Unterschied zu »Rötel« finden sich gelbe Ockerstücke im archäologischen Befund eher selten, vielleicht, weil gelber Ocker im Erdreich weniger auffällig ist.
Es liegt aber der Verdacht nahe, dass es sich bei dem gelben Ockerstück um eine Vorstufe handeln könnte. Gelbe Ockersorten lassen sich nämlich bequem in roten Ocker überführen, indem man ihn auf Temperaturen über circa  300 Grad erhitzt. Dabei entwässern die farbgebenden gelben Eisenoxidhydrate (Limonit, Goethit) und ergeben den roten Hämatit.
Eine Probe des gelben Materials wurde aus Interesse im Labor geglüht, und siehe da: es wurde rot. Im Farbaufstrich kann man es dann kaum vom Rötel unterscheiden. Den Unterschied sehen wir erst im FT-IR-Spektrum (Abbildung 4).

Die Unterschiede der Spektren bedeuten: der gelbe Ockerklumpen war als eigenständiges Farbmaterial gedacht; ist also nicht die ungebrannte Vorstufe der roten Ockerklumpen.

Ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte

»Rötel« gehört zu den ältesten Farbsubstanzen der Menschheitsgeschichte. Schon in der Altsteinzeit hat man Tote damit bestreut und bestattet, und Höhlenmalereien wären ohne seine warme, lebendige Farbe undenkbar. Aus Bad Frankenhausen kennen wir ein »Malset« mit Hämatit beziehungsweise Rötelsteinen (22.000 bis 12.000 vor Christus), und die berühmte »Schamanin« aus Bad Dürrenberg (Mesolithikum) bekam ein »Schminkset« mit ins Grab gelegt: einen Knochenstift als Malwerkzeug und das dazu gehörigen Rötelstück als Farbvorrat. Besonders spannende Funde sind in Mitteldeutschland aus der späten Bronzezeit auf uns gekommen: neben einem ganzen »Farbtopf« (Westorf, Burgenlandkreis) sind da Reste von bemaltem Hausputz aus Rottelsdorf zu erwähnen (Abbildung 5).

Man kann Muster aus Streifen und  Punkten erkennen, die mit Rötel auf dem Kaolin-geweißelten Untergrund aufgetragen wurden. Alle paar Jahre hat man die Dekomalerei wieder erneuern müssen, wahrscheinlich, weil sie mangels stabiler Bindemittel nicht hinreichend wetterfest war. Bis zu 14 übereinanderliegende Farbschichten lassen sich an den Putzresten zählen. Mit etwas Phantasie kann man sich vorstellen, wie bunt die Lebenswelt der Vorgeschichte eigentlich gewesen sein muss, dank »Ocker, Rötel und Co«. Jedenfalls ist das weit verbreitete Bild einer »grauen Vorzeit« sicher völlig falsch (Abbildung 6).

Wie ein roter Faden legt sich die rote Erde durch die Kulturgeschichte der Menschheit. Das dunkelrot spiegelnde »Tectorium« der prachtvoll glänzenden »pompejanischen« Wandmalerei besteht aus sorgsam geglättetem Rötelanstrich, den magischen Glanz bekam man hin, weil man eine weitere Eigenschaft des vielseitigen Materials ausnutzte: seine leichte Polierbarkeit.
Rötel ist auch da, wo man ihn nicht sieht: als »Bolusgrund« verleiht es Blattvergoldungen ihren Glanz, und noch heute verwenden Juveliere und Optiker das »Pariser Rot« als Polierpaste, um ihren Erzeugnissen den »letzten Schliff« zu verpassen.

Rot !

Die Farbe Rot erweckt unweigerlich Assoziation an Blut und Feuer, sie steht damit für Leben, aber auch für Gefahr durch Verletzung. Heute kennen wir Rot als warnende Signalfarbe (Ampel, Not-Aus-Taster). Die Feuerwehr ist rot, rot ist die Liebe, so sagt man, und rote Umlaufmappen sind im öffentlichen Dienst bevorzugt zu behandeln. Im politischen Raum ist rot keineswegs nur der »Linken« vorbehalten, denn sonst würden konservative Politiker keinen roten »Teppich« betreten. Die bis in das 19. Jahrhundert geläufigen Bezeichnungen für diverse Rotocker und Rötelsorten belegen, dass dieses Farbmittel lange mit dem leuchtend roten Blut in Verbindung gebracht wurde: »Hämatit« (griechisch αἷμα, Blut), »Blutstein«, »Ochsenblutfarbe« (18. Jahrhundert nach Christus)

Braunes Blut ?

Seien wir doch mal ehrlich: die oben abgebildeten Farbaufstriche würden wir heute beim besten Willen nicht als »blutrot« bezeichnen, sind das nicht eher stumpfe Brauntöne?
Gab es denn keine anderen, wirklich blutroten Farbmittel? Nein. Im prähistorischen  Mitteldeutschland stand keine Substanz zur Verfügung, die intensiver rot gefärbt und gleichzeitig auch hinreichend stabil war, um brillantere rote Färbungen zu erzeugen. Alles andere Rot war so vergänglich wie die untergehende Sonne: echtes Blut verdirbt ebenso wie die Farbe roter Blütenblätter oder Beerensäfte. Geändert hat sich das erst im ersten Jahrhundert nach Christus, als Importe des extrem teuren Zinnobers (Quecksilbersulfid) aus dem römischen Reich bis nach Mitteldeutschland gelangten.
Auch in unseren Tagen bilden Eisenoxidpigmente wegen des geringen Preises und der herausragenden Stabilität den mengenmäßig größten Anteil aller industriell hergestellten Pigmente. Gewonnen werden sie aus Chemieabfällen. Wir finden sie in Rostschutzfarben, in Anstrichmitteln (»RAL 3009 Oxidrot«) genauso wie in gefärbten Betonpflastersteinen und Lärmschutzwänden. Aber mit »blutrot« würden wir diese Farbe heute wohl nicht mehr in Verbindung bringen.  

Früher war Rötel auch schon mal roter

Rot-Grün täuscht Brillanz vor

In prähistorischer Zeit war Rötel jedoch roter als heute, zumindest erschien er so.
Grund ist eine Wahrnehmungstäuschung, der so genannte »Simultankontrast«. Die Wirkung einer Farbe wird scheinbar verstärkt, wenn sie sich in einer Umgebung komplementärer Farben befindet. Um das zu verdeutlichen, haben wir  ein Stück der Rötelklumpen unter identischen Beleuchtungsbedingungen einmal vor einem roten, einmal vor einem blaugrünen Untergrund fotografiert (Abbildung 7 und 8).

Im letzten Falle wirkt unser Klumpen plötzlich brillant rot, im ersten Falle, im Vergleich zu dem »wirklich« roten Karton, eher »braun«. Noch bis in die Neuzeit hinein war dies der klassische Kontrast zwischen der vom Menschen geschaffene »Zivilisation« und der grünen, natürlichen Umgebung. Mit Rötel versehene Bauten hoben sich vor der grünlich getönten Landschaft auffällig ab und dürften einen erhabenen Eindruck vermittelt haben (Abbildung 9). Das ergab eine ästhetische Wirkung, die bei der heutigen Inflation schriller (und billiger) Farben kaum noch nach zu vollziehen ist.


Text: Hans Szedely, Christian Heinrich Wunderlich
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

 

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