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Fund des Monats

Oktober 2009: Der älteste Magdeburger?

Ein spätsächsisches Grab aus der Altstadt von Magdeburg

Es war nicht zu übersehen, dass sich schon einmal jemand an ihm zu schaffen gemacht hatte. Denn dem Toten, der in 2,2 Meter Tiefe unter dem modernen Pflaster der Max-Josef-Metzger-Straße lag, fehlte nicht nur der Kopf, auch über seinen Unterkörper zog der Betonsockel der Fernwärmeleitung aus DDR-Zeiten. Allein dem Umstand, dass man bei den Bauarbeiten der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht noch wenige Zentimeter tiefer gegangen war, ist der Erhalt eines bedeutsamen Zeugnisses aus den Anfängen Magdeburgs zu verdanken. Anders als damals wurde die neuerliche Aufdeckung des Grabes, die durch Sanierungsarbeiten verursacht war, dieses Mal aber archäologisch begleitet. Ein bisschen war es allerdings auch hier der Zufall, der bei der Entdeckung des Grabes Regie führte. Um einen sich an der Seitenwand des Fernwärmegrabens abzeichnenden Befund vollständig zu dokumentieren, wurde das Grabenprofil nach unten in die erforderliche Tiefe erweitert. Völlig unerwartet stieß man dabei auf einige Knochen, die sich rasch als Oberkörper eines Menschen entpuppten (Abbildung 1). Wie die spätere anthropologische Bestimmung ergab, handelte es sich um das Skelett eines erwachsenen, mindestens 25 Jahre alten Mannes (Autopsie: Dr. Veit Dresely, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt). Hingegen ließ sich aufgrund der stark eingeschränkten Beobachtungsmöglichkeiten nicht mehr klären, ob sich in der unmittelbaren Nachbarschaft einst weitere Bestattungen befunden hatten.

Nun sind Gräber in einer Stadt des Mittelalters zunächst einmal nichts Besonderes. Bis in das 18. Jahrhundert, also weit über das Ende des Mittelalters hinaus, bestattete man die Toten in und um die Kirchen. Zudem lag das aufgedeckte Grab gerade einmal 18 m südlich der im frühen 11. Jahrhundert errichteten Kirche St. Sebastian (Abbildung 2). Schon auf den ersten Blick war allerdings klar, dass dieser Tote kein christliches Begräbnis erhalten und nie eine Kirche von innen gesehen hatte. Entgegen der seit der Spätantike üblichen, wenn auch kirchlicherseits keineswegs zwingend vorgeschriebenen West-Ost-Ausrichtung hatte man diesen Toten mit den Beinen im Norden und dem Kopf im Süden bestattet. Da die in der Umgebung Magdeburgs und vor allem auf dem östlichen Elbeufer siedelnden heidnischen Slawen ihre Toten bis in das 10. Jahrhundert hinein verbrannten, scheiden diese allerdings aus.

Schnell kam daher der Verdacht auf, dass hier womöglich ein Grab aus der Zeit um oder gar vor der Ersterwähnung Magdeburgs im Jahre 805 vorliegen müsse; genauer gesagt, dass es sich bei dem unbekannten Toten um einen Sachsen gehandelt habe. Bei den Angehörigen dieses Stammes war gerade im 7. und 8. Jahrhundert neben Brandgräbern, die jedoch mehr und mehr an Bedeutung verloren, die Beisetzung des Leichnams in Süd-Nord-Richtung weithin üblich. Eine naturwissenschaftliche Untersuchung einiger Rippenknochen bestätigte die Vermutung: Die Radiocarbon-Analyse, also die Messung des in den Knochen erhaltenen Kohlenstoffes, erbrachte eine Datierungsspanne zwischen den Jahren 682 und 888, also zwischen dem späten 7. und dem späten 8. Jahrhundert. Weitere Indizien untermauern und präzisieren diesen Zeitansatz. Bei der einzigen nachweisbaren Beigabe, einem Messer mit markantem Rückenknick (Abbildung 3), handelt es sich um eine typische Form, wie sie ab dem 7. Jahrhundert in frühmittelalterlichen Gräbern häufiger zu finden ist. Wie die am Messer in geringen Resten anhaftenden Reste eines Leinenstoffes zeigen (Restaurierung und Konservierung: Vera Keil, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt), war der Tote wie üblich in seinen Kleidern und mit seiner persönlichen Ausstattung begraben worden. Anhaltspunkte für einen Baum- oder Brettersarg, wie er in dieser Zeit des Öfteren verwendet wurde, konnten indes nicht festgestellt werden. Die recht ärmliche Ausstattung lässt dabei auf zweierlei schließen: Zum einen war es sicherlich kein reicher oder gar adeliger Mann; diesen legte man im Allgemeinen die vollständige Waffen- und Reitausrüstung mit ins Grab, gelegentlich folgte sogar das Lieblingspferd mit in den Tod. Zum anderen deutet die geringe Zahl an Beigaben bereits an, dass hier ein eher spätes Grab vorliegt, da die Sachsen, wohl durch das Vorbild des Frankenreiches beeinflusst, ab dem 8. Jahrhundert den Toten immer weniger für ihre Fahrt ins Jenseits mit auf den Weg gaben, bis dann im folgenden Jahrhundert die beigabenlosen Gräber dominieren.

Noch im 8. Jahrhundert ist zudem eine weitere Neuerung im Totenbrauchtum zu beobachten: Von der vorherrschenden Süd-Nord-Richtung wechselte man zur Beisetzung in West-Ost-Lage. Wüsste man nun genau, wann dieser Wechsel abgeschlossen war, ab wann also nur noch in West-Ost-Richtung bestattet wurde, ließe sich auch unser Sachse aus Magdeburg zeitlich exakter eingrenzen. Leider ist aber die Entwicklung von Region zu Region recht unterschiedlich verlaufen, und die großen spätsächsischen Gräberfelder des östlichen Nordharzvorlandes und der Börde wie Halberstadt-Wehrstedt und Osmarsleben mit jeweils mehreren hundert Toten sind bislang nur teilweise oder gar nicht ausgewertet worden. In beiden Gräberfeldern überwiegen die Beisetzungen in West-Ost-Richtung, in Osmarsleben wurden gar nur Gräber mit dieser Orientierung gefunden. Sie legen aber zumindest den Schluss nahe, dass Nord-Süd gerichtete Bestattungen im 9. Jahrhundert weithin unüblich gewesen sind. Mit aller Vorsicht wird man daher annehmen können, dass auch das Magdeburger Grab in das 8. Jahrhundert gehört, vielleicht mit der Einschränkung, dass nach derzeitigem archäologischen Kenntnisstand auch eine Beisetzung erst im frühen 9. Jahrhundert nicht auszuschließen ist.
Ein wenig eingegrenzt wird der Zeitpunkt des Begräbnisses zusätzlich durch die politischen und religiösen Begleitumstände. Im Verlauf der Kriege gegen die noch heidnischen Sachsen drang erstmals im Jahre 780 ein fränkisches Heer unter Karl dem Großen bis an die Ohremündung vor; durchaus könnte der Frankenkönig auch den Raum um Magdeburg gestreift haben. Gerade mit Blick auf die spätere Entwicklung ist dabei nicht ohne Interesse, dass der Name Magdeburg im Bericht der Reichsannalen nicht fällt. Ob die Gegend schon ab diesem Zeitpunkt dauerhaft unter fränkischer Herrschaft stand, verraten die Quellen allerdings nicht. Im Gefolge der fränkischen Eroberer suchten von nun an vermehrt Missionare das noch tief im Heidentum steckende Land auf, um die christliche Lehre zu predigen und vielleicht schon erste Kirchen zu bauen. Unterstützt wurden solche Bemühungen durch drakonische Gesetze, die empfindliche Strafen für heidnisches Brauchtum vorsahen. Gleichwohl können die mehrfachen Berichte über Massentaufen bei den Sachsen nicht darüber hinwegtäuschen, dass von einer wirklichen christlichen Durchdringung der gesamten Bevölkerung kaum die Rede gewesen sein kann. Sicherlich ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur vollständigen Christianisierung war dann die Gründung des Bistums Halberstadt vor 814, zu dem bis zur Zeit Ottos des Großen auch der Magdeburger Raum gehörte. Auch wenn nun keineswegs alle - und schon gar nicht alle zugleich - Christen geworden waren, befand sich der heidnische Glaube seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert sicherlich auf dem Rückzug - in den größeren Orten mehr als auf dem Land. In Magdeburg dürfte es jetzt zunehmend schwieriger geworden sein, die Toten noch nach der Sitte der Väter, also nach heidnischem Ritus zu bestatten.

Der Ort wird erstmals zum Jahr 805 genannt, und zwar zugleich in der Chronik des französischen Klosters Moissac und im sogenannten Diedenhofer Kapitular. Letzteres, eine Anordnung Karls des Großen, nennt außer Magdeburg eine Reihe weiterer Plätze, an denen der Handel mit den Slawen erlaubt war, darunter etwa Bardowiek in Niedersachsen und Erfurt. Immerhin lassen die Quellen erkennen, dass hier an der Elbe zu Beginn des 9. Jahrhunderts ein mittlerweile nicht mehr ganz unbedeutender Ort existiert haben muss. Folgt man überdies der jüngsten Interpretation der Namensforschung, bedeutet der Name »Magadoburg« nichts anderes als »große Burg«. Trotz intensiver, bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurückreichender archäologischer Forschung ist es allerdings bis heute nicht so recht gelungen, den Ort der Erstnennung wirklich nachzuweisen. Sowohl die wenigen frühen Siedlungsreste als auch die verschiedenen Befestigungsgräben, die im Süden der Altstadt aufgedeckt werden konnten, sind von der Forschung recht unterschiedlich datiert worden. Vereinfacht gesagt, ist das Magdeburg in der Zeit seiner Ersterwähnung immer noch ein ziemlich unbekannter Platz. Hier liefert nun das frühmittelalterliche Grab aus der Max-Josef-Metzger-Straße tatsächlich einen wichtigen Anhaltspunkt, dass der Ort des Diedenhofer Kapitulars nicht nur ein ausschließlich saisonal aufgesuchter Handelsplatz gewesen sein kann, sondern dass es durchaus eine ortsansässige Bevölkerung gegeben haben muss. Zugleich verrät der offenkundig heidnische Charakter des Grabes aber auch, dass die Gegend um das spätere Magdeburg erst durch die Sachsenkriege zwischen 772 und 804 unter fränkische Herrschaft und damit unter christlichen Einfluss gelangt sein kann.


Text: Christian Gildhoff
Online-Redaktion: Tomoko Emmerling, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

T. Capelle, Die Sachsen des frühen Mittelalters (Darmstadt 1998).

J. Kleemann, Sachsen und Friesen im 8. und 9. Jahrhundert. Eine archäologisch-historische Analyse der Grabfunde. Veröffentlichungen der urgeschichtlichen Sammlungen des Landesmuseums zu Hannover 50 (Oldenburg 2002).

M. Springer, Die Sachsen (Stuttgart 2004).

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