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Fund des Monats

April 2010: Das »CRESS-Projekt«

Experimentelle Studien zur Charakterisierung agrochemischer Substrateigenschaften als neue Methode in der archäologischen Forschung

Luftbildarchäologie ist eine schon lange eingeführte Methode der Schnellerkundung in der Archäologie. Das Prinzip ist offenbar schon weitaus länger bekannt als seine praktische Anwendung. Eine Handzeichnung vom Anfang des 17. Jahrhunderts aus dem Archiv der Marienbibliothek in Halle, die mit einigen Vorbehalten Schülern des Botanikers Leonhard Fuchs zugeschrieben wird, erläutert das Zustandekommen von positiven und negativen Bewuchsmerkmalen im Ackerbau durch unterschiedlicher Bodenverhältnisse (Abbildung 1). Auf der Skizze ist zu erkennen, wie mit Mutterboden verfüllte Gräben wachstumsfördernd wirken, und Mauerzüge zu negativen Bewuchsmerkmalen führen. Doch erst mit der Verfügbarkeit von Luftschiffen und Flugzeugen in den 1920er Jahren setzte die systematische archäologische Lufterkundung ein (Abbildungen 2 und 3).
Während Bewuchseigenschaften schon lange die Grundlage der Luftbildarchäologie bilden, werden sie zu weitergehender Bodencharakterisierung in der Vorgeschichtswissenschaft noch vergleichsweise selten analysiert. Ein Forschungsprojekt des Sachgebietes »Neue Methoden in der wissenschaftlichen Archäologie« am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt hat sich der Aufgabe verschrieben, diese Forschungslücke zu schließen. Die ersten Ansätze des transdisziplinären Vorhabens, an welchem sich auch die Landwirtschaftskammer Zschörbesleben im Rahmen des EU-Förderprogramms »Crop Research in Environmental Sciences and Survey« (CRESS) beteiligt, wurden dieser Tage der Öffentlichkeit vorgestellt. Grundansatz ist die Charakterisierung von Paläoböden, prähistorischen und mittelalterlichen Ackerböden durch vergleichende Wachstumsversuche mit standardisierten Nutzpflanzen. Zunächst wird aus den Proben des zu untersuchenden Horizonts – beispielsweise bandkeramische Siedlungsgruben mit noch erhaltener, prähistorischer Schwarzerde – etwa 20 Kubikzentimeter Bodenmaterial entnommen. Zusammen mit Vergleichsmaterial, so etwa anstehendem Unterboden wie zum Bespiel Löß, mittelalterlichen degradierten Schwarzerdeböden oder Sandböden aus einer Wüstung in der Altmark – wird es in kleine Kunststoff-Bioreaktoren gegeben. Nach guter Befeuchtung mit destilliertem Wasser werden die Brutreaktoren ans Licht gestellt und mit geeignetem, standardisiertem Saatgut besät. Als besonders geeignet hat sich hierfür gewöhnliche Gartenkresse (Lepidium sativum) wegen ihres schnellen Wuchses heraus gestellt. Im Bild sind die Ergebnisse unterschiedlicher archäologischer Böden nach einem 8-tägigen Wachstumsversuch deutlich zu erkennen.

Aus einer Wüstungsgrabung (Wüstung Ödelegen bei Stendal) aus der Altmark stammt die erste Probe. Das »enttäuschende« Ergebnis zeugt von dramatischem Nährstoffmangel und offenbar ungenügender Wasserhaltung. Das Ergebnis des Experimentes beantwortet die Frage, warum die Altmark nie eine hohe Siedlungsdichte erreicht hat. Die folgende Probe ist ein vergleichbarer Boden, der nur wenige Handbreit unter Probe Nummer 1 entnommen wurde. Hier handelt es sich bereits um den anstehenden Boden, eine Bodenart, die noch nicht durch neolithische oder nachfolgende landwirtschaftliche Tätigkeit in Anspruch genommen wurde. Der Wuchs der Versuchspflanzen ist zwar spärlich, zeigt aber, dass eine kurzfristige neolithische Erstbesiedlung der Altmark durchaus möglich war, jedoch anschließend Hungersnöte einen Großteil der ersten Siedler dahin gerafft haben dürften. Probe 3 stammt aus einer Stadtkerngrabung in Magdeburg (anstehender Lößboden), bei Probe 5 handelt es sich um einen entsprechenden Boden aus dem Innenstadtbereich von Halle.

Die Unterscheidbarkeit der beiden innerstädtischen Proben gestaltet sich rein visuell schwierig.
Die Auswertung ist auch von lokalpolitischen Meinungsschwierigkeiten überlagert, da beide Städte für sich reklamieren, den besten Boden für Kultur zu bieten. Sicher ist jedoch, dass beide Kulturen nach dem »Gießkannenprinzip« im Wachstum gefördert werden müssen.
Probe Nummer 4 ist schon aufgrund ihrer dunklen Färbung als prähistorische Schwarzerde zu erkennen. Sie stammt aus einer Siedlungsgrube aus Spergau im Saalkreis. Die einstigen Bewohner haben hier offenbar nicht nur fruchtbaren Boden, sondern auch überflüssige Nahrungsmittel deponiert, um sie dem Zugriff ihrer städtischen Nachbarn  zu entziehen. Selbstverständlich gedeiht hier alles wunderbar (Abbildung 4).

Die Bewuchsmethode lässt sich auch auf kleinen Flächen ortsauflösend anwenden. Blockbergungen archäologischer Funde sind mittlerweile eine Standardmethode, die nicht mehr näher erläutert werden muss. Neu ist, dass solche Bergungen archäologischer Befunde vor der Laborausgrabung flächendeckend einem Wachstumsscreening mit Kresse unterzogen werden. Auf diese Weise können Kleinstbefunde sichtbar gemacht werden, die bei einer konventionellen Präparation sicher nicht entdeckt worden wären. Im vorliegenden Fall (siehe Bilderfolge Abbildungen 5 bis 7) konnte sogar eine »Miniaturkreisgrabenanlage« visualisiert werden. Solche Anlagen dienten möglicherweise als modellartige Vorstufe zu den bekannten Großanlagen wie Pömmelte oder Goseck. Am Bewuchsverhalten kann sogar die exakte astronomische Ausrichtung solcher Anlagen verifiziert werden: Deutlich sichtbar richtet sich der Pflanzenwuchs nach dem Sonnenstand.


Text: Christian Heinrich Wunderlich
Online-Redaktion: Tomoko Emmerling, Anja Lochner-Rechta

 

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