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Fund des Monats

Juni 2011: Eine besondere Siedlungsbestattung mit Trommeln in einer befestigten Bernburger Siedlung bei Haldensleben

Die archäologische Erforschung der Vergangenheit lebt einerseits vom Generalisierenden und dem Mittelmaß, da mit ihm die Lebensumstände des Alltags beschrieben werden. Andererseits sind es aber immer wieder die herausragenden, ungewöhnlichen oder einmaligen Funde und Befunde, die nicht nur Aufmerksamkeit erregen, sondern auch Umbrüche, Krisen oder Schicksalsschläge der Vergangenheit offenbaren.
Die nachfolgend dargestellte Sonderbestattung von drei Menschen mit mehreren Tontrommeln innerhalb einer nicht ungewöhnlichen Siedlung des Bernburger Horizontes zeigt das Spannungsfeld zwischen Alltag und Schicksal vor 5.000 Jahren.

Der Fundort

Die Siedlung der Bernburger Kultur befindet sich südlich von Haldensleben (Landkreis Börde) auf einem exponierten Sporn in fortifikatorisch guter Lage. Nach Norden und Westen fällt das Gelände steil zum Tal der Beber und einem Nebenfluss ab, nach Süden und Osten wird die Siedlung durch ein mehrfaches Grabensystem geschützt, das maximal 2,8 Hektar, einfasst (Abbildung 1). Innerhalb der Siedlung fällt das Gelände von einer leichten Anhöhe im Osten nach Westen sanft ab und bildet kurz vor dem Steilabfall eine leichte Senke aus. In der archäologischen Ausgrabung im Sommer 2010 waren diesem Relief entsprechende Bereiche von Erosion und Akkumulation zu beobachten. Auf einer Fläche von 1100 Quadratmeter wurden die Spuren der neolithischen Menschen freigelegt. Die vorliegenden Befunde, unter anderem kegelförmige Silogruben, die zahlreich gefundene Keramik, Mahlsteine, Tierknochen und Pflanzenreste erlauben es, die Alltagswelt in der Zeit zwischen circa 3.150 und 2.700 vor Christus (kalibriert) zu beschreiben.

Der Befund

Die Überraschung ist entsprechend groß, als in einer keramikreichen, ansonsten aber gewöhnlichen Grube im zentralen Bereich der Siedlung plötzlich Menschenknochen freigelegt werden. Die Grube ist noch 15 Zentimeter tief erhalten, mit einem rundlichen Durchmesser von 140 Zentimeter oben und etwa 100 Zentimeter am Grund. Mit den geraden, leicht einziehenden Seiten und der planen Sohle zeigt der Befund ein gewöhnliches Profil, wie es innerhalb der Siedlung mehrfach belegt ist.

Aus dieser nur geringmächtigen Grube können 555 teils sehr kleine Keramikfragmente, acht Fragmente gebrannten Lehms, 17 Feuersteinartefakte, ein Mahlsteinfragment, 33 Tierknochenfragmente und, besonders wichtig, 396 Fragmente von Menschenknochen geborgen werden. Nur 79 Keramikfragmente weisen eine ausreichende Erhaltung auf und erlauben es, drei Trommeln und acht Gefäße aus Ton sicher zu identifizieren. Der sehr hohe Anteil kleiner und kleinster Fragmente ist auf die lokale Erosion und die daraus resultierende Lage im Pflughorizont zurückzuführen. Leider sind große Teile des Befundes im Laufe der Jahrhunderte bereits zerstört worden. Und dennoch – Glück im Unglück – dominieren im Fundmaterial die für die archäologische Datierung besonders wichtigen Ränder und oberen Gefäßhälften. Die Gefäße standen oder lagen wohl überwiegend kopfüber in der Grube.
Mit diesem Detail nimmt der Befund innerhalb der Siedlung doch wieder eine Sonderstellung ein, zudem ist die Vollständigkeit der Gefäßprofile auffallend.

Die Funde

Von der ersten Trommel lässt sich die obere, kesselartige Hälfte des Resonanzkörpers mit einem Durchmesser von 25 Zentimeter auf einer Höhe von 20 Zentimeter gut rekonstruieren (Abbildung 3.1).

Die Bruchkanten zeigen eine mittlere bis grobe Granitgrußmagerung, an der gut geglätteten  Oberfläche von rotbrauner und auch schwarzer Färbung treten aber nur einzelne Glimmerplättchen auf. Die Trommel besitzt einen randständig umlaufenden Kranz aus ursprünglich zwölf oder 13 Knubben, der zur Befestigung der Bespannung gedient hat. Unter diesem Kranz folgt ein fünf Zentimeter breiter Henkel, ein weiterer kann aufgrund der Erhaltung ausgeschlossen werden. Die Verzierung besteht aus einem ausgesparten Winkelband, das durch gegenständig angeordnete, mit feinen Stichfolgen gefüllten Dreiecken gebildet wird. Dieses Band wird durch den Henkel unterbrochen; hier befinden sich vier, jeweils paarig gegenständig angeordnete Tannenzweigmuster. Die Verzierung ist eher zügig ausgeführt mit deutlich erkennbaren Unstimmigkeiten in der Symmetrie.
Das Muster des ausgesparten Winkelbandes findet sich auch auf den beiden weiteren, deutlich schlechter erhaltenen Trommeln, ebenso randständige Knubben und in einem Fall der Hinweis auf einen abgebrochenen Henkel (Abbildungen 3. 2 und 3.3). Die drei Oberteile der Trommeln unterscheiden sich vorrangig durch das Profil. Hinzu kommt ein Trommelfuß, der zumindest den beiden besser erhaltenen Instrumenten aufgrund der Proportionen nicht zugewiesen werden kann. Die Zugehörigkeit zum dritten Exemplar ist aber nicht auszuschließen (Abbildung 3.4).

Bei den sechs erkennbaren Gefäßformen handelt es sich um fünf Tassen und ein Vorratsgefäß mit durchlochtem Rand. Die Tassen weisen einen bauchigen Körper mit einem leichten Schulterabsatz auf und sind, soweit erkennbar, unverziert. Zwei Exemplare weisen einen zylindrischen, leicht ausschwingenden Rand auf (Abbildung 4.2 und 4.5). Bei der einen Tasse kann aufgrund des erhaltenen Randes oberhalb der abgebrochenen Handhabe auf einen aufbiegenden Grifflappen geschlossen werden. Bei der zweiten Tasse dieses Typs erscheint dies gleichfalls plausibel. Zwei weitere Tassen weisen einen gerade aufsteigenden und einen ebenfalls geraden, aber leicht konisch nach innen weisenden Rand auf (Abbildung 4.1 und  4.4). Nur in einem Fall ist ein kleiner Henkel unter dem Schulterabsatz erhalten (Abbildung 4.1). Die fünfte Tasse ist lediglich durch einen weiteren Henkel belegt (Abbildung 4.6).
Abschließend ist von den Flintgeräten aus der Grube noch ein Querschneider zu nennen. Hierbei handelt es sich um eine kleine, aber sehr effiziente Pfeilspitze, die bei der Jagd eingesetzt breite, stark blutende Wunden erzeugt. Der Verbreitungsschwerpunkt dieser Projektile liegt deutlich im Bereich der nordischen Trichterbecherkultur und beginnt unmittelbar nördlich der Siedlung am Olbetal. Nur wenige Funde können aus dem südlich anschließenden Bernburger Verbreitungsgebiet angeführt werden: bei Barby, Klein Zerbst, Halle und Gräfentonna.

Die bisher beschriebenen Instrumente und Gefäße sind typisch für Bernburger Inventare und treten gleichermaßen in Gräbern und Siedlungen auf. Ergänzt werden muss noch der durchlochte Rand eines großen konischen Topfes, eine Gefäßform, die regelhaft in Siedlungen zu finden ist. Charakteristisch sind die bauchige Form der Tassen und das ausgesparte Winkelband der Trommeln. Letzteres tritt vor allem im nördlichen Bernburger Verbreitungsgebiet zwischen Harz und Fläming und in einem jüngeren Abschnitt des Bernburger Horizontes auf. Ein gutes Vergleichsensemble stellt unter anderem das Grab von Derenburg dar, das dem jüngeren Abschnitt (3.100 bis 2.800 vor Christus (kalibriert). zugewiesen wird.

Der anthropologische Befund

Erst die akribische anthropologische Untersuchung in Kiel offenbart die Anwesenheit von mindestens drei Individuen in der beschriebenen Grube: ein junger Mann von 21 bis 28 Jahren, ein nicht näher beschreibbarer Erwachsener und ein Kleinkind von zwei bis drei Jahren.
Doch die Autopsie offenbart noch mehr. Der junge Mann litt unter einer vermutlich als Kind oder Jugendlicher erlittenen Verletzung der linken Schulter, die zu einer gut sichtbaren Abnutzung und trichterförmigen Veränderung der Gelenkfläche zwischen Brust- und Schlüsselbein führt (Abbildung 5). Fortwährende Schmerzen und eine eingeschränkte Beweglichkeit sind die Folge. Hinzu kommt ein Knocheninfarkt – eine Unterversorgung mit Blut (aseptische Osteonekrose) -  am linken Oberarmgelenk zum Unterarm. Trotz dieser mit Schmerzen verbundenen Beeinträchtigung des linken Arms deuten diverse Spuren körperlicher Belastung auf eine aktive Teilnahme am Arbeitsprozess hin. Mit Blick auf die Fundsituation ist die Anzahl der erhaltenen Knochen gut, es fehlen lediglich Belege für den rechten Unterschenkel und den rechten Fuß.

Der zweite Erwachsene ist nur durch zwei Fragmente seines Oberschenkels belegt, der im Vergleich zu dem des jungen Mannes etwas zierlicher ausgebildet ist. Eine geringere Robustizität weist auf ein jugendliches bis frühadultes oder auch ein weibliches Individuum hin. Von dem Kleinkind konnten vor allem Fragmente vom Rumpf sowie Finger- und Handknochen geborgen werden.
Die Gemeinschaft von einem Mann, möglicherweise einer Frau und einem Kleinkind legt die Interpretation als Familie nahe, was aber bis zum Vorliegen molekulargenetischer Ergebnisse eine Vermutung bleibt. Zur Todesursache ist zurzeit gleichfalls keine Aussage möglich. Ein tödlicher Pfeilschuss ist natürlich nicht auszuschließen; der Schaft müsste dann allerdings noch im Körper gebrochen sein, denn die in den Beigaben erkennbare Sorgfalt ist mit einem im Toten steckenden Pfeil nur schwer vereinbar. Mit großer Sicherheit liegt aber eine gemeinsame Bestattung kurz nach dem gleichzeitigen Tod der Drei vor: Dies belegt die Präsenz der feinen Fingerknochen und auch des Zungenbeins des jungen Mannes.

Resümee

Was ist geschehen? Zu dem offensichtlichen Schicksalsschlag – dem gleichzeitigen Tod von drei jungen Menschen – kann bisher nichts gesagt werden. Doch die Handlung der Gemeinschaft als Reaktion ist erkennbar. Die Toten werden innerhalb der Siedlung in einer einfachen Grube bestattet. Dies geschieht mit Sorgfalt und ohne Hast – davon zeugt die Auswahl der beigegebenen Gefäße –, aber doch so zügig, dass einfacher Siedlungsabfall, zum Beispiel ein Teil der sehr zahlreichen kleinen Keramikfragmente, mit in die Grube gelangten. Die geborgenen, teils angebrannten Tierknochen von Rind und Schaf/Ziege können ebenfalls als Abfall, eventuell aber auch als Speisebeigabe gewertet werden. Die vier geborgenen Knochen des linken Hinterlaufs eines Hasen sind aber wohl nicht als zufällige Auswahl, sondern im anatomischen Verband in die Grube gelangt. Mit Brandspuren an den kleinen Fußknochen und dem Vorliegen des einst wohl muskelreichen Oberschenkels ist die Beigabe einer Hasenkeule plausibel.
Besonders ist die Auswahl des Bestattungsplatzes inmitten der Siedlung. Dies ist nach bisheriger Kenntnis nur mit insgesamt zwölf Gruben auf sieben weiteren Fundstellen geschehen, von denen sechs nördlich und nordöstlich und nur eine südlich des Harzes liegen: Derenburg, Halberstadt, Weddersleben, Gatersleben, Calbe, Köthen und Voigtstedt. Bei fast 130 bekannten Siedlungen auf rund 10.000 Quadratkilometer bereits ein auffallend geringer Prozentsatz. Nur vier Befunde bei Gatersleben, Halberstadt, Köthen und Derenburg können als Bestattungen mit Beigaben angesprochen werden, nur in zwei Fällen liegt eine Doppelbestattung und nur in einem Fall zudem die Lage innerhalb einer befestigten Siedlung vor. Der beste Vergleich ist eine Siedlungsbestattung innerhalb der befestigten Bernburger Siedlung auf dem Steinkuhlenberg bei Derenburg (Landkreis Harz). Die Grube liegt nahe dem Steilabfall zur Holtemme auf der zentralen Nordsüdachse durch das Grabenwerk. Bestattet wurden ein männlicher Erwachsener und ein Kind, unter den Fragmenten der beigegeben Gefäße lässt sich nur ein mit seltenem Textilabdruck verziertes Siedlungsgefäß konkret ansprechen.
Die Bestattung im Grabenwerk am Olbetal ist etwas besonderes, doch nicht einmalig. Aber was ist das Besondere: Sind es die jeweils bestatteten Toten oder ist es der Umstand ihres Todes, der die Gemeinschaft zu außerordentlichen Handlungen veranlasst? Eine umfassende Studie zum Neolithikum benennt als Erklärung für diese Situation zwei Modelle, zum einen eine hohe soziale Stellung, zum anderen ein geringes soziales Prestige. Beides ist für den Befund vom Grabenwerk am Olbetal nicht offensichtlich. Die zukünftige Arbeit wird verstärkt auf die kontextuelle Analyse gerichtet sein und versuchen, hinter den phänotypisch so variablen Bestattungsformen des Bernburger Horizontes eine innere Logik aufzuzeigen. Dieser Ansatz wird Siedlungsbestattungen der Salzmünder Kultur als mögliches spirituelles Substrat ebenso berücksichtigen müssen wie den Ausblick auf die unvermittelt dominierende Brandbestattung in der Schönfelder Kultur. Ergänzende naturwissenschaftliche Analysen zur Verwandtschaft und zur Datierung der Bestatteten, kombiniert mit einem erneuten Studium der aufgezeigten Vergleiche, bringen uns der Antwort hoffentlich näher.


Text: K. Fuchs, Matthias Lindemann, Christoph Rinne
Online-Redaktion: Tomoko Emmerling, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

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J. Müller, Soziochronologische Studien zum Jung- und Spätneolithikum im Mittelelbe-Saale-Gebiet (4100 - 2700 v. Chr.). Eine sozialhistorische Interpretation prähistorischer Quellen. Vorgeschichtliche Forschungen 21 (Rahden/Westf. 2001).

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