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Fund des Monats

April 2012: Auf den Spuren Otto von Guerickes

Glasfunde der frühen Neuzeit sind keine Seltenheit, doch meistens zerscherbt. Daher ist der Fund intakter Glaskugeln aus einem gewölbten Kelleraum in der Nähe der Guericke-Strasse in der ehemaligen Altstadt von Magdeburg, ein Glücksfall (Abbildungen 1 und 2). Der verstürzte Kellerraum ist wohl einer ehemaligen Apotheke oder dem Privathaus eines Gelehrten zuzuordnen. Die Glaskugeln entstammen einer Kulturschicht oberhalb eines vorhergehenden, älteren Zerstörungsshorizontes. Vermutlich geht die ältere, mit Holzkohleresten durchsetzte Schicht auf die Verwüstung Magdeburgs im Dreißigjährigen Krieg zurück. Unser Glaskugelfund stammt daher wohl aus der Zeit nach 1630.

Bei Auffindung waren fünf der insgesamt acht Glaskugeln intakt, die übrigen drei Kugeln fragmentiert. Eine der fünf intakten Kugeln von etwa zwei bis drei Zentimeter Durchmesser zerbrach leider während der weiteren Bearbeitung des Fundkomplexes.
Die Kugeln bestehen aus relativ dünnem, nahezu farblosen Glas mit schwankender Wandstärke um 0,1 bis 0,2 Millimeter. Die Objekte sind in konventioneller Glasblasetechnik aus gewöhnlichem Waldglas gefertigt. Alle Kugeln tragen einen seitlich angefügten, gläsernen, circa drei Milimeter langen, tubusartigen Ansatz. Durch den Tubus ist je ein Stück Buntmetalldraht geführt, der im Kugelinneren eine Verdickung erfährt. Diese fügt sich passgenau in die Mündung des Tubus ein. Zog man an dem Draht, konnte man den Einlass des Tubus öffnen oder schließen. Derartige Ventilvorrichtungen waren bereits in der Antike in Pumpen gebräuchlich.
 

Die unbeschädigten, hermetisch verschlossenen Glaskugeln ließen die Forscher am Landesmuseum hoffen, mehr über den einstigen Inhalt und den Bestimmungszweck dieser kleinen Glasgeräte zu erfahren. Dazu versuchte man im Museumslabor, mit einem schnell laufenden Diamantbohrer eine  Öffnung in die Glaswand zu schneiden. Doch gleich entstand dabei ein pfeifendes Geräusch, das mit einem leisen Knall abschloß, die Kugel war »implodiert«.
Ein solches Verhalten kannte der bearbeitende Restaurator von Glasobjekten bislang nicht, mit seinen Worten beschrieb er es als »wie wenn eine Glühbirne platzt«.
Die Analytik auf möglicherweise an den zerscherbten Innenwänden der Kugeln anhaftenden Substanzen ergab zunächst keinen Befund.
Also versuchte man, die verbliebenen Kugeln zerstörungsfrei, das heißt ohne sie zu öffnen, zu untersuchen. Das besondere Augenmerk richtete sich nun auf die Zusammensetzung des eingeschlossenen Gasraums. Die Methode der Wahl ist dabei die vergleichende Mittelstrecken-Raman-Laserspektroskopie (V-MRL).

Dazu wird der Untersuchungsgegenstand in eine Hochvakuum-Kammer eingebracht. Ein Laserstrahl wird zunächst an der Kugel vorbei durch zwei von der zerstörten Kugel rührende Scherben gelenkt, ein weiterer durch die intakte Kugel hindurch gesendet. Die jeweils seitlich des Strahlengangs gemessenen, sekundären Infrarotstrahlung (Stokes-Linien) werden miteinander verglichen, um so aus der Differenz beider Spektren auf den Inhalt der Kugel schließen zu können.
Für gewöhnlich erhält man auf diese Weise ein Schwingungsspektrum der am Probeinhalt beteiligten Gasmoleküle. Erhält man kein Differenzspektrum, bedeutet das, dass Inhalt und Umgebungsmedium quantitativ wie qualitativ identisch sind.
Letzteres war überraschenderweise das Ergebnis. Die Glaskugeln enthalten hochreines, geradezu modern anmutendes »Analyse- oder Hochvakuum« mit einem Restdruck von nur noch 0,1 Millibar.

Magdeburg, Vakuum und Wissenschaft

Hinsichtlich der  archäologischen Methodik ist sicher der Nachweis eines Vakuumgefäßes sensationell. Der Fundort verwundert weniger. Kaum eine Stadt kann mehr mit Vakuum in Verbindung gebracht werden als Magdeburg. Die Erforschung des leeren Raumes geht auf keinen Geringeren zurück als auf den ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt, Otto von Guericke, der zugleich ein anerkannter Naturwissenschaftler und Lehrstuhlinhaber der dortigen Universität war.

Er machte sich gleichermaßen um Forschung wie Leere verdient und festigte den diesbezüglichen Ruf seiner Heimatstadt nachhaltig. Noch heute trägt die ehrwürdige Universität Magdeburg seinen Namen.
Worin Guerickes Entdeckung bestand, wissen viele Kinder aus dem Heimat- und Sachkundeunterricht. Die Magdeburger Halbkugeln sind sprichwörtlich. Guericke hatte bereits 1649 die Kolbenluftpumpe erfunden. Mit ihr hat er alle möglichen Versuche angestellt, und sowohl Unterdruck als auch Überdruck erzeugt. So experimentierte er mit Windbüchsen (Vorläufer des Luftgewehrs), vor allem aber faszinierte ihn die Eigenschaft des mit seiner Pumpe erzeugten Vakuums, also des »geleerten Raumes«.
1672 publizierte Guericke seine Forschungsergebnisse in seiner Monografie »Ottonis de Guericke Experimenta Nova (ut vocantur) Magdeburgica De Vacuuo Spatio« (Abbildung 3 und 4), zu deutsch: »Otto von Guerickes neue, sogenannte Magdeburger Experimente über den leeren Raum«.

Das bekannteste darin beschriebene Experiment ist das mit den »Magdeburger Halbkugeln« Guericke setzte zwei große metallene Halbschalen mittels Dichtung und Ventil zu einer Kugel zusammen, evakuierte sie mit seiner Pumpe, und ließ ein Gespann aus mehreren Pferden versuchen, die Kugelhälften auseinander zu ziehen (Abbildung 5). Den Pferden soll es nicht gelungen sein. Erst als Herr von Guericke durch Öffnen des Ventils wieder Luft in die Kugel ließ, sprang sie plötzlich auseinander (ob die Pferde anschließend stolperten oder gar vor Schreck durchgingen, ist nicht überliefert).

Guericke hat jedoch noch weitere, bahnbrechende Erkenntnisse aus seinen diversen Magdeburger Vakuumversuchen gewonnen. So bestimmte er das »Gewicht« des Vakuums (Abbildung 6),  und damit das Gewicht der von ihm verdrängten Luft, das Gewicht der Atmosphäre, und wies nach, dass sich im Vakuum zwar kein Schall ausbreiten kann, wohl aber das Licht. Hierzu bediente er sich einer zunächst merkwürdig anmutenden Vorrichtung: er verband ein (offenbar metallisches) Vakuum-Vorratsgefäß mit einer Art »Fernrohr«, und kontrollierte, ob man hindurch sehen konnte (Abbildungen 7 und 8).
Offenbar konnte man das, womit die Theorie bewiesen war, dass Licht sich auch im luftleeren Raum ausbreiten konnte. Lange noch nach Guericke verfolgten Physiker aber noch die Auffassung, dass Licht eine besondere Materie benötige, um sich im »Vakuum« ausbreiten zu können: sie verfolgten die Theorie des »Äthers«, einer immateriellen Substanz, die im Vakuum noch als Lichtleiter enthalten sei. Erst mit Einsteins Relativitätstheorie wurde diese Annahme endgültig ad acta gelegt.

 

Die Magdeburger Glaskugeln unseres »Fund des Monats« lassen sich nun gut in Zusammenhang mit Arbeiten Guerickes stellen. Die Ähnlichkeit unserer Glaskugeln mit den in Guerickes Werk gezeigten Vakuumbehältern ist offenkundig
Alle in Guerickes Werk gezeigten Kugeln bestehen aber aus Metall, und Guericke war 1672, ausweislich des merkwürdigen Fernrohr-Versuches, noch nicht auf die Idee gekommen, zum Beweis der Fortpflanzung des Lichtes in Vakuum schlichtweg evakuierte Glaskugeln zu verwenden.
Es liegt daher nahe, die gefunden Glaskugeln einer späteren Phase der Forschungen des Magdeburger Professors und Bürgermeisters zuzuweisen, deren Ende allerdings mit Guerickes Weggang von Magdeburg nach Amsterdam im Jahre 1681 markiert ist, wo er 1686 starb.

Hallesches Salz versus Magdeburger Vakuum: oder die Revolution der Lebensmittelkonservierung

Eine bedeutende, praktische Anwendung seines Vakuums hat Guericke nicht mehr erlebt: die Vakuumverpackung. Dazu müssen wir kurz ausholen. Die Stadt Halle wurde bekanntermaßen durch seine Salzvorkommen reich, während das rohstoffarme Magdeburg dagegen seinen Aufstieg in erster Linie den gewaltigen Leistungen auf dem Gebiete der Wissenschaft und Technologie verdankt. Salz wurde vorwiegend zum Haltbarmachen von Speisen benötigt – so zum Pökeln von Fleisch, dem Einlegen von Gurken, Heringen und Ähnlichem. Der intensiv salzige Geschmack gepökelter Ware ist bekanntlich nicht jedermanns Sache, und so erfanden die Hallenser Ende des 19. Jahrhunderts die extrem süße »Hallorenkugel«, wohl mit dem Ziel, diese zur Neutralisierung des starken Salzgeschmackes gleichsam im »Huckepack-Marketing« gewinnbringend mit zu vermarkten.
Die geschmacksneutrale Konservierung durch Vakuumverpacken entstand ebenfalls gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Ohne die bahnbrechende Leistungen Otto von Guerickes wäre sie nicht möglich gewesen.
Dass sich leider nicht jedes Lebensmittel im Vakuum konservieren lässt, haben die Wissenschaftler des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt jüngst in einem eigens für diesen Fund des Monats produzierten Lehrfilm demonstrieren können. Eine »Hallorenkugel« verwandelt sich in der Guerickeschen Vakuumkammer binnen Minuten in ein unappetitliches Etwas.

 

»Henrici Mirabili Experimenta de Arte Destruendi (ut vocantur) Ballos Hallorum in Vacuo«

Nicht alles lässt sich in Vakuum konservieren. Der Versuch, eine sogenannte »Hallorenkugel«, eine traditionelle mitteldeutsches Spezialität, für den Export auf lange Strecken haltbar zu machen, schlägt immer wieder fehl. © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Christian Heinrich Wunderlich.


Text: Christian Heinrich Wunderlich
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

O. v. Guericke, »Ottonis de Guericke Experimenta Nova (ut vocantur) Magdeburgica De Vacuuo Spatio« (Amsterdam 1772).

 

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