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Fund des Monats

Januar 2012: Die altslawische Kopfminiatur aus Siegersleben

Und wieder einmal ist dem unermüdlichen ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Günter Wagener (Eisleben) ein bemerkenswerter Coup geglückt. Bei einer Geländeprospektion in der Nähe von Siegersleben, einem heutigen Ortsteil von Ovelgünne (Landkreis Bördekreis) fand er am 15. März 2008 eine kleine vollplastische Kopfskulptur aus Buntmetall, die stilistisch und funktional im Kulturkreis der früh- und hochmittelalterlichen Slawenvölker zu verorten ist (Abbildung 1).

Die stäbchenförmige Skulptur ist 30 Millimeter lang, bis zu drei Millimeter stark und wiegt knapp 6,5 Gramm. Sie ist aus einer Kupferlegierung gegossen, überschmiedet und mit Punzen nachziseliert. Vergoldungsreste blieben in den ursprünglichen Vertiefungen erhalten, die sich heute jedoch als Grate präsentieren. Im Gegensatz dazu sind die einstmals erhabenen Flächen, an denen sich die schützende Vergoldung abgewetzt hat, während der Bodenlagerung inzwischen tiefer als der einstige Ritzdekor wegkorrodiert. Die Feinstruktur dieser Kleinplastik ist nur unter dem Mikroskop zu erkennen, dort allerdings unmissverständlich. Das vollbärtige Männerköpfchen allein misst zehn Millimeter in der Länge. Am Kinn sind die Haarfurchen anhand der Vergoldungsreste noch zu erkennen. Etwas überzeichnet wirken die unproportionalen Augen und die Nase. Stirn und Schädelpartie umsäumt ein Leiterband, das sich tief im Nackenbereich überkreuzt. Die Fläche dazwischen ist ebenfalls gebändert strukturiert (Abbildung 2).

Es hat den Anschein, dass hier ein verziertes und elegant gebundenes Kopftuch dargestellt ist. Das untere Halsende verlängert sich zu einem Dorn, der aber nur noch mit einer Länge von vier Millimeter erhalten ist. Der Dornrest weist zweifelsfrei darauf hin, dass hier ein Steckaufsatz vorliegt. Seine leichte Krümmung ist Folge der Bodenlagerung. Zu vermuten ist ein Schaft aus organischem Material, dessen oberes Ende vom goldglänzenden Haupt bekrönt wurde. Der Fund wird im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle unter der Inventarnummer HK 2905:1:1 verwahrt.
Ähnliche Bildwerke sind in Mitteldeutschland selten. Hierzulande wären das bronzene Trinkhornmännchen von Seehausen und vor allem die aus Hirschgeweih geschnitzte Kopfskulptur aus der Nähe von Merseburg (Saalekreis) (Abbildung 3) zu nennen. Gerade das in das 10. Jahrhundert zu datierende bärtige Männerhaupt aus Merseburg hat eine vergleichbare Gesichtsdarstellung, jedoch mit kalottenförmiger Frisur oder Kopfbedeckung.

Vermutlich handelt es sich hierbei um den Steckaufsatz einer Tanzkeule oder eines Kultstabes. Auch das Köpfchen aus Siegersleben steckte mit seinem Dorn auf einem Trägerobjekt, das allerdings aufgrund der Proportion viel kleiner als ein Stab oder Griff gewesen sein muss. Der stabartig verlängerte Hals spricht eigentlich dagegen, dass der Kopf einst Teil einer naturalistisch gestalteten Menschenfigur war. Die Gesamtskulptur dürfte ein zepterartiges Aussehen gehabt haben.
Andere Vergleichsstücke finden wir in östlicheren und nördlicheren Regionen Europas. So besteht Ähnlichkeit mit einem kleinen, als Anhänger zu tragenden Holzidol des späten 10. Jahrhunderts aus Wolin (Powiat Kamień Pomorski, Polen) (Abbildung 4). Noch größere Gemeinsamkeiten finden wir bei den Holstabfiguren aus Svendborg, Dänemark, und Wolin, Polen (Abbildung 5). Die beiden viergesichtigen Miniaturidole geben sich als Darstellungen des altslawischen Gottes Svantevit zu erkennen. Während das Woliner Exemplar in das Ende des 9. Jahrhunderts datiert, stammt der Svendborger Fund wohl aus dem 12. Jahrhundert.
Auch das Siegerslebener Köpfchen ist kein weltliches Zierportrait. Im slawischen Kulturkreis wurden menschenförmige Bildnisse zumeist nicht aus künstlerischem Selbstzweck erschaffen, sondern aus einem religiösen beziehungsweise kultischen Grund.

 

Im vorliegenden Fall sollte ebenfalls ein Gottesantlitz dargestellt sein. Eine konkrete Personifizierung ist aber mangels charakterisierender Attribute unmöglich. Beispielsweise fehlt die auffällige Mehrköpfigkeit, die gerade für westslawische Götterfiguren typisch war. Ohnehin fehlt es an überlieferten Götternamen bei den in unseren Breiten ansässig gewesenen Elbslawen.
Derartige Sachzeugen der slawischen Glaubenswelt sind in Mitteldeutschland Raritäten. Denn vor allem die Gebiete westlich von Elbe und Saale sind im frühen und hohen Mittelalter zunächst unter fränkischer und später sächsischer Aufsiedelung kulturell überprägt worden. Andererseits müssen derartige Statuetten, Idole und Amulette einstmals zahlreich im westelbischen Gebiet vorhanden gewesen sein. Denn der Merseburger Bischof Thietmar (975 bis 1018) klagte Anfang des 11. Jahrhunderts in seiner Chronik darüber, dass die slawischen Bewohner seines Bistums eigene Hausgötter verehrten und beopferten (»Domesticos colunt deos«). Die rigorose Durchsetzung des Christentums führte auf Dauer aber nicht nur zur Vernichtung der öffentlichen Kultanlagen der ansässigen Slawengruppen, sondern auch zur weitgehenden Beseitigung der kleinformatigen Sakralgeräte des privaten Gebrauchs.

Der Fund stammt aus der Flur »Arkensdorfer Breite«, wo er dicht unter der Ackerkrume am Rande einer der Allerquellen (»Seehäuser Aller«) lag. Befundzusammenhänge waren nicht zu beobachten. Es fehlen also direkte Hinweise zur Feindatierung und zur definitiven Funktion. Die Fundstelle selbst befindet sich in südlicher Randlage der mittelalterlichen Wüstung Arkendorf beziehungsweise Arkensdorf, nur wenige Kilometer südöstlich von Siegersleben gelegen. Eine Urkunde zum Jahre 1453 erwähnt den Dorfnamen, der auf eine Gründung deutschsprachiger Siedler deutet. Keramikscherben von diesem Platz datieren nach Ausweis der Ortsakten des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in das 13. bis 14. Jahrhundert. Zeugnisse einer früheren Besiedlung fehlen bislang. Unsere Kopfskulptur ist allerdings keinesfalls ethnisch und kulturell mit dieser Wüstung in Zusammenhang zu bringen. Vermutlich gelangt sie also schon vor der Dorfgründung hier in das Erdreich.

Unser Neufund besitzt eine bemerkenswert gute feinschmiedetechnische Qualität. In dieser Hinsicht ist er vor allem dem Götterfigürchen aus Gatschow (Landkreis Demmin) zur Seite zu stellen (Abbildung 6). Denn auch hier ist mit der ziselierten Frisur ein auffälliges Bemühen um eine Feinstrukturierung der Schädelpartie zu verzeichnen. Der Fundzusammenhang datiert diese Stabbekrönung in das 11. bis 12. Jahrhundert. Zu guter letzt soll aufgrund der materiellen und stilistischen Gleichheit auch die vielfach publizierte Bronzestatuette aus Schwedt (Landkreis Uckermark) nicht unerwähnt bleiben, die wohl im 10. oder 11. Jahrhundert angefertigt wurde.
Nur vage lässt sich das Alter des Miniaturidols aus Siegersleben einordnen. Die Vergleichsstücke aus den westslawischen Gebieten datieren zumeist in das 9. bis 12. Jahrhundert, vereinzelt noch in das 13. Jahrhundert. Mit Blick auf die Datierung der Merseburger und Woliner Vergleichsstücke (Abbildungen 3 und 4) sowie der deutschen Wüstung auf dem Fundplatz lässt sich für das Idol aus Siegersleben ein Zeitrahmen vom fortgeschrittenen 10. bis in das frühe 12. Jahrhundert umreißen.


Text: Arnold Muhl
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

W. Filipowiak, Kleinidol. In: M. Puhle (Hrsg.), Otto der Große. Magdeburg und Europa, Bd. 2 (Mainz 2001) 101, II. 72.

W. Filipowiak, Taschen-Svantevit. In: M. Puhle (Hrsg.), Otto der Große. Magdeburg und Europa, Bd. 2 (Mainz 2001) 100-101, II. 71.

I. Gabriel, Männerkopf als Knauf eines Amtsstabes. In: M. Puhle (Hrsg.), Otto der Große. Magdeburg und Europa, Bd. 2 (Mainz 2001) 96-97.

A. Hansen, Wüst-Eilwardesdorf. Bördebote, Heimatzeitschrift für die Magdeburger Börde und das Holzland 1-2, 1956, 27-32.

G. Hertel, Die Wüstungen des Nordthüringgau (Halle 1899).

H. Jansen, Die Svantevit-Figur aus Svendborg. In: A. Wesse (Hrsg.), Studien zur Archäologie des Ostseeraumes (Neumünster 1998) 565-569.

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Ortsakte Siegersleben.

D. Kurze, Slawisches Heidentum und christliche Kirche zwischen Elbe und Oder. In: Slawen und deutsche zwischen Elbe und Oder. Der Slawenaufstand von 983 (Berlin 1983) 48-68.

M. Müller-Wille, Opferkulte der Germanen und Slawen. Sonderheft Archäologie in Deutschland (Stuttgart 1999).

A. Muhl, Bildnis eines slawischen Gottes. In: H. Meller (Hrsg.), Schönheit, Macht und Tod. 120 Funde aus 120 Jahren Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Halle 2001) 88-89.

A, Muhl, Ein slawischer Götterkopf aus Siegersleben im Bördekreis. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 94, 2014, 391-397.

U. Schoknecht, Eine slawische Götterfigur aus Gatschow, Kr. Demmin, und ein Kästchenbeschlag aus Pasewalk. Ausgrabungen und Funde 39, 1994, 129-136.

H. Simpson, Taschengott. In: A. Wieczorek/H.-M. Hinz (Hrsg.), Europas Mitte um 1000, Katalog (Stuttgart 2000) 137 Nr. 05.01.07.

L. Slupecki, Heidnische Religion westlicher Slawen. In: A. Wieczorek/H.-M. Hinz (Hrsg.), Europas Mitte um 1000, Bd. 1 (Stuttgart 2000) 239-251.

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