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Fund des Monats

Januar 2013: Ein mittelalterlicher Bratspießhalter aus dem Prämonstratenserstift Jerichow

Bei Baumaßnahmen für eine Museumserweiterung wurde am ehemaligen PrämonstratenserstiftJerichow eine Kloakenanlage angeschnitten. Die im 12./13. Jahrhundert in Ziegelbauweise errichtete quadratische Latrine mit etwa drei Meter Seitenlänge grenzt südlich an den Ostflügel der romanischen Klausur, in dessen Obergeschoß sich das Dormitorium der Kanoniker befand (Abbildung 1). Der im Spätmittelalter in Kammern für die Stiftsherren aufgeteilte Schlafsaal besaß eine Türöffnung oberhalb der Kloake (Abbildung 2).

Im Februar 2012 konnten die oberen Schichten der Latrinenverfüllung an zwei Wochenenden mit ehrenamtlichen Beauftragten der Bodendenkmalpflege archäologisch untersucht werden (Abbildung 3).

Der etwa 2,5 Meter mal zwei Meter große, bis in eine Tiefe von 1,1 Meter freigelegte nordwestliche Teilbereich des Latrinenschachts soll für die Besucher des Klostermuseums sichtbar bleiben. Bei den Grabungen zeigte sich, dass die Latrine in einem Zug von Norden mit Bauschutt und Hausrat zugeschüttet worden war. Wahrscheinlich erfolgte die Verfüllung im Rahmen der Auflösung des Konvents und der Umwandlung des Stifts in eine Domäne um das Jahr 1552.
Das Fundmaterial aus der Kloake gewährt einen spannenden Einblick in die Sachkultur eines mitteldeutschen Prämonstratenserstifts am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Gefäßkeramik aus glasierter und unglasierter Irdenware sowie aus Steinzeug macht den größten Teil des Inventars aus, wobei Schalen deutlich dominieren (Abbildung 4). Daneben sind Ofenkacheln unterschiedlichen Typs sowie Baukeramik stark vertreten. Flach- und Hohlglas kommt ebenfalls in größerem Umfang vor. Unter den zahlreichen Metallfunden befinden sich Hohlpfennige des 15./16. Jahrhunderts, Buchschließen und -beschläge (Abbildung 5), Toilettenutensilien sowie Bekleidungsbestandteile. Aussagen zur Ernährung erlauben Tierreste. Den spannendsten Fund stellen jedoch unzweifelhaft Bruchstücke eines sehr sorgfältig gearbeiteten Ziegelobjekts mit Inschrift dar, bei dem es sich um einen Bratspießhalter handelt (Abbildung 6).

Von dem Bratspießhalter wurden zwei Passstücke gefunden – die restlichen Teile liegen vermutlich noch in der nicht ausgegrabenen Latrinenverfüllung.

Das sich konisch nach oben verjüngende Ziegelobjekt besitzt einen durch eine Leiste abgesetzten, ebenfalls konischen Fuß. Bei einer Höhe von 31 Zentimeter ist es unten circa 14 Zentimeter und oben drei Zentimeter breit. Die ursprüngliche Länge ist unsicher; das zusammengesetzte Bruchstück ist 17 Zentimeter lang. Vermutlich zur Aufnahme und Höhenregulierung des Bratspießes dienten fünf runde Lochungen, von denen drei am oberen Abschluss und am Rand nach außen geöffnet sind. Das Oberteil weist auf der Vorder- und der Rückseite Inschriften auf. Der Fuß zeigt auf allen drei erhaltenen Seiten Schriftzeichen. Die äußerst qualitätsvoll ausgeführten Buchstaben wurden vor dem Brand in den sorgfältig geglätteten, »lederharten« Ziegel geschnitten. Es handelt sich um die epigraphische Schriftform der gotischen Minuskel. Auf einer Seite (A) des Objekts wurden außerdem zwei deutlich schmalere Zeilen in einem Schrifttyp, der sich an die spätmittelalterliche Schreibschrift annähert, eingeritzt. Vor Anbringen der Schriftzeichen waren präzise Zeilenlinien gezogen worden.

 

Die Lesung der Inschrift durch F. Jäger von der Inschriftenkommission der sächsischen Akademie der Wissenschaften lautet wie folgt:

Seite A (Abbildung 6a)

ih[ - - - ]a) /

andreas [.]mdeb) [ - - - ]c) /

[...]ctad) katerin[a]e) [ - - - ] /

[.]a[ - - - ]f)

Seite B (Abb. 6b)

[ - - - ]lfg) /

[ - - - ]dt /

[ - - - ]eghe /

[ - - - ]cc°xiih)

Seite C (Abbildung 7)

i[ - - - ]

a) Beiderseits des Schaftes von h Segmente eines übergeschriebenen Kürzungsstrichs.
b) Der erste Buchstabe unklar, der zweite m oder n.
c) Der noch erhaltene Buchstabe m oder n.
d) Wahrscheinlich sancta zu ergänzen.
e) Der letzte Buchstabe ist nach dem Kasus des voranstehenden Wortes ergänzt, also im Nominativ.
f) Vom ersten Buchstaben nach a noch ein Schaft erhalten.
g) Vielleicht hilf zu ergänzen.
h) Wahrscheinlich mcccc°xii zu ergänzen.

Jäger zufolge beinhalten die vorhandenen Teile der Inschrift wahrscheinlich eine Anrufung Jesu Christi und der Heiligen Katharina sowie die Jahreszahl 1412. Einige für Latein untypische Buchstabengruppen deuten darauf, dass zumindest ein Teil der Inschrift in deutscher Sprache abgefasst war. Interessant ist die Beobachtung, dass sich die Schriftgröße der einzelnen Zeilen offenbar an der Bedeutung des Inhalts orientiert. So besitzt der gekürzte Name Jesu in der ersten Zeile von A den größten Schriftgrad.
Das Ziegelobjekt weist lediglich schwache Nutzungsspuren auf: Im Fußbereich ist eine sehr leichte Verrußung zu erkennen und in einigen Löchern zeigen sich schwache Abriebspuren. Bei einem längeren Gebrauch zum Grillen von Fleisch über einen offenem Feuer sollte man stärke Gebrauchsspuren, wie zum Beispiel eingebranntes Fett, auf dem Fundstück erwarten.

Bratspießhalter, auch Feuerböcke genannt, gehören zu den Produkten, die Ziegler neben normalen Bauziegeln herstellten – genauso wie sogenannte Zieglerdeckel, Lichtstöcke, Wärmesteine et cetera. Durch ihre massive Ausführung werden Bratspießhalter archäologisch glücklicherweise meist in größeren Fragmenten überliefert. Über ihre Verwendung – wohl meist als Paar – sind wir auch durch historische Abbildungen gut unterrichtet (Abbildungen 7 und 8). Die massiven und schweren Objekte besitzen oben, an den Seiten und im Korpus runde Aussparungen zum Einlegen von Bratspießen. Die Verbreitung von Feuerböcken ist überregional, besonders häufig natürlich in klassischen »Ziegellandschaften« wie Norddeutschland. Eine grundlegende Veröffentlichung zu der ansonsten selten publizierten Sonderform stammt dagegen aus Süddeutschland (Endres 2002).

Beim Betrachten von Vergleichsfunden aus ganz Deutschland fällt auf, dass Feuerböcke wohl gern verziert wurden, meist durch Stempel oder einfache plastische Gestaltung (Abbildung 9 und 10), oft jedoch auch unverziert blieben. Fundbeispiele aus Wittenberg belegen eine weitaus schlichtere Gestaltung solcher Objekte (Abbildung 11 und 12). Das Exemplar aus Jerichow ragt jedoch mit einer außergewöhnlichen Exaktheit, mit der es gefertigt und verziert wurde, deutlich aus vergleichbaren Funden heraus.
Wie die eindrucksvolle Jerichower Stiftskirche, die zu den ältesten Backsteinbauten Norddeutschlands zählt, deutlich macht, stellte Jerichow im 12./13. Jahrhundert ein Zentrum der Ziegelherstellung dar. Ein sorgfältig geschnittenes Spruchband aus der Zeit um 1500 im Backsteingiebel des westlichen Klausurflügels und Teile einer Grabumschrift aus Backstein des frühen 16. Jahrhunderts belegen, dass das Ziegelhandwerk im Umfelde des Jerichower Prämonstratenserstifts bis zum Ende des Mittelalters blühte. Es ist anzunehmen, dass der Bratspießhalter aus Jerichow vor Ort in einer Ziegelei des Stifts hergestellt wurde.

 

Aufgrund seiner hervorragenden Qualität kann davon ausgegangen werden, dass der Bratspießhalter in der Küche des Stifts bei der Zubereitung der Speisen für die Stiftsherren verwendet wurde. Bratspieße sind in Kücheninventaren für Stifte und Klöster des 15./16. Jahrhunderts mehrfach überliefert, zum Beispiel für das Prämonstratenserstift Unserer Lieben Frauen in Magdeburg. Da auch die Jerichower Konventualen von einem vollkommenen Verzicht auf den Verzehr von Fleisch vierfüßiger Tiere, wie der Heilige Benedikt ihn gefordert hatte, im Verlauf des Spätmittelalters abgerückt sein dürften, kann der gefundene Spießhalter sowohl zum Grillen von Geflügel als auch von Schweine-, Rinder-, Lamm-/Ziegenfleisch und Wild gedient haben. Dies legen auch die in der Latrinenverfüllung gefundenen Knochen verschiedener Tiere nahe, bei dem es sich überwiegend um Speisereste handelt.

Möglicherweise sind die schwachen Nutzungsspuren auf dem Bratspießhalter aus Jerichow, der, als er in der Mitte des 16. Jahrhunderts in den Boden gelangte, wahrscheinlich bereits über hundert Jahre alt war, darauf zurück zu führen, dass er nur bei besonderen Anlässen benutzt wurde oder mehr dekorativen als praktischen Zwecken diente. Eventuell steht die Inschrift in direkten Zusammenhang mit den Tagen der Nutzung. Es wäre auch in dieser Hinsicht äußerst interessant, die fehlenden Bruchstücke des Bratspießhalters zu finden. Die Inschrift mit der Nennung mindestens einer Heiligen könnte auch der Grund dafür gewesen sein, dass man den Bratspießhalter nach der Reformation und der Auflösung des Jerichower Konvents nicht weiter verwendet und ihn mit anderem Hausrat in dem Latrinenschacht entsorgt hat.


Text: Götz Alper, Ralf Kluttig-Altmann
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

Danksagung

Für ihre Mitarbeit bei den Ausgrabungen ist folgenden ehrenamtlichen Beauftragte und Praktikanten zu danken: H.-J. Alsleben, Chr. Dünser, R. Duckstein, K. Eisbein, W. Fricke, E. Fricke, U. Hodum, M. Kasner, R. Kersten, R. Kretschmer, M. Montag. C. Petzold, J. Sack, D. Schlag, M. Scheil, K.-D. Uschmann, M. Wagner und S. Wolter. Besonderer Dank gebührt auch J. Wißgott von der Stiftung Kloster Jerichow für vielfältige Unterstützung, Dr. H.-J. Döhle vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt für eine erste Bestimmung der Tierknochen und Dr. F. Jäger von der Inschriftenkommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften für die Lesung und Interpretation der Inschrift auf dem Bratspießhalter.

 

Literatur

G. Alper, Zur Sachkultur im Prämonstratenser-Stift Jerichow vor der Auflösung des Konvents im 16. Jahrhundert. In: H. Meller (Hrsg.), Mitteldeutschland im Zeitalter der Reformation.  Forschungsberichte des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 2014 (Halle [Saale] 2014) 265-276.

Endres, Werner: Neuzeitliche keramische »Feuerböcke« aus Regensburg und Umgebung. Beiträge zur Archäologie in der Oberpfalz und in Regensburg 5, 2002, 419–451.

S. Fritsch, Das Refektorium im Jahreskreis. Norm und Praxis des Essens in Klöstern des 14. Jahrhunderts. Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 50 (Wien, München 2008).

Schäfer, Heiko: Von Feuerstellen, Herdgeräten und der Gefahr »tierischer Brandstiftung«. In: H. Hauke/F. Lüth/H. Schäfer (Hrsg.),  Archäologie unter dem Straßenpflaster. 15 Jahre Stadtkernarchäologie in Mecklenburg-Vorpommern. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns 39 (Schwerin 2005) 315–318.

R. Naumann, Das Kloster Jerichow. In: M. Puhle/R. Hagedorn (Hrsg.), Prérmontré des Ostens. Das Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg vom 11. bis 17. Jahrhundert (Oschersleben 1996) 6568.

R. Schmitt, Baugeschichtliche Untersuchungen in der Klausur des Klosters Jerichow. Magdeburger Blätter. Jahresschrift für Heimat- und Kulturgeschichte, 1989, 75-82 (Teil 1), 1990, 30-38 (Teil 2).

G. Zimmermann, Ein Bamberger Klosterinventar von 1483/86 als Quelle zur Sachkultur des Spätmittelalters. In: H. Appelt (Hrsg.), Klösterliche Sachkultur des Spätmittelalters. Internationaler Kongress Krems an der Donau 18. bis 21. September 1978 (Wien 1980) 225-245.

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