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Fund des Monats

Februar 2014: Der Achatskyphos aus Grab 21 von Nebra: Von arm zu reich

Zur Forschungsgeschichte eines scheinbar beigabenlosen Leichenbrandhäufchens der spätrömischen Kaiserzeit

Edelsteine faszinieren Menschen seit jeher. So nimmt es nicht Wunder, dass sie als Material für Gemmen oder Kameen, als exklusiver Bestandteil von Schmuckgegenständen und selbst als besonderer Werkstoff für Gefäße genutzt wurden.
Für das Römische Reich ist überliefert, dass Gefäße aus Edelstein höher geschätzt werden als Goldgefäße. Römische Edelsteingefäße sind bis heute erhalten. Sie sind etwa in Schätzen tradiert. Hier mag als herausragendes Beispiel die Achatschale in der Schatzkammer der Wiener Hofburg (Abbildung 1) – eines von zwei »unveräußerlichen Erbstücken«  der Habsburger – ebenso stehen wie nachträglich in Metall gefasste Objekte aus verschiedenen Kirchenschätzen.

Nur selten stammen Gefäße aus Edelstein aus archäologischen Zusammenhängen oder gar aus sicheren Befunden. Sachsen-Anhalt hat gleich zwei entsprechende Objekte: einerseits das Achatfläschchen aus Kleinjena als Lesefund von einem Siedlungsgelände und andererseits die Reste eines Achatskyphos aus einer Brandbestattung aus Nebra.

Bereits 1937 wurden in Nähe von Nebra auf einem Brandgräberfeld der spätrömischen Kaiserzeit Ausgrabungen durchgeführt und auch rasch über besondere Funde, zum Beispiel ein tauschiertes Dosenortband, berichtet. Das Fundmaterial gelangte in das Landesmuseum in Halle. Eine genaue Durchsicht der Inventare erfolgte offensichtlich nicht. Für eine geplante Dissertation zur römischen Kaiserzeit Mitteldeutschlands sollte auch das Gräberfeld von Nebra berücksichtigt werden. Krieg und Teilung Deutschlands verhinderten jedoch eine gründliche Erfassung der Fundkomplexe.
So konnte erst während einer Materialdurchsicht im Jahre 1987 festgestellt werden, dass in den Brandgräbern von Nebra Objekte enthalten sind, die bei der ersten Untersuchung noch nicht erkannt worden waren.
Neben Resten von Geweihkämmen und Knochennadeln, zerschmolzenen Glasperlen und kleineren Metallbruchstücken fanden sich in einem urnenlosen Brandgrab (Grab 21) drei grauschwarze Bruchstücke. Das Brandgrab hatten die Bearbeiter bisher als beigabenlos eingestuft. Die drei Bruchstücke allerdings änderten diese Einschätzung radikal. Da die Fragmente Passstellen aufwiesen, konnte man nach dem Zusammenfügen erkennen, dass es sich um Randbereich, Griffplatte und Teile des Henkels eines Skypos handelt (Abbildung 2 und 3).
Skyphoi sind Trinkgefäße, wie sie bereits im griechischen Gelage verwendet und im römischen gesellschaftlichen Leben häufig genutzt wurden. Sie sind vorrangig aus Ton (Abbildung 4), Metall und Glas überliefert und wegen der charakteristischen Form der Griffplatten auch als Fragment leicht zu erkennen. Der Skyphos aus Nebra nun stellt in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit dar. Einerseits gehört er zu den relativ wenigen römischen Trinkgefäßen dieser Form, die aus germanischen Fundzusammenhängen überliefert sind. Andererseits waren Skyphoi aus Achat bisher nicht bekannt.
Die Zusammenstellung der römischen Edelsteingefäße zeigt, dass man andere Formen aus Achat geschnitten hat und es gibt es einen Skyphos aus Bergkristall, der optisch den gläsernen Exemplaren nahe steht (Abbildung 5).

An den Bruchstücken von Nebra lässt sich ein Durchmesser von circa zwölf Zentimeter für den Gefäßkörper erschließen. Damit handelt es sich keinesfalls um eine Miniaturform, sondern um ein Trinkgefäß der üblichen Größe. Als Wandstärke lassen sich etwa zwei Millimeter ermitteln. Das Gefäß war dem Scheiterhaufenfeuer ausgesetzt, sodass seine ursprüngliche Farbigkeit verloren gegangen ist. Jedoch lassen auch die heute grauen Bänderungen erahnen, wie prächtig das Gefäß einst eine Tafel geziert haben mag.
In diesem Zusammenhang sind solche römischen Importgefäße auch zu sehen. In den ersten drei Jahrhunderten nach Christus finden sich relativ zahlreiche Grabinventare, in welchen Trinkgeschirre aus römischen oder gemischt aus römischen und germanischen Gefäßen zusammengestellt sind. In der Regel sind es Männergräber, in denen diese Geschirrausstattung wohl unter anderem auf die Eigenschaften eines guten und freigiebigen Gastgebers hinweisen soll (Abbildung 6 und 7).

 

Zur Rekonstruktion der ursprünglichen Formgebung des fragmentarisch erhaltenen Edelsteingefäßes können neben dem bereits erwähnten Skyphos aus Bergkristall auch Beispiele aus Stabiae herangezogen werden, die aus Obsidian geschnitten sind (Abbildung 8). Sie haben vergleichbare Formen der Griffplatten und ebenfalls eine im Inneren knapp unter dem Rand angebrachte umlaufenden Rille. Für die Verzierung des Gefäßkörpers wurden hier Einlagen aus verschiedenen anderen Materialien genutzt. Soweit die wenigen bekannten Exemplare eine solche Aussage erlauben, scheint bei der Verwendung von Stein eine insgesamt eher zylindrische Formgebung bevorzugt worden zu sein.

Dieser Nachweis eines der qualitätvollsten römischen Trinkgefäße als Beigabe in einem ansonsten schlicht wirkenden Brandgrab fügte sich gut in die sich langsam wandelnde Sicht in der Beurteilung von Brandgräbern. Das Scheiterhaufenfeuer hat zahlreiche Beigaben stark zerstört, für die Deponierung, egal ob mit oder ohne Urne, wurde der vorhandene Bestand oftmals noch weiter reduziert und so erwecken die Brandgräber im Auge des auswertenden Archäologen oft den Eindruck einer gewissen Armut. Erst die genaue Durchsicht der Scheiterhaufenreste und die Analyse auch kleinster Fragmente konnten nach und nach dazu beitragen, das Bild zu ändern.
In diesem Prozess spielte Grab 21 von Nebra noch einmal eine Rolle. Zur Rekonstruktion der Vorgänge bei der Verbrennung fanden im Landesmuseum Halle in den Jahren 2000/2001 Experimente statt (Abbildungen 9 und 11). In Vorbereitung der Arbeiten und für Vergleichszwecke wurde das gesamte Material des Nebraer Brandgrabes noch einmal einer gründlichen Untersuchung unterzogen. Der Einsatz eines Röntgengerätes, chemische Analysen sowie die anthropologische und osteologische Durchsicht erbrachten erstaunliche Ergebnisse: Im Grab hatte man ein erwachsenes, eher weibliches Individuum bestattet. Das Grab musste neben dem nun schon bekannten Achatgefäß auch Beigaben aus Silber erhalten haben, denn entsprechende Schmelzreste konnten nachgewiesen werden. Ferner waren Reste eines Geweihkammes vorhanden. Weiterhin gelang es, Knochen von Huhn, Schwein und Rind zu identifizieren.
 

Mit diesem Inventar zählt Grab 21 aus Nebra zu den faszinierendsten Brandgräbern Mitteldeutschlands. Das ergibt sich nicht allein aus dem Reichtum der ursprünglichen Grabausstattung, der sich durch die genaue Erforschung der Brandreste erschließt. Auch die Tatsache, dass ein äußerst exklusiver Bestandteil eines Trinkservices in einem Frauengrab vertreten ist, ist bemerkenswert.
Die Erforschungsgeschichte von Grab 21 aus Nebra zeigt eindrucksvoll, wie wichtig bei der Spurensuche in der Vergangenheit auch die kleinsten Indizien sein können und sich neue Erkenntnisse vor allem im Zusammenspiel von Geistes- und Naturwissenschaften ergeben.


Text: Matthias Becker
Online-Redaktion: Dorothee Menke, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

M. Becker, Ein Achatgefäß von Nebra (Unstrut). Ausgr. u. Funde 36, 1991, 185–187.

M. Becker/H.-J. Döhle/M. Hellmund/R. Leineweber/R. Schafberg, Nach dem großen Brand. Verbrennung auf dem Scheiterhaufen – ein interdisziplinärer Ansatz. Ber. RGK 86, 2005 (2006) 61–195.

H.-P. Bühler, Antike Gefäße aus Edelsteinen (Mainz 1973).

G. Gerlach, Zu Tisch bei den alten Römern. Eine Kulturgeschichte des Essens und Trinkens. Arch. Deutschland, Sonderh. 2001 (Stuttgart 2001).

L. Jørgensen/B. Storgaard/L. Gebauer Thomsen (Red.), Sieg und Triumpf. Der Norden im Schatten des Römischen Reiches (Kopenhagen 2003).

T. Kolník, Römische und germanische Kunst in der Slowakei (Bratislava 1984).

H. Meller/J.-A. Dickmann (Hrsg.), Pompeji – Nola – Herculaneum. Katastrophen am Vesuv (München 2011) 316–327.

 

 

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