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Fund des Monats

April 2016: Synkretismus in Bernburg? Interpretation um eine Bestattung mit ungewöhnlichem religiösen Bezug

Der Fund des Monats April stammt aus Krakau. Allerdings nicht aus dem allseits bekannten Krakau, der berühmten Großstadt im Südwesten Polens. Den Namen Krakau oder »Krakow« tragen eine Reihe kleinerer und größerer Siedlungen im ehemals slawisch besiedelten Gebiet zwischen Weichsel und Saale. Der westlichste Ort ist untergegangen – eine Wüstung in der Nähe der kleinen Ortschaft Peißen, im südlichen Weichbild von Bernburg (nicht das Peißen bei Halle). Im Zuge von Ausgrabungen im Vorfeld von Infrastrukturmaßnahmen wurde der wüst gefallene Ort Krakau wieder ans Licht gehoben – nicht gerade ein westslawisches Pompeji, aber dennoch reich an außergewöhnlichen Befunden, von denen wir hier ein besonders spektakuläres und außergewöhnliches Grab vorstellen möchten.
Das Grab gehört zu einem im August 2015 bei Kanalarbeiten entdeckten mittelalterlichen Friedhof auf dem Krakauer Berg am Westrand des Industriegebietes von Peißen, Salzlandkreis. Während die Süd- und Ostgrenze dieses Friedhofs bei den zur Zeit noch laufenden Untersuchungen erfasst werden konnte, blieb die Ausdehnung nach Norden und Westen bisher unklar. Aussagen zum Belegungsbeginn können daher momentan noch nicht mit der gebotenen Sicherheit gemacht werden. Der Fund eines spätmittelalterlichen Hohlpfennigs aus einer der Grabverfüllungen deutet möglicherweise auf ein Ende der Belegung während des 14./15. Jahrhunderts.

Bei dem Befund mit der Nummer 308 (Abbildung 1) handelt es sich um eine West-Ost-ausgerichtete Grabgrube mit dem komplett erhaltenen Skelett eines Erwachsenen Eine anthropologische Bestimmung des Skelettes steht noch aus. Das maximal etwa 1,75 Meter lange Skelett lag in gestreckter Rückenlage mit dem Kopf im Westen. Der vermutlich durch eine moderne Landmaschine postmortal etwas zerdrückte Schädel ruhte auf der rechten Seite. Als Abdeckung des Grabes diente wahrscheinlich ein Holzbrett, dessen Reste sich besonders in der westlichen Hälfte am nördlichen Rand der Grube gut erhalten haben und die sich auf bizarre Weise an den Schädel angeschmiegt haben. In west-östlicher Richtung verlaufen, ausgehend vom Schädel, bis etwa in Hüfthöhe, Strukturen, die von langen, verfilzten Haarsträhnen herzurühren scheinen. Sie erinnern an »Dreadlocks«, wie sie heute noch von »Rastafaris« getragen werden.

Wie auf dem Detailfoto des Oberkörpers (Abbildung 2) unschwer zu erkennen ist, wird die Haarstruktur von rötlichen, teils sogar violettstichigen Verfärbungen begleitet, die sich sowohl im Erdreich als auch am Schädel und den Gebeinen, insbesondere am linken Schlüsselbein, niedergeschlagen haben. Derartige rötliche Verfärbungen sind einst als Rötelstreuungen interpretiert worden. In jüngerer Zeit werden sie in der archäologischen Forschung jedoch immer öfter auch als Reste von hämatithaltigen »Haarfärbemitteln« und/oder Körperbemalung diskutiert (Borg/Jacobsohn 2013). Dieser Ansicht wollen wir hier im Wesentlichen folgen. »Rastalocken« als ureigene Ausdrucksform der Glaubensrichtung der »Rastafari«, entstanden im Jamaika der 1930er Jahre. Sie scheinen zunächst einmal aufgrund der räumlichen Ferne und der Datierung in das 14./15. Jahrhundert allenfalls formell zu unserem Befund zu passen.
Um sich der Interpretation des Fundes zu nähern, müssen wir zunächst grundsätzlich anerkennen, dass – von Zeit und Ort unabhängig – menschliche Gesellschaften verblüffend ähnliche kulturelle Ausdrucksformen finden, die sich auch im archäologischen Kontext wiederfinden lassen. Hölzerne Langhäuser finden sich bei mitteleuropäischen Bandkeramikern ebenso wie bei den Irokesen; Pyramiden in Ägypten ebenso wie in den mesoamerikanischen Hochkulturen, ohne dass diese Kulturen zeitlich und geografisch in irgendeiner Art in Verbindung gestanden haben. Es sind die gesellschaftlichen Strukturen und Umweltparameter, die die Menschen unabhängig voneinander sehr ähnliche kulturelle Erscheinungsformen entwickeln lassen.

Die Rastafari-Bewegung ist eine christliche Heilserwartungsbewegung, die starke synkretistische Elemente einschließt. Insbesondere lehnt sie westliche Elemente des Christentums ab und bezieht sich stattdessen auf die Erwartung der Wiederkehr des Messias aus ethnisch afrikanischen Kreisen. Auch die noch teils slawische Bevölkerung Krakaus des 14./15. Jahrhunderts – war zwar längst christianisiert, aber von westlichen Gesellschaften jenseits der Saale möglicherweise nicht vollends akzeptiert. Daraus dürfte Unzufriedenheit erwachsen sein, aus dem damit verbunden Gefühl des Zurückgesetzt-Seins in der christlichen Gemeinschaft erwuchs als Gegenbewegung die Hoffnung auf einen slawischen Messias – dessen Wiederkehr man irgendwo im Tiefen Osten erwartete und den man sich mit langen, roten »Rasta«-Locken vorstellte. Dass diese Bewegung nicht in der offiziellen Geschichtsschreibung Niederschlag gefunden hat, ist erklärbar: die Schreibstuben der Klöster waren ein Hort der Zensur, der jegliches außerhalb des Mainstreams »wegschwieg«. Abermals kann man daraus ersehen, wie ungemein wichtig unvoreingenommene archäologische Forschung und kreative, scheuklappenfreie Interpretation der erfassten Grabungsbefunde sind.


Text:
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

G. Borg/M. Jacobsohn, Ladies in Red – mining and use of red pigment by Himba women in Northwestern Namibia. In: H. Meller/C.-H. Wunderlich/F. Knoll (Hrsg.), Rot – die Archäologie bekennt Farbe. 5. Mitteldeutscher Archäologentag vom 04. bis 06. Oktober 2012 in Halle (Saale). Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 10 (Halle [Saale] 2013), 43–51.

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