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Fund des Monats

November 2018: Ein Megalithgrab bei Köchstedt?

Am Rande des Teutschenthaler Ortsteils Köchstedt im Saalekreis, westlich von Halle (Saale), erhebt sich auf einem sanften Hügel ein archaisch wirkendes Monument (Abbildung 1). Seine aus dunkelbraunen Steinblöcken errichtete gedrungene Gestalt vermittelt den Eindruck eines prähistorischen Megalithgrabes. Der durch flankierende Stelen und eine breite Freitreppe hervorgerufene repräsentative Charakter erinnert wiederum an eine Denkmalanlage.
Auskunft über die Hintergründe und die Entstehungsgeschichte dieses rätselhaften Baus gibt die Köchstedter Ortsakte im Fundstellenarchiv des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie in Halle: Hier ist vermerkt, dass am 21. Oktober 1925 beim Dampfpflügen auf einem Acker nördlich der Ortslage mehrere ungewöhnlich große Steinblöcke herausgerissen worden waren. Nach erfolgter Meldung durch den Gutsbesitzer Rittmeister a.D. Hans Ernst Koch traf noch am gleichen Tag der schwedische Archäologe Dr. Nils Niklasson an der Fundstelle ein.

Wegen der Einberufung verschiedener Mitarbeiter zum Militärdienst im Ersten Weltkrieg unterstützten damals sechs schwedische Archäologen im Rahmen eines Abkommens mit dem Schwedischen Reichsantiquar zeitweilig die Arbeit des damaligen Provinzialmuseums Halle. Unter ihnen auch Niklasson, welcher bereits 1916 als Student in die Saalestadt kam und hier bis 1929 tätig war. Bekanntheit erlangte er vor allem auf Grund seiner Forschungen zur Baalberger Kultur und den ersten Ausgrabungen in Salzmünde.
Im Auftrag des Provinzialmuseums inspizierte Niklasson die offengehaltene Fundstelle in Köchstedt, jedoch hatte man bereits einige der gefundenen Steinblöcke an den Straßenrand verlagert. Anhand der Angaben des Dampfpflugführers wurde ein vermeintlicher Urzustand rekonstruiert (Abbildung 2). Dem Fundbericht ist zu entnehmen, dass nach Niklassons Vermutung ursprünglich vier kleinere Blöcke einen großen unregelmäßigen Block stützten. Daneben lag auf gleicher Höhe ein massiver Stein auf dem natürlich gewachsenen sandigen Boden. Von den Darstellungen der Skizze ausgehend, scheinen die tragenden Steine dabei auf den Flachseiten gelegen zu haben. Die beiden massiven Blöcke hatte Niklasson mit etwa 1,5 mal 1,5 mal 0,7 Meter und 1,5 mal 1 mal 0,7 Meter vermessen. Die Sohle der Anlage gab er mit 1,3 Meter an. Darüber hatte der Archäologe eine 0,5 Meter starke Humusschicht ausgemacht. Das Material der gefundenen Komponenten bestimmte er als dichtes Quarzitsandstein. Niklasson betonte in seinem Bericht die Ost-West-Ausrichtung des Gesamtkomplexes sowie dessen exponierte Lage am nordöstlichen Abhang eines Höhenplateaus. Nach seinen Angaben enthielt die Anlage weder Skelettreste noch andere Beigaben. Außerdem erschien Niklasson der beengte Raum zwischen den stützenden Steinen für eine Bestattung zu klein, sodass er anfänglich einen Bestattungskontext ausschloss.

Die Ortsakte enthält neben dem Fundbericht und der Befundskizze auch Abschriften der 1933 erfolgten Korrespondenz zwischen Gutsbesitzer Koch und dem inzwischen zur Landesanstalt für Vorgeschichte in Halle unbenanntem Museum. Aus dieser geht hervor, dass die Steinblöcke von Gutsbesitzer Koch nicht verschlagen, sondern aufbewahrt worden waren. Außerdem soll Niklasson die Anlage in persönlichen Gesprächen mit Koch als Schein- beziehungsweise Leergrab »für einen Führer oder Großen der Gegend, der zur Verteidigung ausgesogen, nicht in seine Heimat zurückgekehrt sei« gedeutet haben. Zum Andenken an diesen habe man die Anlage nach Osten offengelassen und mit einer Art Vorkammer versehen, in der als Sinnbild für den Toten irgendein vergänglicher Gegenstand niedergelegt worden war.
Die Rekonstruktion der Anlage und die Deutung als Kenotaph müssen kritisch betrachtet werden. Es ist davon auszugehen, dass sich die Befundsituation infolge des massiven Bodeneingriffs durch den Pflug derart verändert hatte, dass der Fundkontext nicht mehr der in-situ-Lage entsprach. Diesen Umstand berücksichtigend, lässt sich der Befund durchaus als eine Begräbnisstätte interpretieren. Aus den vier Tragsteinen – von denen jeweils immer zwei annähernd gleiche Maße aufweisen – könnte ursprünglich eine beengte Steinkiste konstruiert gewesen sein, die zur Aufnahme einer Körperbestattung in extremer Hockerlage diente. Die beiden von Niklasson beschriebenen massiven Blöcke könnten die Anlage überkragend abgedeckt haben (Abbildung 3). Die fehlenden menschlichen Überreste und Grabbeigaben können mit sekundären Einflüssen – wie Tierfraß, einem der Knochenerhaltung ungünstigen Bodenmilieu oder Beraubung – in Verbindung stehen. Auch kulturelle Hintergründe mit einem beigabenarmen oder gar beigabenlosen Bestattungskontext kommen in Frage. Eine Deutung als Kenotaph beziehungsweise Leer- oder Scheingrab ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, scheint aber in diesem Zusammenhang fraglich. Ob es sich dabei um ein Flachgrab handelte oder die Bestattung durch eine Hügelaufschüttung oberirdisch gekennzeichnet war, muss auf Grund fehlender Indikatoren und infolge der langwierigen intensiven landwirtschaftlichen Nutzung des Fundgeländes offenbleiben.

Charakteristika wie Lage, Ausrichtung und Art des Steinkistengrabes geben Anlass, einen Entstehungszeitraum vom Mittel- bis zum Endneolithikum, also vom 4. bis zum Ende des 3. Jahrtausends vor Christus anzunehmen. Aufgrund der megalithisch wirkenden massiven Deckblöcke und in Anbetracht einer Bestattung nach vermutlichem Baalberger Ritus, welche 1934 in einer Sandgrube unweit nördlich der Fundstelle entdeckt wurde, ist das Steinkistengrab tendenziell der Baalberger Kultur (4000 bis 3400 vor Christus) zuzuordnen. Entsprechende Keramikfunde aus der benachbarten Gemarkung von Wansleben am See belegen die Anwesenheit dieser Kulturgruppe in der Gegend und stützen die Annahme. Weitere Grabfunde geben zudem Hinweise darauf, dass die gesamte Hochfläche nördlich von Köchstedt in vorgeschichtlicher Zeit als Bestattungsplatz gedient haben könnte.
Mit der Intention, den im Ersten Weltkrieg gefallenen Köchstedtern ein Denkmal zu widmen, wurde das Steingrab 1934 im Zeitgeist aus den aufbewahrten Originalbestandteilen wiederaufgebaut (Abbildung 4). Wahrscheinlich zur monumentalen und repräsentativeren Demonstration wurde die Anlage dabei ebenerdig und circa 1,1 Kilometer südwestlich der Fundstelle am Köchstedter Ortsrand, direkt neben einer Straßengabelung, errichtet. Der Wiederaufbau erweckt somit den Eindruck eines Megalithgrabs, welches wiederum der Form eines sogenannten erweiterten Dolmens ähnelt.

Die freie Rekonstruktion der Anlage wurde zu einem Heldendenkmal verklärt. Ohne wissenschaftliche Grundlagen und im Sinne einer nationalsozialistischen Ideologie wurde hier eine pseudokontinuierliche Ahnenreihe von den vermeintlich tugendhaften germanischen Vorfahren bis in die Gegenwart konstruiert.
Auch wenn die Hünengrabarchitektur im Denkmalkontext im Saalekreis kaum in Erscheinung tritt, so ist sie in Sachsen-Anhalt nicht ungewöhnlich. Vor allem im Norden unseres Bundeslandes kommen Kriegerdenkmale in dieser Architekturform häufiger vor.

Die Regionen der Altmark oder des Haldenslebener Forstes sind Gegenden, in denen glaziale Endmoränen gewaltige Findlinge zurückließen. Die riesigen eiszeitlichen Geschiebe dienten den dort lebenden Trichterbechergemeinschaften bereits ab der Mitte des 4. Jahrtausends vor Christus zum Bau monumentaler Großsteingräber. Ursprünglich gab es allein in der Altmark über 200 dieser Anlagen. Infolge vorwiegend neuzeitlicher Zerstörungen haben sich davon nur noch 48 Megalithgräber erhalten. Als in den 1920er Jahren auch in dieser Region der Wunsch nach Kriegerdenkmalen zu Ehren der Gefallenen des Weltkrieges aufkam, wurden diese Monumente vielerorts in Anlehnung an die Architektur prähistorischer Großsteingräber der Umgebung errichtet. Im Vordergrund stand die germanische Heldenverehrung, welche für die Erbauer solcher Anlagen gehalten wurden. Beispiele für altmärkische Kriegerdenkmale in Hünengrabarchitektur finden sich im Rohrberger Ortsteil Ahlum (Abbildung 5) sowie im Ortsteil Bornsen der Gemeinde Jübar (Abbildung 6).

Hinter dem Kriegerdenkmal von Kläden verbirgt sich ein ähnlicher Hintergrund wie im Fall der Köchstedter Denkmalanlage (Abbildung 7). 1931 wurden dort die gewaltigen Findlinge aus einem sich bereits auf Grund von Kiesabbau in Auflösung befindlichen ortsnahen Großsteingrab abtransportiert. Neben der Dorfkirche wurden diese dann in Form eines Dolmens zusammengefügt und als Ehrenmal für die Weltkriegsopfer des Ortes umgewidmet. Obwohl die Grabform eines Dolmens in der Altmark nicht vorkommt, war diese Art der Gestaltung vom Stendaler Prähistoriker Paul Kupka vorgeschlagen worden.
Trotz der fehlenden Authentizität und seiner verklärten Umdeutung als völkisches Heldenmonument ist das Köchstedter Steingrab beziehungsweise Kriegerdenkmal heute ein wichtiges Zeugnis für die Instrumentalisierung der Erinnerungskultur sowie für die Veränderung innerhalb der deutschen Archäologie im 20. Jahrhundert. Bedenkt man darüber hinaus, dass 1925 beim Abtransport der mächtigen Steinblöcke zwei Dampfmaschinen unter mehrmaligem Zerreißen der Stahlseile vonnöten waren, ist es gleichzeitig ein Beleg für das Potenzial der neolithischen Bevölkerung in der Region.

Text: Mike Leske
Online-Redaktion: Georg Schafferer, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

Ortsakte Köchstedt/Saalekreis, OA-ID 2129 im Fundstellenarchiv des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (LDA).

H.-J. Beier, Die megalithischen, submegalithischen und pseudomegalithischen Bauten sowie Menhire zwischen Ostsee und Thüringer Wald (Wilkau-Haßlau 1991).

H. Bock, Kriegerdenkmäler und Hünengräber. In: H. Meller (Hrsg.), Großsteingräber der Altmark (Halle/S. 2006), 186–191.

U. Fischer, Die Gräber der Steinzeit im Saalegebiet – Studien über neolithische und frühbronzezeitliche Grab- und Bestattungsformen in Sachsen-Thüringen (Berlin 1956).

T. Kublenz, Baalberger Kultur. In: H.-J. Beier / R. Einicke, Das Neolithikum im Mittelelbe-Saale-Gebiet und in der Altmark (Langenweissbach 2006), 113–128.

M. Leske, Ein Megalithgrab bei Köchstedt? Neu-Interpretation des Befundes und seine ideologische Verklärung (Teutschenthal 2014).

J. Preuß, Die Baalberger Gruppe in Mitteldeutschland (Berlin 1966).

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