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Fund des Monats

April: Neu(zeitlich)es vom Wünschen

Wer hätte nicht gerne einen Wunsch frei? Die Vorstellung vom Wünschen und jemandem, der einem diese Wünsche erfüllt, geheime oder offene, ist seit jeher mit dem menschlichen Sein verbunden. Mit einem Wunsch Dinge geschehen zu lassen oder ungeschehen zu machen »oder den Lauf des Schicksals zu beeinflussen« findet sich in vielen Erzählungen der Vergangenheit und ist ebenso Teil heutiger neuer Geschichten. Doch nun werfen archäologische Funde, die bisher eher unbeachtet ihre Zeit verbrachten, nach ihrer Restaurierung ein bisher unvermutetes Licht auf das Wünschen. Und geben außerdem einen Hinweis auf die fürs Wünschen nötigen Gerätschaften, auf das dafür benötigte sprichwörtliche »Zeug« dazu.

Dabei beginnt die Geschichte dieser jüngsten Forschungsergebnisse eher unscheinbar. Während der Ausgrabungskampagne im Jahr 2013 wurden am Arsenalplatz in Wittenberg eine Menge Glasscherben vergangener Zeiten entdeckt. Darunter auch bemalte Glasscherben, die zusammen mit anderen Glasscherben, allesamt Teile von zerscherbten Glasgefäßen, in einer Latrine entsorgt wurden. Nach ihrer Auffindung dauerte es bis zum Oktober 2018  bis den Glasscherben größere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. In der Restaurierungswerkstatt des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt gelang es den Restauratoren, die bemalten Glasscherben wieder zu ihrer ursprünglichen Form, der eines frühneuzeitlichen Glashumpenszusammenzufügen (Abbildung 1).

Der Humpen wurde aus über 30 Fragmenten zusammengesetzt und hat einige Fehlstellen. Der Standboden ist ebenfalls nicht erhalten. Das Glas, aus dem er besteht, verfügt über eine recht dicke Wandstärke und ist farblos. Insgesamt hat der Humpen im Aufmaß eine Höhe von mindestens 28 Zenitmetern und einen maximalen Durchmesser von 8,5 Zentimetern. Damit konnte er ein Volumen von circa 1,1 Litern fassen (Abbildung 2).
Er ist mit einer polychromen Emaillemalerei flächig verziert. Die Oberfläche ist an vielen Stellen bereits mit der Bemalung abgeplatzt und die Farben haben sich durch die Korrosion während der Bodenlagerung verändert. Den hochgezogenen Boden ziert eine Punktreihe aus weißer Emaillefarbe. Der Rand trägt ein vergoldetes Band begrenzt von zwei Punkreihen aus weißen und braunen Punkten. Der Humpen ist außerdem großflächig figural verziert. Die Bemalung ist polychrom gestaltet, die ursprüngliche Farbenpracht ist durch die Korrosion der Farben stark verbräunt. Lediglich die gelbe und die weiße Farbe sind relativ gut erhalten. So stehen die Figuren auf einem ehemals grünen Boden.

Die Emaillemalerei zeigt im Zentrum des Dekors die biblische Szene der Opferung Isaaks. Abraham ist aufrechtstehend mit erhobenem Messer dargestellt. Sein Sohn Isaak kniet betend auf dem Scheiterhaufen vor ihm. Neben den beiden steht ein Weihrauchopfer mit aufsteigendem Rauch. Abraham blickt nach oben zu einer Hand, die aus einer Wolke kommt und ihm Einhalt gebietet. Diese Hand ist auf einer einzelnen Scherbe abgebildet, die aufgrund von fehlenden Passstellen nicht mehr an den Humpen angefügt werden konnte. Durch ein gliederndes pflanzliches Element von dieser Szene abgesetzt, ist weiter links im Bild ein Widder abgebildet. Dieser steht hier noch vor einem Gebüsch bis er dann im weiteren Verlauf der Handlung auf Gottes Geheiß von Abraham anstelle seines Sohnes geopfert wird. Der verbleibende Raum auf der Rückseite des Humpens ist mit Maiglöckchenstauden gefüllt. Über der Szenerie befindet sich ein Schriftzug «GENESIS___AM Z__» und darunter eine datierende Jahreszahl «1__2». Beide Aufschriften sind erhaltungsbedingt unvollständig.

Die Szene von Isaaks Opfer ist ein in der Kunst häufig anzutreffendes Sujet und auch auf Trinkgefäßen nicht ungewöhnlich. Eine der Wittenberger Darstellung recht ähnliche Darstellung ist zum Beispiel auf einem Stangenglas abgebildet, das aktuell im Schloss Ambras in Innsbruck ausgestellt wird und das in das Jahr 1591 datiert wird (Abbildung 3).

In ganz ähnlicher Manier ist auch hier Abraham zu sehen. Den einen Arm hat er, mit dem Messer in der Hand, zur Tat bereit zum Himmel emporgehoben, mit dem anderen hält er seinen ebenfalls auf einem Scheiterhaufen knienden Sohn in festem Griff. Am rechten Bildrand ist auch in dieser Szene ein Gefäß zu sehen, aus dem eine Dunstwolke zu entschweben scheint (Abbildung 4).

Bis an diese Stelle scheinen sich beide Szenen völlig zu ähneln. Doch es gibt ein Detail, das den Wittenberger Humpen besonders macht. Ein Detail, das sich thematisch von der dargestellten biblischen Szene entfernt und in eine neue, spektakuläre Richtung weist. Denn bei der Restaurierung und der damit verbundenen genauen Untersuchung stießen die Forscher auf einen zusätzlichen «Bildinhalt» in der Darstellung. Vielleicht handelt es sich hierbei um einen im Bild versteckten, verschlüsselten Hinweis (Abbildung 5).

Dieses bemerkenswerte Detail auf dem Wittenberger Humpen verdanken wir einem Glaskünstler der seinerzeit nicht nur ein Weihrauchgefäß mit aufsteigendem Weihrauch darstellen wollte. Er charakterisierte dieses Rauchgebilde durch das Hinzufügen von Augen und Mund eindeutig als ein Wesen. Handelte es sich hier um einen Künstler, der mit viel Vergnügen aus der Muße heraus seiner Handwerkskunst nachging oder hatte er die Absicht auf etwas Bestimmtes hinzuweisen? Oder hatte er die künstlerische Absicht etwas abzubilden, was andere nicht anzudeuten wagten!?

Dieses bemerkenswerte Detail auf dem Wittenberger Humpen verdanken wir einem Glaskünstler der seinerzeit nicht nur ein Weihrauchgefäß mit aufsteigendem Weihrauch darstellen wollte. Er charakterisierte dieses Rauchgebilde durch das Hinzufügen von Augen und Mund eindeutig als ein Wesen. Handelte es sich hier um einen Künstler, der mit viel Vergnügen aus der Muße heraus seiner Handwerkskunst nachging oder hatte er die Absicht auf etwas Bestimmtes hinzuweisen? Oder hatte er die künstlerische Absicht etwas abzubilden, was andere nicht anzudeuten wagten!?
 

Dieses Rauchgebilde verdient eine genauere Betrachtung. Bei Wesen, die aus dem Äther erscheinen, gar aus einem Gefäß zu uns kommen, liegen einem jeden von uns literarische Vergleiche nahe. Ein bekannter Vergleich findet sich in den Erzählungen Tausendundeiner Nacht. Einer Geschichtensammlung beziehungsweise einer Schachtelgeschichte, in der sich Scheherazade jede Nacht für den König Schahrijar eine neue Geschichte ausdenkt und immer an der spannendsten Stelle aufhört. Dabei ist die Anzahl ihrer Geschichten beziehungsweise die Länge ihrer Erzählung nicht nur von ihrer Absicht den König am Ende zu ihrem Manne zu gewinnen motiviert, sondern diente in erster Linie ihrem eigenen Überleben.
Der Ursprung der Erzählungen wird im indischen Raum vermutet, aber auch ein persischer Ursprung ist möglich. Wohl schon um 250 nach Christus entstanden, sind von den ursprünglichen Texten keine überliefert. Unter den Sassaniden soll es um 500 nach Christus eine Übertragung ins Mittelpersische mit dem Titel «Tausend Erzählungen» gegeben haben, die ebenfalls verschollen ist. Wahrscheinlich im 8. Jahrhundert erfolgte dann eine Übertragung ins Arabische. Eines der ältesten erhaltenen Fragmente aus dieser Zeit ist das Chicago-Fragment von 850 nach Christus (Abbildung 6). Unsere europäische Rezeption der Erzählungen von Tausendundeiner Nacht gründet sich auf die sogenannte Galland-Handschrift. Einem Text, den der französische Orientalist Antoine Galland 1701 erworben hatte und den er in übersetzter Form ab 1704 publizierte. Der arabische Text der Galland-Handschrift ist aber nicht vollständig, er endet nach der 282. Nacht. Er befindet sich heute in der französischen Nationalbibliothek.

»Nein, Mutter, sorg' dich nicht,« begann
Der Sohn nach einigem Besinnen.
»Für unsern heutigen Bedarf
Genügt's, die Lampe zu verkaufen,
Die gestern ich beiseite warf.
Ich will mit ihr zum Händler laufen; –
Der wird gewiss mir einen Groschen
Dafür bezahlen oder zwei.«

Die Mutter holte sie herbei
Und sprach: »Ihr Glanz ist längst erloschen;
Auch ist von Staub und Rost und Schmutze
Von oben sie bis unten voll;
Wenn sie der Händler kaufen soll,
Ist's ratsam, dass ich erst sie putze.«
So nahm sie Wasser denn und Sand;
Kaum aber hatte sie zu scheuern
Begonnen mit geübter Hand,
Da stieg in einer ungeheuren
Und grauenhaften Schreckgestalt,
Des Zimmers ganzen Raum erfüllend,
Ein Geist vor ihr herauf, der brüllend
Mit markerschütternder Gewalt
Sie anfuhr: »Was ist dein Begehr?
Um dir zu dienen, komm' ich her.
Gehorchen muss ich jedermann,
Der diese Lampe hält in Händen.«

(Fulda 1912, 18)

In den Versen wird deutlich, dass es möglich und bemerkenswerterweise auch völlig unproblematisch ist, die wünschende Person, also den Wünscher, einfach zu vertauschen. Außerdem enthält der Text im ersten Absatz auch noch einen Hinweis auf einen zweiten Aspekt der Wunschgefäßproblematik. Nur allzu leicht, so scheint es, verwechselt man das Behältnis der Ätherwesen mit gewöhnlichen Gegenständen.
Auch die Geschichte von Aladin und der Wunderlampe wurde von Antoine Galland publiziert und bildet zusammen mit den anderen Geschichten, wie bereits erwähnt, den Ausgangspunkt unserer europäischen Rezeption der Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht. Die Geschichte von Aladin und der Wunderlampe war aber in dem Text der Galland-Handschrift nicht enthalten. Für die Forschung ist klar, dass Galland eine andere Quelle benutzt haben muss Vielleicht diente ihm als Quelle eine Erzählung mit einem historischen Hintergrund? Möglicherweise handelte es sich sogar um einen Bericht einer tatsächlichen Begebenheit. Eine weitere wichtige Frage ist auch, ob in der Überlieferung vielleicht ein Detail verloren gegangen ist oder sogar wissentlich verändert wurde. Waren es am Ende nicht nur Öl-Lampen, die eines dieser Dunstwesen beherbergten?!
Sowohl die literarischen Quellen, darunter jahrhundertealte Überlieferungen, als auch bildliche Darstellungen bis in die frühe Neuzeit hinein erlauben nur den Schluss, dass es sich keinesfalls um ein Einzelphänomen handeln kann. Auch die zeitliche Tiefe und Häufigkeit der Hinweise lassen darauf schließen, dass hinter diesen Weihrauchgefäßen, wie sie auf dem Wittenberger Humpen abgebildet sind, mehr steckt, als man durch ihr dekorierendes Arrangement in der Szene vermutet.

Auffällig ist auch die Form des Gefäßes, das mit seinen sich gegenüberstehenden Handhaben nicht an eine Weihrauchschale, sondern viel eher an eine Amphore erinnert. Wenn man bedenkt, welch ungeheure Zahl von Amphoren im Laufe der Menschheitsgeschichte genutzt worden sind, stellt sich die Frage ob der Forschung bisher nicht ein bedeutender Aspekt entgangen ist. Ist ein Handel mit solchen „speziellen“ Amphoren denkbar oder gibt es sogar Hinweise auf einen größeren, möglicherweise europaweit vernetzten Wünsche-Handel? Einen guten Eindruck von der schieren Menge gehandelter Amphoren vermitteln die diversen Funde der Wracks von Handelsschiffen im Mittelmeer. Die Schiffskörper selbst haben die Zeit meist nicht überdauert, aber der Inhalt ihres Laderaums zeugt heute noch am Meeresgrund vom florierenden Handel.
Vor diesem Hintergrund gelang Archäologen des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt vor kurzem bei einer aktuellen Ausgrabung in Sachsen-Anhalt der wissenschaftliche Durchbruch. Den genauen Ausgrabungsort müssen wir aufgrund der Brisanz der Funde und auch wegen des wohl aufkommenden Interesses nach der wissenschaftlichen Bestätigung der Ergebnisse leider geheim halten. Auch Fotos von der Ausgrabung können wir wegen der Wiedererkennungsgefahr leider in diesem Artikel nicht veröffentlichen. Auf der Ausgrabungsfläche wurde im Planum unter einer Planierschicht und einem Zerstörungshorizont eine verfüllte Öffnung entdeckt, die sich als eine Art Zugang herausstellte. Nach dem vorsichtigen Abtrag der verfüllenden Schichten staunten die Forscher nicht schlecht, als sich ihnen ein kleiner quadratischer Raum mit Quadermauerwerk eröffnete, der aufgrund seiner Abmessungen zwar unscheinbar schien, sich jedoch durch seine konstruktiven Bauelemente und Verzierungen, die allesamt in die früheste Neuzeit datieren, als außergewöhnlich herausstellte. In ihm wurde eine große Zahl von Amphoren gefunden, die denen auf den bildlichen Darstellungen zum Verwechseln ähnlich sehen. Viele dieser „Wunschamphoren“ waren leider bereits zerscherbt oder entkorkt, was bei den verantwortlichen Archäologen für Enttäuschung sorgte. Umso größer war die Freude über die Sensation, als in der Nordostecke des Gemäuers eine vollständig erhaltene, unbeschädigte „Wunschamphore“ geborgen werden konnte (Abbildung 7).
Unter strengster Geheimhaltung und größten Sicherheitsvorkehrungen bereiten sich die Forscher derzeit darauf vor, die Amphore zu öffnen. Sie haben damit begonnen, ihre Wünsche aufzuschreiben und suchen intensiv nach weiteren Ideen für solche. Vorschläge für Wünsche nimmt das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt unter dem Stichwort „Wunschzeit“ noch bis zum 01. April 2019 entgegen. Über die Anzahl der wünschbaren Wünsche herrscht unter den Wissenschaftlern Uneinigkeit. Einige Beteiligte legen die vorhandenen literarischen Quellen derart aus, dass es eine Vielzahl möglicher Wünsche gibt, ist der „Geist“ erst aus der Flasche. Die viel sachlicher agierenden Forscher gehen jedoch davon aus, dass jeder „nur“ drei Wünsche frei hat.
Wir werden die aktuellen Entwicklungen sobald wie möglich veröffentlichen.


Text: Vera Keil, Denis Dittrich
Online-Redaktion: Imke Westhausen, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

Nabia Abbot, A ninth-century fragment of the „Thousand Nights“. New light on the early history of the Arabian nights. Journal of Near Eastern Studies, VIII/3 (Chicago 1949) 129–164.

Ludwig Fulda, Aladdin und die Wunderlampe (Berlin 1912).

Lutherbibel 1912, Buch 1. Mose, 22; www.bibel-online.net [16.03.2019].

de.wikipedia.org/wiki/Tausendundeine_Nacht [16.03.2019]

www.t-online.de/tv/news/panorama/id_84606448/archaeologen-entdecken-antiken-schiffsfriedhof-im-griechischen-mittelmeer.html [16.03.2019].

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