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Fund des Monats

August 2020: Der Schlüssel ins Jenseits oder wieviel Geld hat man dabei?

Im Jahr 2018 fanden baubegleitende Ausgrabungen in der Grete Minde Straße in Tangermünde, Landkreis Stendal statt (Abbildung 1). Die Stadtwerke Tangermünde planten die Neuverlegung einer Trink- und einer Abwasserleitung in den schon vorhandenen Straßenkörper der Grete Minde Straße. Obwohl diese Straße außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauer liegt ist sie nicht weniger interessant.

Die Geschichte des Geländes begann mit dem Ausbau der Stadtmauer im 15. Jahrhundert. Es wurde die vorhandene Stadtmauer erhöht und Wallanlagen nach Nordosten und Westen angelegt. So entstand auch der Stadtgraben, der auf der Nordwestseite heute noch zu erkennen ist. Während und nach dem Dreißigjährigen Krieg hatte die Stadt Tangermünde ein Problem! Wohin mit all den Toten? Die Städtischen Friedhöfe reichten nicht mehr aus. Brände, Pest und die Kriegsopfer mussten beigesetzt werden. So kam man darauf die Wallanlagen für die Beisetzungen zu nutzen. Es entstand nach und nach ein Friedhof der hinter der nördlichen Bebauung der Hünerdorfer Straße begann und sich bis über die Töpferpforte bis zur Notpforte hinzog.
So entstand vom 18. bis 20. Jahrhundert ein etablierter Friedhof. So wurde eine Friedhofsmauer errichtet, der Friedhofwerter bekam eine Unterkunft und auch für den Leichenwagen wurde eine Remise gebaut. Bäume und Sträucher wurden gepflanzt und Wege angelegt.
Die Erinnerung an Tote wurde zum Teil durch große Grabbauten erhalten. So kann man heute noch die überirdische Gruftanlage der Familie Westphal erkennen. Die Gruft lehnt sich von außen an die Stadtmauer an beziehungsweise ist mit ihr bautechnisch verzahnt. So gelangen die Schüler der Comenius Grundschule seit 1865 durch den mit einer Treppe versehenen Durchgang gewissermaßen durch die Gruft auf einen Teil ihres Schulhofs.
Ende des 19. Jahrhunderts Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Straßenverkehr über die Friedhofstraße zu gefährlich.


Bekanntmachung.

Auf Grund der Beschlüsse der städtischen Körperschaften vom 06.Juli und 11. Juli 1922 wird die Friedhofsstraße als öffentliche Verkehrsstraße eingezogen und von der Lämmergasse bis zur Lindenstraße für den Verkehr mit Fuhrwerken hiermit dauernd gesperrt.

Tangermünde den 27 Juli 1923

Die Polizei - Verwaltung


 

Der Magistrat der Stadt Tangermünde wollte eine Straße quer über den Friedhof von der Lindenstraße bis Hünerdorfer Straße bauen, die dann über die Schloßfreiheit zum Fähranleger unterhalb der Burg führte. Da hatte allerdings der Gemeindekirchenrat etwas dagegen. Obwohl die Stadt die Umbettung der betroffenen Grablagen bezahlen (ein Grab Umbettungskosten 95,00 Mark mal 54 Gräber = 5130,00 Mark / Stand 1919) und auch organisieren wollte, wurde die Materialbestellung für die neue Straße erst im Jahr 1930 ausgelöst. Die fertige Straße wurde schließlich im Jahr 1933 fertiggestellt.
Bei den Straßenbauarbeiten der 1930er Jahre wurden die oberen Grablagen wohl auch tatsächlich umgebettet. Jedoch griff die Baumaßnahme von 2018 tiefer ins Erdreich ein um die Ver- und Entsorgungsleitungen frostfrei verlegen zu können (Abbildung 2). So ist es nicht verwunderlich, dass die archäologischen Untersuchungen Reste von tiefer liegenden Bestattungen zu Tage brachten. Bei der Dokumentation der Grabbefunde wurde deutlich, dass die Totengräber nicht immer sauber arbeiteten, sodass Skeletteile in Grabgruben folgender Bestattungen umgelagert wurden. Ein ganz besonders interessanter Befund soll im Folgenden genauer beleuchtet werden.

Es handelt sich um Befund 84, der als Grab 23 bezeichnet wird (Abbildung 3). Es befindet sich im Planum 14 und konnte über die gesamte Körperlänge geborgen werden. Die Tiefe ist mit 42,07 bis 41,88 Meter über Normalnull angegeben. Zur Geländeoberkante beträgt der Abstand 1,68 Meter (Straße). Das Grab ist Südwest - Nordost mit Blickrichtung Nordost ausgerichtet. Das hier bestattete Individuum wurde in einem Kiefernsarg bestattet, der sich stark in Auflösung befand. In der Grabgrube wurden 21 Nägel entdeckt. Als erstes zeichnete sich beim Freilegen der Schädel ab. Von 206 Knochen im Falle der Vollständigkeit eines menschlichen Skelettes, konnten hier lediglich 116 Einzelknochen geborgen werden. Somit ist von einem gestörten Grabzusammenhang auszugehen.
Im Zuge der Freilegung wurde eine Trepanationslinie an der Schädelstirn erkannt, welche darauf hinweist, dass am Leichnam des hier bestatteten circa 20 jährige Mann eine Obduktion durchgeführt wurde (Abbildung 4). In Westentaschenhöhe, also kurz über dem Becken zeigte sich ein kleines Stoffpaket mit einem grünen Schimmer. Aufgrund der starken Verunreinigung und auf Grund seiner länglichen ovalen Form wurde das Objekt zunächst als Brosche angesprochen. Der Sonderfund wurde nach Halle in die Restaurierungswerkstatt des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie verbracht.

Hier sollte der in Textil eingewickelte Klumpen gesichert, gereinigt und erforscht werden (Abbildung 5). Denn was sich tatsächlich in dem Textilpaket verbarg, war nicht gewiss.
Archäologische Textilien sind meist aufgrund der Lagerungsbedingungen im Boden in einem sehr schlechten Zustand und lassen sich nicht so einfach entfalten. Sie können sogar so sehr angegriffen sein, dass es sich gänzlich auflösen. Das ist in unserer Region bedauernswerterweise fast immer der Fall. Sie können allerdings auch durch bestimmte physikalisch/chemische Vorgängen konserviert worden sein. Bei vorliegendem Fund waren die Bedingungen ausreichend gut, so dass das Textil erhalten blieb, wenn auch in einem stark abgebauten Zustand.

Zunächst wurde der Fund ausführlich dokumentiert. Dazu wurden, neben der herkömmlichen Bilddokumentation, auch Röntgenaufnahmen gemacht. Da Röntgenstrahlen die Materialschichten durchdringen können damit Informationen über Form, Materialdichte und Zerstörungsgrad gewonnen werden.

Das Bild der digitalen Röntgenaufnahme zeigt deutlich, dass hier keine Brosche vorliegt. Es sind vier Münzen, die sorgsam aneinandergereiht in das Textil eingewickelt wurden (Abbildung 6). Es liegt also ein kleiner Münzschatz vor.
Sollte nun das Päckchen zerstört werden, um an die Münzen heranzukommen? Diese sind allerdings im jetzigen Zustande nicht lesbar, liefern also keine Informationen über Alter, Art und Herkunft. Gerade aber über die zeitlich zuzuordnenden Münzen lassen sich die Erkenntnisse zu der gesamten Fundstelle verfeinern.

Schon seit geraumer Zeit arbeitet das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie mit dem Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS) in Halle zusammen. Unter anderem werden kleinere Objekte mit dem  Micro-Computertomographen untersucht. Bei diesem Verfahren wird mit einer sehr hohen Auflösung das Objekt Schicht für Schicht über Röntgenstrahlung durchleuchtet und das gewonnene Bild kann dann dreidimensional betrachtet werden.
So wurde auch der »Blick ins Innere« bei diesem aktuellen Fund gewagt und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Schicht für Schicht sind nun die einzelnen Münzen vorder- und rückseitig klar und deutlich lesbar dargestellt, entweder abspielbar über ein kleines Video oder über einzelne Bilder (Abbildung 7).
Es handelt sich hier um Pfennigmünzen: zweimal zwei Pfennige, einmal ein Pfennig und einmal fünf Pfennig aus dem Jahre 1874 und 1876 (Abbildung 8).

Bei diesem erfolgreichen Ergebnis wurde entschieden, das Geldpäckchen im jetzigen Zustand zu belassen. Die Kupferkorrosion ist bei passenden Klimabedingungen nicht schädigend, muss somit nicht zwingend entfernt werden. Die Münzen unwiderruflich voneinander zu lösen und zu reinigen kann problemlos noch später durchgeführt werden. Zudem sind die Pfennige aus dieser Zeit keine Rarität so dass sie für die Numismatik nicht von hohem Wert sind. Der Charme des kleinen Geldschatzes überwiegt.
Dennoch sollten Reinigung, Sicherung und Untersuchung der Textilien durchgeführt werden. Die Reinigung konnte recht problemlos erfolgen, da die aufliegenden Schmutzpartikel sehr locker auflagen. Während dieses Prozesses wurde deutlich, dass die eigentlichen Textilfasern bereits abgegangen waren und lediglich ein «textiles Gerüst» erhalten blieb. Damit kann zumindest die Textilbindung, die Fadenstärke und die Webdichte abgelesen werden: Es liegt ein sehr feines leinwandbindiges Gewebe vor. Der Faden ist im Durchschnitt 0,15 Millimeter dick und auf einem Quadratzentimeter sind in etwa 30 Fäden pro Fadenrichtung verarbeitet worden (Abbildung 9).

 

An wenigen Stellen liegen noch textile Fasern vor. Dies ist dem Korrosionsprozess der kupferhaltigen Münzen zu verdanken. Die Korrosionsprodukte lagern sich an den Fasern an und schützen sie somit vor dem totalen Zerfall. Leider ist deren Zustand dennoch so schlecht, dass eine Materialbestimmung - das geht über mikroskopische Betrachtung der Oberflächenstruktur einzelner Fasern - nicht mehr möglich ist.

Da das Textil an den Rändern durchgängig gerissen ist, ergab sich zusätzlich die Möglichkeit, eine Hälfte der textilen Verpackung abzunehmen (Abbildung 10). Die Anhaftung der Kupferkorrosion war hier sehr gering. Nun konnte auch mit bloßem Auge erkannt werden, dass es sich um vier «runde Scheiben», also Münzen, handelt. Diese sind wegen der dicken Korrosionsauflagerung tatsächlich nicht lesbar und zudem auch fest miteinander »verbacken«.
Sehr aufschlussreich ist die Rückseite des abgenommenen Textilfragments. Hier liegt unter dem »textilen Gerüst« dünnes Papier auf, welches durch Falten und Knicke eng zusammengepresst und mehrschichtig vorliegt. Dass auch Papier Verwendung fand, konnte durch genauerer Betrachtung der textilen Bruchkanten nur vermutet werden.

Aufgrund der Fragilität der Münzverpackung mussten Stabilisierungsmaßnahmen vorgenommen werden. Eine dezente Tränkung dieser Textil-Papier-Schicht mit einem stark verdünnten Acrylat soll weitere Beschädigungen verhindern (Abbildung 11).
Durch eine punktuelle Klebung (Acrylat) wurde zum Abschluss die abgenommene Textilhälfte wieder angebracht und somit der kleine Münzschatz wieder verschlossen.
Der ursprüngliche Wert des Schatzes ist nun bekannt, doch warum er dem jungen Mann mit in seinen Sarg gelegt wurde, bleibt ein Geheimnis.


Text: Torsten Müller, Friederike Hertel
Online-Redaktion: Imke Westhausen, Anja Lochner-Rechta

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