Zur Navigation (Enter) Zum Inhalt (Enter) Zum Footer (Enter)

Fund des Monats

Januar 2023: Ein Ortband vom Ortsrand

Etwa vier Hektar dichter Laubwald mitten im Unterharz – auf dieser Fläche, unweit von Harzgerode, hat sich vor über 700 Jahren ein Dorf befunden (Abbildung 1). Nur eines von vielen Hunderten ehemaligen Dörfern im Harz, könnte man meinen. Diese Fundstelle ist jedoch in mehrfacher Hinsicht eine besondere. Noch heute sind die Reste der kleinen Siedlung vor Ort deutlich ausgeprägt zu erkennen. Weitaus eindrücklicher zeichnet sich die regelhafte Parzellierung aber in den digitalen Geländehöhendaten ab (siehe Swieder 2022). Beiderseits eines Bachlaufes erstreckte sich das Reihendorf, das aus insgesamt etwa 19 Hofstellen bestand. Wenige Dezimeter tiefe Gruben entlang des mittig gelegenen Angers markieren die ehemaligen Hausstandorte. Flache Wälle trennen die einzelnen Grundstücke voneinander. Zusammen mit einem ovalen Burghügel von etwa 50 Meter mal 40 Meter Größe inmitten der Siedlungsfläche bildet der Fundplatz ein obertägig außergewöhnlich gut erhaltenes Bodendenkmal.

Im Frühjahr und Herbst 2022 fanden hier erstmals regelhafte archäologische Untersuchungen statt. Als Kooperation des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt mit der Georg-August-Universität Göttingen wurde das Projekt von Studenten aus Niedersachsen und ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegern aus Sachsen-Anhalt unterstützt. Es kamen dabei verschiedenste Methoden zum Einsatz. Im Vorfeld wurde die gesamte Fläche mit Metallsonden begangen. Systematisch konnten so vor allem mehrere Hundert metallene, aber auch etliche keramische Oberflächenfunde dokumentiert werden. Als weiteres nicht-invasives Verfahren diente die Prospektion mittels Magnetometer auf ausgewählten Flächen. So ließen sich Mauerstrukturen und steinerne Wallkörper dokumentieren. Bohrungen im Bereich des Burgwalls erbrachten erste Erkenntnisse über das Bodenprofil. Anschließend konnten dann gezielte Grabungsschnitte angelegt werden. Die mit Graben und Wall befestigte Burg diente vermutlich einem Angehörigen des niederen Adels als Sitz. Dies bezeugen Funde hoch- und spätmittelalterlicher Keramik sowie eines zoomorphen Aquamaniles, die für eine gehobene Tischkultur sprechen. Hohlziegel – teilweise glasiert – und durchlochte Schieferplatten bedeckten einst die Dächer der repräsentativen Steingebäude innerhalb der Wallburg. Mehrere der über 440 Eisenfunde lassen sich dem ritterlichen Lebensumfeld zuweisen, darunter Sporen und Beschläge von Schwertscheiden.

Herausragender Fund der ersten Kampagne ist ein eisernes Ortband (Abbildung 2) vom südlichen Rand der Wüstungsfläche. Ortbänder dienten als Abschluss der Scheide eines Schwertes dem Schutz und Zusammenhalt dieser sowie auch dem Schutz der Klingenspitze und des Schwerträgers. Als dekoratives Element kann es verschiedenste Formen aufweisen und sich so zeitlich einordnen lassen.
Das hier aufgefundene Stück ist etwa vier Zentimeter lang und schmal U-förmig. Die lang ausgezogenen Ränder enden in zwei volutenartig nach innen eingerollten Nietarmen, während sich in der Mitte eine zentral im Zierfeld angesetzte Palmette befindet. Diese Kombination ist äußerst selten und macht das Stück zu einem besonderen Fund. Während Grundform und Nietarme auf das mitteleuropäische Binnenland verweisen, sind Palmettenverzierungen seit dem 11. Jahrhundert vor allem im nordosteuropäischen Raum verbreitet. Anhand dieser Elemente lässt sich der Fund zeitlich in das 12. bis 14. Jahrhundert einordnen (Krabath 2001; Posselt 2016).
Ein weiteres Ortband aus Eisen stammt aus dem nördlichen Wüstungsareal. Dieses ebenfalls U-förmige und mit eingezogenen Nietarmen versehene Exemplar ist mit etwa vier Zentimetern mal vier Zentimetern deutlich größer. Da es keine weiteren Anhaltspunkte zur Datierung besitzt, kann es nur grob dem 12. bis 15. Jahrhundert zugewiesen werden (Posselt 2016; Krabath 2001).

Vergleichbare mittelalterliche Ortbänder können beispielsweise in der UNESCO-Welterbestätte Naumburger Dom bewundert werden. So trägt die Mitte des 13. Jahrhunderts geschaffene Stifterfigur des Markgrafen Ekkehard II. von Meißen (geboren um 985, gestorben 1046) vor einem Dreieckschild in ihrer linken Hand ein Langschwert in einer Scheide, die am unteren Ende durch ein Ortband abgeschlossen wird (Abbildung 3). Während dieses Ortband volutenartig eingerollte Nietarme aufweist, zeigt die Figur des Grafen Syzzo III. von Schwarzburg-Kevernburg (geboren um 1093, gestorben 1160) eines, das dem zweiten in der Wüstung gefundenen Stück gleicht.

Diese ersten Ergebnisse der Fund- und Befundauswertung sind sehr vielversprechend und bieten großes Potential für weitere Untersuchungen. Die Wüstung bei Harzgerode ist damit eine der wenigen archäologisch nach neuestem Stand untersuchten Siedlungen im Ostharz (siehe Gärtner/Rösch 2019). Ziel ist es, die zeitliche Abfolge von Anlage, Bestehen und Aufgabe des Ortes noch genauer  zu klären. Auch der Bedeutung der Siedlung und ihrer Burg im mittelalterlichen Landesausbau sowie der Frage nach der wirtschaftlichen Grundlage der Bewohner soll künftig weiter nachgegangen werden.


Text: Anna Swieder, Felix Rösch
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

T. Gärtner/F. Rösch, Burg und Dorf Anhalt – neue Erkenntnisse der Archäologie. Mitt. Ver. Anhalt. Landeskde. 28, 2019, 9–40.

S. Krabath, Die hoch- und spätmittelalterlichen Buntmetallfunde nördlich der Alpen. Eine archäologisch-kunsthistorische Untersuchung zu ihrer Herstellungstechnik, funktionalen und zeitlichen Bestimmung. Internat. Arch. 63 (Rahden/Westf. 2001).

N. Posselt, Die spätwikingerzeitlichen Schwertortbänder aus Mecklenburg und Vorpommern. In: F. Biermann/T. Kersting/A. Klammt (Hrsg.), Die frühen Slawen – von der Expansion zu gentes und nationes. Beiträge der Sektion zur slawischen Frühgeschichte des 8. Deutschen Archäologiekongresses in Berlin, 06.–10. Oktober 2014. Beitr. Ur- u. Frühgesch. Mitteleuropa 81,2 (Langenweißbach 2016) 193–220.

A. Swieder, Archiv Wald. Studien zur Geschichte der Land- und Ressourcennutzung im östlichen Harz auf der Basis digitaler Geländedaten. Forschber. Landesmus. Vorgesch. Halle 21 (Halle [Saale] 2022).

Zum Seitenanfang