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Fund des Monats

Juni 2004: Ein Grafenhof des 13. Jahrhunderts in Magdeburg

Der Grafenhof an der Breiten Straße in Magdeburg wurde 1998 bei Ausgrabungen durch das Landesamt für Archäologie entdeckt. Er liegt auf dem Baugrundstück des zukünftigen und »letzten« Hundertwasserhauses und grenzt heute den Magdeburger Domplatz nach Nordwesten ab. Erstmals wird diese Hoffläche in einer Urkunde vom 10. März 1314 erwähnt. Hierin überträgt der Dompropst mit Zustimmung des Erzbischofs Burchhard das Landstück an die Stiftsgemeinde St. Nikolai für einen Kirchenneubau. Über ein halbes Jahrtausend nach ihrer Erbauung wird im Jahre 1959 die Ruine der 1945 ausgebombten Kirche abgerissen und an ihrer Stelle ein achtstöckiges Gebäude errichtet, das mittlerweile dem vorgesehenen Hundertwasserhaus weichen musste. Bei den Ausgrabungen kamen nun die Reste eines unterkellerten Steinhauses aus dem 13. Jahrhundert zutage. Der sechs mal acht Meter große Keller wies sowohl an der Nord- wie an der Südwand Fensterschächte auf, durch die Licht in den Keller gelangen konnte. Die Wände bestehen aus lokal anstehenden Sandsteinen und waren mit Kalkmörtel vermauert. In der Nordwand befand sich eine in den Keller führende Tür, die später ebenso wie die beiden Fenster zugemauert worden waren (Abbildungen 1 und 2). Als im 14. Jahrhundert an dieser Stelle die Nikolaikirche gebaut wurde, diente das Steinhaus als ein willkommener Steinbruch. So sind von den Kellerwänden nur noch die Süd- und die Nordwand erhalten geblieben, die anderen Wände wurden ausgebrochen, der Keller mit Bauschutt verfüllt (Abbildung 3).

Wenige Meter westlich des Steinhauses wurde ein »herrschaftlicher« Abfallschacht aufgedeckt. Er weist eine Grundfläche von drei mal drei Meter und die beachtliche Tiefe von vier Meter auf. Die Schachtwände sind aus lokalem Sandstein gemauert und an der Oberfläche mit Kalk getüncht. Die Ansätze für einen Gewölbebogen deuten auf eine geschlossene Anlage mit Abwurfloch hin (Abbildungen 4 und 5). Unter Bauschutt, im Sohlebereich des Abfallschachtes, lagen in einer circa 0,5 Meter mächtigen Schicht Hausabfälle. Hierin wurden Reste einer Bleiabdeckung, korrodierte Eisenreste, Alltagskeramik des 13. Jahrhunderts, des Weiteren ein Gusstiegel, ein Gefäß mit einer frühen olivgrünen Bleiglasur, ein Miniaturgefäß, Glasfragmente mit Goldauflage und Pflanzenreste geborgen (Abbildung 6).

Früchte aus dem Garten Eden

Die Erhaltungsbedingungen waren in dem Abfallschacht in den vergangenen sieben bis acht Jahrhunderten nicht immer optimal gewesen. Man kann lediglich von episodisch vorhandenen Bedingungen eines Feuchtbodens ausgehen. Es sind vor allem die hartschaligen Reste von Samen und Früchten überliefert worden. Zartwandigere Pflanzenteile sind hingegen vergangen. Eine Besonderheit im Fundaufkommen des Abfallschachts sind die recht zahlreichen Samen von Feigen, die von einem gewissen Wohlstand der früheren Bewohner zeugen und hier erstmals für das mittelalterliche Magdeburg nachgewiesen werden konnten. Bei der Echten Feige (Ficus carica) handelt es sich um ein Nahrungsmittel, das aus dem Mittelmeerraum in den Norden verhandelt wurde. Bei den heutigen Witterungsbedingungen gelingt es lediglich in den besonders wärmebegünstigten und wintermilden Regionen Deutschlands, im Freien Feigensträucher zu kultivieren, die hin und wieder auch Früchte ausbilden. Selbst bei dem im Hochmittelalter anzunehmenden wärmeren Klima wird man keinen ausgedehnten Feigenanbau nördlich der Alpen annehmen dürfen (Abbildung 7). Als weitere Besonderheit sind die Traubenkerne des Echten Weinstockes (Vitis vinifera) zu benennen. Auch in Magdeburg gibt es wie in einigen anderen Orten Mitteldeutschlands einen so genannten »Weinberg«, dessen Name an den früher dort offensichtlich praktizierten Weinanbau erinnert. Heute liegt das nördlichste geschlossene Weinanbaugebiet Deutschlands etwa 70 Kilometer weiter südlich in der Saale-Unstrut-Region. Es ist daher nicht gewiss, ob die in der Magdeburger Latrine gefundenen Weinkerne von lokal gewachsenen »Weinbeeren« oder von hierher gehandelten Früchten stammen (Abbildung 8). Die Magdeburger Latrine hat auch zahlreiche verkohlte Kulturpflanzenreste überliefert, vor allem verkohlte Getreidekörner von Saat-/Hart-Weizen (Triticum aestivum/durum), Saat-Roggen (Secale cereale), Saat-Gerste (Hordeum vulgare), Saat-Hafer (Avena sativa) und Emmer (Triticum dicoccum). An Unkräutern sind zahlreiche Nüsschen des Acker-Steinsamen (Buglossoides arvensis), auch Samen von Kornrade (Agrostemma githago) und Kornblume (Centaurea cyanus) bemerkenswert. Acker-Steinsame ist ein Unkraut vor allem in Wintergetreidefeldern. Die steinharten Nüsschen keimen bevorzugt im Herbst. Wegen des in den Wurzeln vorhandenen roten Farbstoffes wird die Pflanze auch Bauernschminke genannt. Mit dem Schwarzen Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) ist eine vielseitig nutzbare Gift- und Heilpflanze nachgewiesen (Abbildungen 9 und 10).  Mit den Ausgrabungen in der Breiten Straße ist ein weiteres Mosaiksteinchen der mittelalterlichen Pflanzenwelt Magdeburgs aufgedeckt worden. Es zeigt uns, dass diejenigen Menschen, die in der besagten Latrine am Breiten Weg ihren Abfall entsorgten, zu den wohlhabenderen Bewohnern Magdeburgs zählten.

Die Bewohner des Steinhauses am Domplatz

Die zentrale Lage des Hauses in der mittelalterlichen Domburg, die Nähe zur bischöflichen Residenz, das herrschaftliche Steinhaus und der ungewöhnlich mächtige Abfallschacht sind Indizien dafür, seine Bewohner im Umfeld der erzbischöflichen Gefolgsleute zu suchen. Aber auch Teile der Funde deuten auf einen gehobenen Lebensstandard hin. Soweit sich die Grundveräußerungen bis ins 13. Jahrhundert verfolgen lassen, war das besagte Grundstück, bevor es in den Besitz des Erzbischofs und dann in die Hände des Dompropstes gelangte, Eigentum der Grafen von Querfurt.


Text: Brigitta Kunz, Monika Hellmund
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

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