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Denkmal des Monats

September 2018: Säulenbasis, ehemalige Benediktinerklosterkirche St. Peter und Paul, Ilsenburg

Die Klosterkirche Ilsenburg stammt zu großen Teilen aus dem letzten Viertel des 11. Jahrhunderts (Abbildung 1). Die Kapitelle – leicht gedrückte Würfelkapitelle mit Schild und Ecknase – weisen auf den Hintergrund des Neubaus: die Reformbaukunst im Umkreis der Hirsauer Klosterkirche, die übrigens ebenfalls St. Peter und Paul geweiht war. Teile der Ilsenburger Bauskulptur sind jedoch jünger. Sie gehören zu einer Umgestaltung des Inneren der Klosterkirche vom Ende des 12. Jahrhunderts, bei der das Langhaus gewölbt und ein Stuckestrichfußboden gelegt wurden. Außerdem erhielten die Säulen neue, anstuckierte Basenprofile. Von diesen neuen Basen ist nur eine, allerdings eine besonders geschmückte, erhalten. Sie befindet sich an der westlichen Säule der Südarkade. Das Profil besteht aus breitem, leicht gedrücktem, unterem Wulst, durch Plättchen abgesetzter, verzogener Kehle und zurückgesetztem, oberem Wulst. Letzterer ist großenteils abgeschlagen; er dürfte regelmäßig gerundet gewesen sein. Der untere Wulst wird an drei Seiten von Eckhülsen mit Mittelgrat eingefasst.

Auch die vierte, nach Südwesten gerichtete Seite besitzt eine Eckhülse, doch besteht der Grat hier aus einem kurzen Taustab, über dem ein stark stilisiertes Löwenköpfchen sitzt (Abbildung 2). Die Seiten der Eckhülse bilden gleichzeitig die Halskontur des Löwen. Dass die große, bewunderte und gefürchtete Katze gemeint ist, zeigt sich an der Nase, der Gaumenspalte, dem Maul und der durch einige Locken über der Stirn sowie die Kontur der Eckhülse angedeuteten Mähne. Die Augenpartie hingegen könnte zu einem menschlichen Antlitz gehören, und auch das breite Kinn ist nicht das eines Löwen. Auffällig ist die leicht herausgestreckte Zungenspitze.
Löwen sind im Hochmittelalter ikonographisch ambivalent. Der – häufig als Wappentier verwendete – majestätische Mähnenlöwe steht für Mut, Kraft und Durchsetzungsvermögen. Auch in der biblischen Metaphorik wird der Löwe mit Mut und Stärke assoziiert. Der Löwe der Bibel ist allerdings auch das reißende und brüllende Ungeheuer, er lauert im Dickicht und bedroht Mensch und Tier. Bei der Interpretation ist demnach zu berücksichtigen, wie das Tier dargestellt wird. Das Ilsenburger Löwenköpfchen dürfte am ehesten als gegenständliches Apotropaion zu deuten sein. Der Löwe ist hier jedoch nicht das seinesgleichen erschreckende Ungeheuer, sondern das sich vor die Gemeinde stellende Krafttier – das Anlitz nach Westen gewandt, woher das Unheil am ehesten zu erwarten ist. Oder ist das Köpfchen nur der Nachklang magischen Denkens und eher eine spielerische Schmuckform? Beweisen lässt sich hier nichts.

Jedenfalls zeugt das Köpfchen nicht nur von einer uns höchstens in Ansätzen zugänglichen Vorstellungswelt, sondern auch von der damals am Nordrand des Harzes hoch entwickelten Fertigkeit im Umgang mit Stuck. Stuck war im Bereich der Bauskulptur eine Alternative zu Stein und bot sich besonders für Umgestaltungen an, da man auf einen bestehenden Kern ohne größere Schwierigkeiten eine neue, nach Belieben zu gestaltende Schicht auftragen konnte. Unerlässlich war jedoch ein detailliertes Wissen um die Eigenheiten des Materials und der chemischen Prozesse. Wie die Stuck-Werkstätten organisiert waren, wie sie arbeiteten, ob sie auf Stuck spezialisiert waren und viele andere Fragen sind jedoch offen. Für die Forschung bleibt hier noch viel zu tun.


Text: Volker Seiffert
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

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