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Fund des Monats

Mai 2004: Tödliche Schüsse

Eine bemerkenswerte Doppelbestattung der Bronzezeit

Bei den Ausgrabungen auf der zukünftigen Trasse der Bundesstraße 6 im Landkreis Quedlinburg wurde im Sommer 2003 eine bemerkenswerte Doppelbestattung freigelegt: die Skelette zweier Männer liegen auffällig dicht nebeneinander. Als Todesursache kommt wohl Pfeilbeschuss in Frage. Jeweils im Brustkorb der Männer können die tödlichen Projektile sichergestellt werden. Wurden Sie Opfer kriegerischer Handlungen oder liegt womöglich eine rituelle Tötung vor?              

Zunächst sieht alles ganz harmlos aus. Der Befund, eine unregelmäßig ovale Verfärbung, erweist sich beim Anlegen des Profils als so genannte Kegelstumpfgrube, die als Vorrats- oder Speichergrube klassifiziert wird. Dann die Überraschung: circa 80 Zentimeter unter dem Baggerplanum kommt erst ein Schädel zum Vorschein, dann noch ein zweiter. Schließlich zeigt sich eine ungefähr 1,80 Meter auf 1,30 Meter große Grabgrube von leicht unregelmäßiger länglicher Form. In der Grabgrube liegen die gut erhaltenen Skelette zweier Männer, Ost-West orientiert in gestreckter Rückenlage (Abbildung 1). Der Schädel des südlich liegenden Individuums ist auf die Seite gedreht, der Unterkiefer in zwei Teile gebrochen. Auffällig die Armhaltung: der linke Unterarm liegt auf dem rechten Brustbereich. Der rechte Arm ist extrem angewinkelt. Ober- und Unterarm liegen nahezu parallel. Die rechte Hand ist fast widernatürlich verdreht. Während Wirbelsäule, Becken- und die Beinknochen die erwartete Lage aufwiesen, wirkten die Knochen des linken Fußes nach innen gedreht (Abbildung 2). Das nördlich liegende Individuum weist ebenfalls einen leicht zur Seite geneigten Schädel auf. Der rechte Arm liegt am Körper an, ebenso der rechte, wobei der Unterarm leicht angewinkelt das Becken überlagert. Die Knochen der linken Hand fehlen vollständig. Das rechte Bein wurde schwach angewinkelt und wich somit leicht von der ansonsten konsequent eingehaltenen Strecklage ab (Abbildung 2). Ungewöhnlicher als die Lage der Individuen erscheint zunächst ein bronzener Gegenstand, der ungefähr 15 Zentimeter südlich der Doppelbestattung liegt: ein hakenartig gebogener, massiver Bronzedraht. Seine Funktion ist bislang unklar (Abbildung 3).

Dann wird es spannend: beim vorsichtigen Bergen der Knochen des südlichen Skeletts kommt eine Pfeilspitze aus Bronze mit Schaftzunge zum Vorschein (Abbildungen 4 und 6). Sie befindet sich im ventralen unteren Rippenbereich. Also Mord, Zufall ...? Die Überraschung ist perfekt, als auch im Brustbereich des zweiten Individuums eine Pfeilspitze freigelegt wird. Die trianguläre, flächig retuschierte, schwarze Silexpfeilspitze mit schwach eingezogener Basis liegt ebenfalls im rechten ventralen Brustkorbbereich (Abbildungen 5 und 6). Eine anthropologische Begutachtung des Knochenmaterials, speziell des Rippenbereiches, ergab keinen Hinweis auf Verletzungen der einzelnen Rippen.

Der Befund wirft Fragen auf!

Auffallend ist die nahezu symmetrische Lage der Pfeilspitzen im rechten beziehungsweise linken Brustkorb (Abbildung 7). Dies spricht sehr wahrscheinlich für eine beabsichtigte Tötung der beiden Männer (anthropologische Geschlechtsbestimmung). Ob die Tötung aber im Rahmen einer kriegerischen Handlung, eines rituellen Opfers oder anderer gewalttätiger Vorgänge erfolgte, kann aus dem Befund alleine nicht erschlossen werden.

Die ältesten Spuren von zwischenmenschlicher Gewalt lassen sich bereits an altsteinzeitlichen Skeletten beobachten und ziehen sich wie ein roter Faden durch sämtliche vor- und frühgeschichtliche Perioden bis in die Jetztzeit. Eingeschlagene Schädel, Stich-, Hieb- und Schussverletzungen gehören jedenfalls ebenso zur Vorgeschichte wie zahlreiche Massengräber gewaltsam Getöteter, deren früheste Belege in das Frühneolithikum reichen, also in die Zeit der Sesshaftwerdung und Einführung des Ackerbaus und der Viehzucht (6. Jahrtausend vor Christus). Ob es sich bei den Verletzungen jedoch um das Ergebnis »einfacher« Aggression zwischen einzelnen Individuen oder aber um die Folgen regelrechter Kriege oder ritueller Tötungen handelt, kann keineswegs immer ermittelt werden.

Verschiedene Indizien zeugen davon, dass mit den Toten nicht sonderlich pietätvoll umgegangen wurde. So ragten die Füße beider Individuen über die Grabgrube hinaus. Die widernatürlich verdrehte rechte Hand des südlichen Individuums sowie der extrem angewinkelte Unterarm können als weiterer Beleg für den respektlosen Umgang mit den Toten angeführt werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde für die beiden Männer nämlich nicht eigens ein Grab ausgehoben sondern die kegelstumpfförmige Vorratsgrube als Grabgrube sekundär verwendet. Auch die Lage der Schädel an der unmittelbaren Grenze der Grabgrube sind ein weiterer Hinweis dafür, wie wenig Platz den Toten zugestanden wurde (Abbildung 7).

Festzuhalten ist, dass die Totenbehandlung zwar mit eingeschränkter Pietät vonstattenging, andererseits den beiden Verstorbenen aber dennoch die grundlegende Ehrerbietung gewährt wurde, da beide Individuen Ost-West orientiert in gestreckter Rückenlage niederlegt worden waren. Dieser Umstand könnte dafür sprechen, dass die Verstorbenen von Mitgliedern des eigenen Volkes zu Grabe getragen worden sind, gefallene Feinde wären – kriegerische Handlung vorausgesetzt – vermutlich ohne größere Umstände und Sorgfalt in der Grube entsorgt worden. Allerdings lässt sich über das Fundmaterial auf der Fundstelle keine massive bronzezeitliche Besiedlung nachweisen.

Zur Datierung des Befundes stehen hauptsächlich die Bronzeobjekte zur Verfügung. die sicherlich in die mittlere oder späte Bronzezeit datieren. Die Strecklage an sich gibt keinen eindeutigen Datierungsansatz, da in Ausnahmefällen diese Bestattungsform auch in der Spätbronzezeit und der Eisenzeit nachgewiesen sind. Die Bronzeobjekte hingegen sind an sich feinchronologisch unsensibel, sodass eine genauere relativchronologische Einordnung momentan nicht möglich ist. Die in der Verfüllung zahlreich gefundene Keramik gibt bedauerlicherweise keinen exakten Datierungsansatz, da beim Anlegen und im Besonderen beim Zusedimentieren der Grube neolithisches Material in die Verfüllung gelangte und sich mit dem spärlichen, indifferenten bronzezeitlichen Material mischte. Letztendlich muss die Radiocarbon-Datierung abgewartet werden bevor die zeitliche Stellung dieses außergewöhnlichen Befundes konkretisiert werden kann.


Text: Hanfried Schmidt
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

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