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Fund des Monats

Juni 2005: Bronzezeitlichen Grabräubern auf der Spur - Die Archäologie ermittelt.

Antiker Grabraub auf einem bronzezeitlichen Gräberfeld bei Esperstedt

»Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!« dichtete 1863 Georg Herwegh. Nun sind Archäologinnen und Archäologen nicht unbedingt immer von kräftiger Statur und die Räder von Baggern und Baufahrzeugen können sie nur selten aufhalten. In der Regel bleibt im Vorfeld von Baumaßnahmen wenig Zeit, die Relikte vergangener Epochen den stählernen Klauen des Baggers zu entreißen. Aber wenn Archäologen erst mal fündig geworden sind, dann können sie sogar das Rad der Geschichte zurückdrehen. So wurden auch die Ausgrabungen auf den Bautrassen der künftigen Bundesautobahn A 38 bei Eisleben zu einer Reise durch die Jahrtausende (Abbildung 1).

Durch die Untersuchungen wurden zwei Siedlungen bei Esperstedt erfasst, die sich von der Bronzezeit bis in die frühe Eisenzeit (2300 bis 750 vor Christus) am Ufer der Waida befanden. Eine der Siedlungen ist durch einen mächtigen Graben von einem Gräberfeld abgegrenzt, das sich auf einer gegenüberliegenden Hochfläche erstreckt (Abbildungen 2 und 3). So waren Diesseits und Jenseits durch den Graben räumlich klar voneinander getrennt.
Einzelne Gräber und Gräbergruppen gehören bereits der späten Jungsteinzeit (2600 bis 2200 vor Christus) und der frühen Bronzezeit (2300 bis 1600 vor Christus) an. Der größte Teil der Grabanlagen wurde jedoch am Ausgang der mittleren Bronzezeit und in der späten Bronzezeit (1400 bis 750 vor Christus) errichtet.

Die Toten wurden einerseits in einfache Erdgräber aber auch in aufwändig gestaltete Steinpackungsgräber gebettet. Einige der Grabgruben sind sorgfältig mit einem Bodenpflaster aus Kalksteinplatten ausgelegt, die Grabwände wurden aus aufrecht stehenden Steinplatten oder aus waagerecht aufeinander geschichteten Muschelkalkblöcken errichtet (Abbildungen 4 und 5). Die so entstandenen Grabkammern  wurden schließlich mit großen Deckplatten verschlossen oder von einem falschen Gewölbe überspannt (Abbildung 6). Für die meisten dieser Steinpackungsgräber müssen aus statischen Erwägungen unterstützende Holzkonstruktionen vorausgesetzt werden, die sich aber im Löß weder als Material noch als Verfärbung erhalten haben. Einige der Verstorbenen wurden aber auch auf Totenbrettern, in Holzsärgen oder ausgehöhlten Baumstämmen in die Grabgruben gesenkt, die zuvor mit einem Bodenpflaster ausgelegt wurden. Erst im Anschluss an die Grablegung wurde um die Bestattung die schützende Steinpackung geschichtet (Abbildung 7).

Weniger erfreulich für die Archäologen war die Feststellung, dass sie selbst nicht die ersten waren, die sich für die Grabanlagen interessierten. Der größte Teil der bronzezeitlichen Gräber war bereits antik, das heißt relativ kurze Zeit nach der Grablegung wieder geplündert worden (Abbildung 8). Dabei richtete sich die Gier der Grabräuber in erster Linie auf die kostbaren Bronzen; gleichzeitig zerstörten sie aber durch Raubtrichter und Raubschächte auch die Grabanlagen und gingen nach unseren ethischen Maßstäben recht pietätlos mit den sterblichen Überresten um. Aufgrund der fehlenden Beigaben lassen sich die geplünderten Bestattungen nicht mehr genau datieren, außerdem sind wichtige Informationen zum Begräbnisritual unwiederbringlich ausgelöscht. Mitunter blieb uns also nur die Möglichkeit, die Spuren dieser vorgeschichtlichen kriminellen Handlungen zu dokumentieren (Abbildungen 9 und 10).

Folgen wir also der ›Spurensicherung‹ an zwei Gräbern:

Deutliche Hinweise einer Beraubung fanden sich auch an einer Bestattung aus der Aunjetitzer Kultur der frühen Bronzezeit. Diese Bestattung ist auch in anderer Hinsicht ungewöhnlich, denn der Verstorbene war in einer gewöhnlichen Siedlungsgrube niedergelegt (Abbildung 11). Die Grube hatte die Form eines Kegelstumpfes und war mit Keramikscherben angefüllt.

Aber auch an dem Skelett zeigten sich Merkwürdigkeiten: So befanden sich die Halswirbel nicht mehr in anatomischer Lage, außerdem waren diese und die Schlüsselbeine grün gefärbt. Diese Verfärbungen stammen von Bronze- oder Kupfergegenständen, die einst auf dem Knochen auflagen. Welche chemischen Reaktionen in diesem Zusammenhang stattfinden konnte die Restauratorin Anke Kobbe dem Archäologen genau erklären: »Böden enthalten durch die Zersetzung von Kalk in den meisten Fällen Carbonate. Unter gewissen Umweltbedingungen, zum Beispiel in einem basischen Milieu, entstehen auf  Bronzeobjekten über der Cupritschicht basische Kupfercarbonate wie grüner Malachit. Letzterer kann auch zur Verfärbung von Knochen führen, die in Kontakt mit Bronze- oder Kupfergegenständen liegen.«  So wusste nun auch der Archäologe, dass es nicht ›eine Art Grünspan‹ ist, wie er bisher annahm. 

Also waren auch hier Grabräuber am Werk, die dem Toten den Halsschmuck entwendeten. Jedoch schienen sie nur an den bronzenen Bestandteilen interessiert zu sein, denn bei der Bergung des Skelettes wurden im Hals- und Brustbereich Bernstein- und Knochenperlen gefunden (Abbildung 12). Übersehen hatten sie wohl zwei Bronzespiralröllchen, die sich unterhalb Hinterhauptes der Bestatteten befanden. Warum sie dabei auf den seltenen Bernstein, der aus dem Ostseeraum importiert werden musste, verzichteten, bleibt unverständlich.
Aufgrund der Form der Bernsteinperlen lässt sich der Fund von Esperstedt mit einem Collier vergleichen, das 2001 bei Halle-Queis gefunden wurde.

Wer nun die Täter waren, lässt sich nicht mehr ermitteln. Vielleicht waren es Angehörige eines anderen ›Stammes‹ oder Dorfes, für die die Schändung der Gräber von fremden Toten kein moralisches oder ethisches Problem darstellte. Möglicherweise gab es aber auch schon organisierte Banden, die sich auf Grabraub ›spezialisiert‹ hatten, und welche die eingeschmolzenen Bronzegegenstände anschließend wieder gegen andere Dinge eintauschten. Unsere Beobachtungen sprechen dafür, dass die Bestattungen kurz nach Grablegung bereits geplündert wurden, denn die Grabräuber wussten offensichtlich sehr genau, wie man die Gräber am einfachsten ›knackt‹ und wo sich die wertvollen Grabbeigaben befinden. Auch lagen einzelne Skelettteile noch im Sehnenverband, der Leichnam war also zum Zeitpunkt der Beraubung noch nicht vollständig skelettiert.    

Jedoch ließen sich die Spuren einer Beraubung nicht in jedem Falle erkennen. Mitunter stießen die Ausgräber erst, nachdem sie Schicht für Schicht der Grabverfüllung abgetragen hatten, auf eine zerstörte Bestattung, ohne dass sich vorher Anzeichen für eine Plünderungen zeigten. Außerdem wurden Gräber, die nur geringfügig in den Boden eingetieft waren, durch jahrzehntelanges Pflügen stark in Mitleidenschaft gezogen, so dass auch in diesen Fällen nicht zu erkennen war, ob die Gräber außerdem antik beraubt wurden.

Aber auch durch Tiere, welche den Boden durchwühlen, kann erheblicher Schaden an archäologischen Befunden entstehen (Abbildung 13). Wir möchten zwar nicht den vom Aussterben bedrohten Feldhamster diskriminieren, aber als Archäologe hat man mit dem Tier ebenso wenig Freude wie der Bauer. Denn dieser Nager, der sich in den Schwarzerden des Mansfelder Landes augenscheinlich sehr wohl fühlte, hortete nicht nur kiloweise Getreide, sondern errichtete seine imposanten Erdbauten mit Vorliebe in archäologischen Befunden. Hatte sich ein solches Tier in einem Grab eingenistet, so blieb von diesem und der Bestattung in der Regel nicht viel übrig.

Trotz der Plünderung vieler Bestattungen erbrachte das Gräberfeld eine reiche Fülle an keramischen und bronzenen Funden (Abbildungen 14 bis 16). Selbst in den beraubten Grabanlagen befanden sich nicht selten noch einzelne Gegenstände der einstigen Grabausstattung.

Überraschend waren die Funde in einem einfachen Erdgrab. Im Schädel- und Halsbereich der Bestattung wurden während der Ausgrabung kleine Spiralröllchen aus Bronze angetroffen. Für die weitere Freilegung dieses außergewöhnlichen Fundes waren nun auch die ›klassischen‹ Werkzeuge des Archäologen - Spachtel und Pinsel - zu grob. Mit Stukkateureisen und Holzstäbchen wurde in stundenlanger Feinarbeit ein Bronzeschmuck freigelegt, die letzten Sandkörner wurden mit einem sanften Wasserstrahl entfernt. Natürlich war die Freude über den außergewöhnlichen Fund groß, und so wurde die Bestattete von den Ausgräbern zur ›Prinzessin von Esperstedt‹ geadelt (Abbildungen 17 und 18).

Angesichts eines solchen außergewöhnlichen Fundes sollte es nicht passieren, dass in dem Archäologen der Schatzgräber erwacht, der sich letztendlich nicht sonderlich vom Grabräuber unterscheidet. In diesen Momenten gilt es sich zu zügeln und die weiteren Arbeiten den geschickten Händen eines Restaurators zu überlassen. In unserem Falle waren die Bestandteile des Bronzeschmucks in einem höchst fragilen Zustand, sodass eine weitere Freilegung der Bestattung unverantwortlich gewesen wäre. Aus diesem Grund wurde ein Teil des Grabes auch im Block geborgen (Abbildung 19).
Im Anschluss wurde die Bestattung unter Laborbedingungen in der Restaurierungswerkstatt des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt weiter ausgegraben und gleichzeitig restauriert (Abbildung 20). Dabei kam eine zweite Schmuckscheibe zum Vorschein, außerdem ein Ohr- beziehungsweise Schläfenring. Damit lässt sich nun auch die Tragweise des Geschmeides rekonstruieren (Abbildung 21). Die in sechs Reihen aufgefädelten Spiralröllchen waren auf eine Haube befestigt, ebenso die beiden Bronzescheiben, die wahrscheinlich beidseitig in Höhe der Schläfen getragen wurden. 

Wer nun die Grabräuber waren und warum das ›Grab der Prinzessin‹ unangetastet blieb,  bleibt ein Geheimnis. Vielleicht waren es Angehörige eines anderen ›Stammes‹ oder Dorfes, für die die Schändung der Gräber von fremden Toten kein moralisches oder ethisches Problem darstellte. Möglicherweise gab es aber auch schon organisierte Banden, die sich auf Grabraub ›spezialisiert‹ hatten und die eingeschmolzenen Bronzegegenstände anschließend wieder gegen andere Dinge eintauschten. Unsere Beobachtungen sprechen dafür, dass die Bestattungen kurz nach Grablegung bereits geplündert wurden, denn die Grabräuber wussten offensichtlich sehr genau, wie man die Gräber am einfachsten ›knackt‹ und wo sich die wertvollen Grabbeigaben befinden. Auch lagen einzelne Skelettteile noch im Sehnenverband, der Leichnam war also zum Zeitpunkt der Beraubung noch nicht vollständig skelettiert.

Oder waren es gar keine Grabräuber, sondern die Angehörigen der Verstorbenen selbst? Möglicherweise gehörten die erneute Öffnung der Gräber nach einem bestimmten Zeitraum und die Entnahme der Grabbeigaben zu einem mehrstufigen Totenritual. Sowohl aus archäologischen aber aus ethnologischen Quellen sind solche Praktiken überliefert.

Die Ausgrabungen auf dem Gräberfeld von Esperstedt wurden am 9. Mai beendet, die Ermittlungen gehen aber weiter (Abbildung 22).


Text: Christian Bogen
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

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