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Fund des Monats

Januar 2006: Obelix von Rothenschirmbach

Die Grabungen an der Trasse der Autobahn 38 sorgen immer wieder für Fund des Monats-Stoff. Erst im Juni dieses Jahres waren es die Esperstedter Steinkisten. Zu jener Zeit begannen auch die Untersuchungen an der kleinen Fundstelle bei Rothenschirmbach und auch die hatte es in sich. Inzwischen sind die Arbeiten dort und an den anderen Fundstellen des Großprojektes Autobahn 38 abgeschlossen.
Von Westen kommend wird der Verkehrsstrom am Ende der Autobahn 38 bei der Ausfahrt Rothenschirmbach abrupt abgebremst. Genau in dieser Niederung befindet sich die westlichste Fundstelle des Großprojektes. Auf dem gut einen Hektar großen Areal wurden Spuren spätneolithischer bis frühbronzezeitlicher Besiedlung mit einem dazugehörigen Friedhof gefunden. Von dieser Grabungssituation versprach man sich einige interessante Befunde. Tatsächlich offenbarten im Laufe der Grabungen der eine oder andere Befund und auch die gesamte Fundsituation einige ausgesprochene Überraschungen.
Es würde zu weit führen, in diesem Zusammenhang auf jeden Grabbefund einzugehen. Deswegen kann hier nur eines der Gräber exemplarisch heraus gegriffen werden. Unberücksichtigt muss beispielsweise der Befund eines circa vierjährigen Kindes mit einer Gefäßbeigabe in einer perfekt gebauten Steinkiste bleiben. Auch die Steinkiste mit der Bestattung eines Erwachsenen wird hier nicht vorgestellt, obwohl der Befund so beispielhaft und von so außergewöhnlicher Erhaltung war, dass er im Block geborgen und in das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt überführt wurde. Diese Darstellung handelt auch nicht von den drei vermutlichen Scheingräbern, sogenannten Kenotaphen. Selbst das beigabenreichste Grab, bei dem man nicht nur eine Füßchenschale, ein kleines Flachbeil, zwei Klingen sowie einen Schaber und eine Pfeilspitze aus Silex gefunden hat, sondern in dessen an dem Schädel anhaftenden Erdresten man zwei Wochen nach der Bergung auch noch einen Goldring fand, wird hier glattweg übergangen. Auch auf die Tatsache, dass von den 14 echten Gräbern genau die Hälfte Kindergräber waren, zum Teil mit aufwändiger Grabkonstruktion und Beigaben versehen, soll hier nicht weiter eingegangen werden.

 

Das Thema dieser Darstellung ist ein wirklich dicker Brocken: Am Anfang sah alles noch ganz harmlos aus. Im Baggerplanum zeichneten sich nur schwach die Umrisse einer Grube ab, die inmitten des bereits teilweise untersuchten Friedhofs lag. Erst nach einer Spatentiefe zeigten sich dann deutlich Form und Maße des Befundes. Die annähernd rechteckige Grube maß etwa 1,85 mal 1,20 Meter und war wie die umliegenden Grabgruben in der Längsrichtung Nordnordwest-Südsüdost orientiert. Etwa einen halben Meter unterhalb des Baggerplanums kam er dann zum Vorschein – der Menhir (Abbildungen 1 und 2)! Nach einer Dokumentation des Profils entschied man sich zum Abtiefen der gesamten Grabgrube und zur Erweiterung des Arbeitsraumes. Um die darunter vermutete Bestattung freilegen zu können, musste der Menhir auf die Seite gerollt werden, man brauchte also Platz für den Stein und einige starke Hände (Abbildung 3). Nachdem der Menhir beseitigt war, konnte tatsächlich etwa 20 bis 30 Zentimeter unter dem Stein eine sehr gut erhaltene Bestattung freigelegt werden.
Der Menhir wurde mit dem Gerät der vor Ort tätigen Baggerfirma geborgen und anschließend in den Grabungsstützpunkt in Röblingen am See überführt. Dort reinigte man den Stein und notierte Eckdaten und Auffälligkeiten. Der Menhir wogt knapp 400 Kilogramm auf einer Länge von 1,55 Meter. An der breitesten Stelle er 55 Zentimeter und an der schmalsten 34 Zentimeter. Seine Form kann als hinkelsteinförmig beschrieben werden. Die größte Breite weist er im unteren Drittel auf. Die Basis ist annähernd gerundet. Die Spitze läuft tatsächlich recht spitz aus. Diese Form verdankt der Menhir offensichtlich allein seiner Genese. Er besteht aus tertiären Quarzit und weist keine Bearbeitungsspuren auf. Die nächst gelegenen Tertiärsenken, in dem diese Voraussetzungen gegeben waren, befinden sich beim Braunkohlentagebaugebiet Amsdorf. Diese Gegend am Ufer des ehemaligen Salzigen Sees war in vorgeschichtlicher Zeit ein idealer Siedlungsplatz und möglicherweise der Fundort des Menhirs.

Die Untersuchung der Bestattung lieferte folgende vorläufige Ergebnisse: Im Profil ist  zunächst die Ursache für die Unscheinbarkeit der Grabgrube deutlich sichtbar. Im oberen Bereich ist die humose Verfüllung durch Schwemmlöss überlagert. Eine Sichtung der geologischen Verhältnisse vor Ort erfolgte durch die Geologin des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Silke Clasen. Ihrer Analyse zufolge kam es lange Zeit nach der Belegung des Friedhofs zur Überdeckung mit Schwemmlöss. Dieser Vorgang dürfte sich in den frühmittelalterlichen Rodungsperioden vollzogen haben, also rund 3000 Jahre später. Dieses Phänomen erkannte man im Verlauf der Grabungen frühzeitig und legte im Bereich des Friedhofs ein großflächiges zweites Planum an.
Das Profil zeigt außerdem, dass der Menhir in das Grab gelegt wurde und nicht etwa als Markierung obertägig sichtbar war und umgekippt ist. Nach Entnahme des Menhirs zeigte sich zunächst eine dunkle humose Schicht. Im geputzten Planum erkannte man außerdem eine dunkle Umrandung der Grabgrube. Man deutet diese als die vergangenen Reste einer Holzkammer in der die Bestattung lag. Der Menhir war auf die Holzkonstruktion gelegt worden, sie muss äußerst stabil gewesen sein, sonst hätte sie den 400 Kilogramm schweren Brocken kaum halten könnten. Es ist denkbar, dass die Holzkammer mit Löss gefüllt wurde, bevor man die hölzerne Abdeckung und dann denn Menhir darüber gelegt hat. Wie auf den Bildern gut zu sehen ist, wurde die darunter liegende Bestattung nicht im Mindesten durch den schweren Menhir in Mitleidenschaft gezogen (Abbildung 4).
Eine anthropologische in-situ-Bestimmung ergab, dass es sich um die Bestattung eines etwa 20 bis 30-jährigen Mannes handelt. Seine Körpergröße konnte an den hervorragend erhaltenen Knochen auf etwa 1,70 Meter bestimmt werden. Die Knochenerhaltung ist hervorragend. Kleinsäuger wie zum Beispiel Hamster oder Mäuse haben einige der Fingerknochen und Wirbel durcheinander gebracht, ansonsten ist die Bestattung ungestört. Beigaben waren leider nicht mitgegeben worden (Abbildung 5).
Mit Spannung wird derzeit noch die Analyse der Radiocarbon-Probe erwartet. Als Datierungshinweis dienen derzeit allein die Funde aus den benachbarten Gräbern. Von den 14 Gräbern enthielten sechs Keramikbeigaben, die ein sehr einheitliches Spektrum der Glockenbecherkultur zeigen und für eine kurze Belegungsdauer des Friedhofes sprechen. Einige Formen weisen aber auch auf eine sehr frühe Phase der Aunjetitzer Kultur hin, sodass wir uns hier wahrscheinlich unmittelbar an der Schwelle von der Jungsteinzeit zur Bronzezeit befinden.

 

 

Menhire scheinen oft in Zusammenhang mit dem Totenkult zu stehen, der direkte Nachweis ist aber nicht immer möglich. In Mitteldeutschland konnte nur in wenigen Fällen das Umfeld von frei stehenden Menhiren erforscht werden. Zu nennen sind hier zum Beispiel die beiden verbliebenen Menhire von Benzingerode, Landkreis Wernigerode, der »Lange Stein« von Seehausen, Landkreis Magdeburg, die »Speckseite« von Aschersleben oder der »Hünenstein« bei Nohra, Landkreis Nordhausen. Diese Beispiele befinden sich zwar im Umfeld bronzezeitlicher Grabanlagen, stehen aber nicht in unmittelbarer Verbindung damit. Der Menhir von Rothenschirmbach nimmt als fester Bestandteil der Grabanlage damit eine Sonderstellung ein. Vergleichbar ist der Befund der sogenannten »Dolmengöttin« von Langeneichstädt, Landkreis Merseburg-Querfurt. Dieser Menhir stammt aus einer Grabanlage der Walternienburg-Bernburger Kultur und trägt eine stilisierte figürliche Darstellung. Auch auf dem schnurkeramischen Gräberfeld von Schafstädt fand man einen Menhir mit figürlicher Darstellung. Allerdings war dieser Bestandteil einer Steinkiste und wurde offensichtlich sekundär verwendet. Menhire als Markierung von Grabhügeln fand man bei Nebra, Landkreis Burgenlandkreis, Leuna, Landkreis Merseburg-Querfurt, Poserna, Landkreis Weißenfels und Halle-Heide. All diese Beispiele lassen Spielraum für verschiedene Interpretationen. In der Forschung tauchen unter anderem die Begriffe Opferstein, Ahnenbild, Ersatzleib, Seelenthron oder Weltsäule auf. Welche Rolle man dem Menhir auf dem Gräberfeld von Rothenschirmbach zuschreiben kann, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Es handelt sich hier nur um einen weiteren, zugegebenermaßen schwerwiegenden Baustein im Gefüge der Megalithforschung.

Text: Ulrich Müller
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

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