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Fund des Monats

Februar 2009: Beeidigt durch das Schragenkreuz

Ein Siegelstempel aus Uchtdorf

An der Autobahnstrecke Magdeburg-Hannover bemerken wachsame Verkehrsteilnehmer rund 10 Kilometer hinter Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt ein Ausfahrtschild mit dem Ortshinweis »Irxleben«. Diese Phantasie anregende Benennung ist erklärungswürdig. Sie leitet sich ab von dem germanischen Männernamen Irik sowie der mittelniederdeutschen Nachsilbe leve, was »Nachlass, Erbe« bedeutet und in übertragenem Sinne als »Erbsitz, Familiengut« zu verstehen ist.

Im Wechsel der Generationen änderten sich Aussprache und Schreibweise, wodurch die Ortschaft zeitweilig Irkesleve, Erixleve, Aresleve, Irixlern oder ähnlich hieß. Das für das Jahr 1050 erstmals erwähnte Örtchen war bis 1418 Eigentum des Rittergeschlechts derer von Irxleben, die sich - ebenfalls in wechselnder Schreibweise - nach diesem ihrem Stammsitz benannten. Der Ortsgründer Irik war vermutlich der Ahnherr jener Familie, mit deren Erlöschen im Mannesstamm das Dorf in fremden Besitz kam. Doch auch noch fast 600 Jahre danach erinnert die heutige Gemeinde an »ihre« gleichnamigen Edelleute, indem sie deren Wappen als amtliches Hoheitszeichen führt: schwarzer Schragen in silbernem Schild (Abbildung 1).

Von den Irxlebener Rittern selbst, die frühestens Ende des 12. Jahrhundert urkundlich fassbar sind, gibt es jedoch nur wenig Materielles. Sie waren überdies in Santersleben und Wolmirstedt, beide Landkreis Börde, sowie in Hakeborn, Salzlandkreis, begütert. Mancher von ihnen stand im Dienst des Magdeburger Erzbistums, etwa als Schlosshauptmann. Allein ein bildverzierter Grabstein in der Wolmirstedter Stadtkirche St. Katharina kündet sichtbar von ihrer Existenz (Abbildung 2). Ungleich besser ist ihr Wirken in etlichen mittelalterlichen Urkunden dokumentiert, in denen sie unter anderem als Zeugen bei Verträgen der Markgrafen von Brandenburg, der Erzbischöfe von Magdeburg und von Gleichrangigen des niederen Adels aufgeführt sind. Offenbar genoss dieses Geschlecht in der Magdeburger Börde und den angrenzenden Regionen beachtliches Ansehen. Aber selbst den Dokumenten, in denen ein von Irxleben als Vertragspartner auftritt, fehlt dessen Siegel. Die wächsernen Abdrücke sind verloren gegangen. Für ein rechtsgültiges Beurkunden war das Siegeln mit dem persönlichen Wappenstempel damals unabdingbar, so wie heute die eigenhändige Unterschrift.

So ist es ein Glück, dass bei der Durchsicht mittelalterlicher Metallfunde des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle ein seit über 130 Jahren in Vergessenheit geratener Bodenfund zutage kam und hier weiterhelfen kann: in dreieckiger Siegelstempel (Abbildung 3), der um die Mitte des 19. Jahrhunderts von privaten Heimatforschern vermutlich in Uchtdorf, Landkreis Stendal, aufgelesen, weitergereicht und 1877 an eine der Gründersammlungen des Landesmuseums für Vorgeschichte, dem »Thüringisch-Sächsischen Vereins für Erforschung des vaterländischen Alterthums und Erhaltung seiner Denkmale«, verkauft wurde. Als Finder und erster Besitzer wird der damalige Gymnasialdirektor Friedrich Wigger genannt. Der älter überlieferte Fundort des Siegelstempels liegt etwa drei Kilometer von Burgstall entfernt.

Es hat die Maße von 4,6 Zentimeter Länge und vier Zentimeter Breite. Diese Petschaft – auch Typar genannt – zeigt in der Mitte das eindeutige Schragenkreuz, umrahmt von der lateinischen Inschrift S(igillum) IUVENIS BORHADI DE HIRKESLEVE, wörtlich übersetzt also S(iegel) (des) JUNGEN BURKHARD VON IRXLEBEN. Der Bronzestempel hat die Form eines Kampfschildes und datiert das Siegel entsprechend in das Deutsche Hochmittelalter bzw. in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts. Zweideutig ist hier das Wort iuvenis. Zum einen kann es den frisch ausgebildeten, ledigen und lehnsrechtlich noch relativ ungebundenen Jungritter betiteln. Zum anderen kann man es im Sinne von junior/der Jüngere verstehen, was in unserem Fall auch zutrifft. Tatsächlich wird zum Jahr 1288 in einer Schenkungsurkunde des Halberstädter Bischofs Volrad an das Magdeburger Kloster St. Agneta ein Burchardus de Irkesleve iunior als Lehnsmann des Grafen Otto von Valkenstein genannt. Name, Agnomen (Kennzeichnung) und Datum lassen hier den einstigen Eigentümer des Siegelstempels erkennen.

Nun zum Wappenbild: die Kreuzfigur symbolisiert einen sogenannten Schragen, also ein Untergestell für eine aufzulegende Tischtafel (Abbildungen 4 und 5), die im Übrigen nach dem Festmahl wieder »aufgehoben« wurde. Der erste Träger dieses Wappens aus der Familie derer von Irxleben führte dieses Signum, weil er für die Tafel oder Hofhaltung seines Lehnsherrn verantwortlich war. Die heutige Sage verknüpft jene Wappenannahme mit Otto dem Großen und dessen Kaiserkrönung 962 in Rom als etliche Gefolgsleute für treue Dienste ausgezeichnet wurden. Damals soll ein Burchard der Schwarze von Irxleben in den Reichsritterstand erhoben und mit der Würde eines Erbküchenmeisters des Reiches bedacht worden sein. Ein Burchardus niger/der Schwarze de Irkesleve ist zwar wirklich historisch erwähnt, doch erst für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts, als auch unser Burchardus iunior lebte und die Familie schon längst ihr Schragenwappen führte.


Text: Arnold Muhl
Online-Redaktion: Norma Literski, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

A. Muhl, Beeidigt durch das Schragenkreuz. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 86, 2003, 295- 314.

Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt 2, 1884, 511 f. Nr. 1519.

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