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Fund des Monats

Oktober 2010: Das Pferd als Wegbegleiter ins Jenseits

Ein slawisches Reitergrab aus Oechlitz?

Im Vorlauf des Neubaus der ICE-Strecke Erfurt-Halle/Leipzig wurden von Herbst 2008 bis Mitte 2010 im Gebiet der Querfurter Platte archäologische Untersuchungen durchgeführt. Unter den zahlreichen Ausgrabungsstellen entlang des 22 Kilometer langen Untersuchungsstreifens befinden sich auf einem Höhenrücken bei Oechlitz (Saalekreis) gleich mehrere bemerkenswerte Fundstellen. Beginnend im Frühneolithikum erstreckt sich die Archäologie dieses Grabungsabschnittes bis in das Hochmittelalter.

Ein slawisches Gräberfeld nahe dem heutigen Dorf Oechlitz

Eine dieser hier entdeckten Fundstellen ist ein kleines, aber äußerst interessantes Gräberfeld des ausgehenden 10. und frühen 11. Jahrhunderts im Süden des Grabungsareals. Das Gräberfeld liegt auf einer Anhöhe unmittelbar hinter der nördlichen Ortsausfahrt von Oechlitz, östlich der Verbindungsstraße zwischen Oechlitz und Langeneichstädt (Abbildung 1). Die bisher untersuchte archäologische Fläche dürfte den größten Teil des etwa 1000 Quadratmeter messenden Gräberfeldes erfasst haben (Abbildung 2). Während weiter nördlich und südlich keine Bestattungen mehr angetroffen wurden, reichen die Gräber im Osten bis an die Grenze des untersuchten Bereichs. Ihre Anzahl nimmt allerdings in diese Richtung ab, so dass auch dort mit dem Ende des Gräberfeldes zu rechnen ist.

Ähnliche Verhältnisse sind in westlicher Richtung anzunehmen: Die tatsächliche Anzahl der Gräber, die schon früher durch den Ausbau der dort verlaufenden Verbindungsstraße zwischen Oechlitz und Langeneichstädt verschwanden, lässt sich zwar nicht rekonstruieren. Allerdings wurden im Untersuchungsareal weiter westlich der Straße keine zusätzlichen zum Gräberfeld gehörigen Gräber entdeckt, so dass auch in dieser Richtung dessen Ende lokalisiert werden kann. Es ist anzunehmen, dass diese Verbindung zwischen den Dörfern bereits im Hochmittelalter bestand und als Weg den Bestattungsplatz begrenzte.

Die Niederlegung der Bestatteten erfolgte in kleineren Gräbergruppen oder in kurzen Reihen. Sie befinden sich exakt oder mit nur geringer Abweichung von Westen nach Osten orientiert mehrheitlich in gestreckter Rückenlage (Abbildung 3). Der Kopf befindet sich jeweils im Westen. Mehrere Bestattungen weichen von der Norm ab, indem sie ein wenig verdreht entweder in linker oder rechter Seitenlage vorgefunden wurden. Weitere Regelmäßigkeiten in Form einer wiederkehrenden Blickrichtung konnten nicht festgestellt werden. Neugeborene und Kleinkinder wurden im zentralen Bereich des Gräberfeldes bisweilen in eigenen Gruppen, gelegentlich aber auch als Nachbestattungen vorgefunden. Überschneidungen von Grabgruben sind die Ausnahme. Nach einer Ersteinschätzung der Skelette in situ ist die Dominanz von Kindergräbern im Verhältnis zu den übrigen Toten besonders hervorzuheben. So lassen sich bislang 42 Kinder und Kleinstkinder (61,7 Prozent) von 14 Erwachsenen (20,5 Prozent) deutlich unterscheiden. Im juvenilen Alter wurden zehn Menschen (14,7 Prozent) bestattet, ein seniles Alter hingegen erreichten nur zwei Menschen (drei Prozent). Die sehr eng angelegten Grabgruben weisen darauf hin, dass die meisten Toten zur Niederlegung in Tücher eingewickelt wurden. Mehrfach fanden sich besonders bei den erwachsenen Individuen Anzeichen für die Verwendung von Holz als konstruktives Elementzur Ausfachung der Grabgrube, als Totenbrett oder Sarg (Abbildung 4).

Grabbeigaben als Symbole und Opfergaben

Die spärlichen Grabbeigaben setzen sich einerseits aus wenigen kleinen Perlen, durchbohrten Schneckengehäusen und bronzenen Fingerringen zusammen, die meist aus den Gräbern von Kindern und Neugeborenen stammen.

Darüber hinaus fand sich in drei Gräbern graue grob gemagerte Keramik. Das Beispiel eines vollständig erhaltenen, mit einem Wellenband verzierten Topfes liefert einen Datierungsansatz in slawische Zeit.
Präzisieren lässt sich die Datierung in das ausgehende 10. beziehungsweise frühe 11. Jahrhundert durch die Funde von vier kleinen silbernen Schläfenringen aus etwa ein Millimeter starkem Silberdraht mit S-förmigen Schleifen oder einfach umgelegten und eingerollten Enden. Sie besitzen einen Durchmesser von gut einem Zentimeter und wurden im Schädelbereich von drei Bestattungen entdeckt.
Beigegebene Eier spiegeln die Durchführung eines Bestattungsbrauches wieder, dem eine symbolische Bedeutung zugrunde lag (Abbildung 5). Jeweils ein Exemplar konnte in vier Gräbern nachgewiesen werden. Als symbolhaft dürfte ferner die Niederlegung von drei Pferden im zentralen Bereich des Gräberfeldes zu deuten sein. Sind die Pferde als Opfergaben zu verstehen, die vor Ort getötet wurden?

Ross und Reiter - Pferdebestattung oder Reitergrab?

Besonderes Aufsehen erregte ein größerer Befundkomplex, in dem die Skelette eines Pferdes, eines Mannes wie auch eines Kindes in räumlichem Kontext entdeckt wurden (Abbildung 2, rot umrandeter Befundkomplex). Alle Skelette wurden in weitgehend anatomischem Verband vorgefunden und wiesen eine gute Knochenerhaltung auf (Abbildung 6).

Ein nahezu vollständiges Skelett (Befund 20734) eines etwa 20 bis 27-jährigen Mannes fand sich in linker Seitenlage mit leicht bauchwärts verkipptem Körper und lediglich wenig gebeugten Knien. Beide Arme lagen angewinkelt vor der Brust. Der linke Oberarm befand sich unter dem Oberkörper des Bestatteten, der Unterarm war angewinkelt und traf mit der Hand auf den unteren rechten Oberarm. Auch der rechte Unterarm war angewinkelt und endete mit den Handknochen auf Kopfhöhe nahe dem leicht geöffneten Kiefer.

Mit direktem Kontakt und in entgegen gesetzter Ausrichtung wurde ein etwa einjähriges Kleinkind (Befund 20837) beigesetzt. Es lag wenig nach links gedreht in Rückenlage. Sein im Osten liegender Kopf befand sich auf Brusthöhe des erwachsenen Individuums und war diesem zugewandt. Neben der Ausrichtung entspricht auch die Körperhaltung des Kindes mit geringfügig gebeugten, nach links abgelegten Beinen nicht der Norm des Gräberfeldes.
Die Grabgrube für die männliche Bestattung befand sich am nördlichen Rand und zum Teil innerhalb einer größeren trapezförmigen Grabgrube, die zahlreiche Störungen durch Tiergänge aufwies. In dieser größeren Grabgrube wurde etwa 50 Zentimeter unter der Grabsohle der männlichen Bestattung das Skelett eines Pferdes entdeckt (Abbildung 7).
Das partiell gut erhaltene Pferd war wie der Mann in West-Ost-Ausrichtung auf seiner linken Seite mit Kopf im Westen niedergelegt worden. Gegenüber den hinteren nur wenig gebeugten Beinen lagen die Vorderbeine stärker angewinkelt. Der Zustand erinnerte an eine Sprung- oder eine aufbäumende Haltung. Der Kopf war zur Brust eingezogen und mit dem Maul zwischen den vorderen Läufen positioniert worden (Abbildung 8). Das Pferd lässt sich vor allem aufgrund der Untersuchungen des Gebisses als männliches Tier mit einem Alter von mehr als 15 Jahren bestimmen. Die weiteren Beobachtungen zum Knochenbefund ergaben, dass es sich um einen Wallach gehandelt haben könnte. Die errechnete Widerristhöhe betrug 1,44 Meter – für hochmittelalterliche Pferde ein ungewöhnlich großes Exemplar.

Chronologisch ist festzuhalten, dass die Grabgrube des Pferdes zuerst vollständig verfüllt wurde, und erst im Anschluss daran die Bestattungen des Mannes und des Kindes erfolgten (Abbildung 9). Die ältere Grabgrube des Pferdes könnte also noch sichtbar gewesen sein, als Mann und Kind beigesetzt wurden. Der Oberkörper des Mannes wie auch das Kind wurden jedoch außerhalb des westlichen Randes der Grabgrube für das Pferd vorgefunden. Dieser Umstand beeinträchtigt den Eindruck ihrer Zusammengehörigkeit mit dem Pferd. Bezüglich des chronologischen Ablaufes der beiden menschlichen Bestattungen ist festzustellen, dass zuerst das Kind in der für das Gräberfeld ungewöhnlichen Ausrichtung in eine Grabgrube niedergelegt und der Erwachsene später in dieselbe (möglicherweise für ihn verlängerte) Grabgrube hineingelegt wurde. Der pathologische Befund des Kinderschädels liefert ein weiteres unerwartetes Ergebnis, da kleine Spuren alter postmortaler Verletzungen am Schädel ausgemacht werden konnten. Diese wurden dem Schädel von außen nach innen durch einen scharfen Gegenstand beigebracht. Möglicherweise wurde das Kinderskelett während der Ausschachtung der Grabgrube für den Mann gestört. In Anbetracht der etwas nach Südsüdwest-Nordnordost verdrehten Orientierung der Grabgrube des Mannes ist denkbar, dass das Grab des Kindes entdeckt wurde und daher die Orientierung der männlichen Bestattung etwas verändert werden musste.

Die zum nördlichen Rand der Grabgrube verdrehte Lage des männlichen Skeletts erweckt den Eindruck, dass der Körper in einem Tuch in die Grabgrube herabgelassen und das Tuch anschließend an seiner rechter Seite herausgezogen wurde. Möglicherweise kamen so die linke Hand und der rechte Arm vor dem Körper in angewinkelter Position über dem Kind zu liegen.
Ein Indiz für eine mögliche Verbindung zwischen Mann/Kind und Pferd lässt sich auch nach der pathologischen Untersuchung nicht finden. Der Mann dürfte entsprechend der Langknochenmaße circa 1,70 Meter groß und sehr muskulös gewesen sein. Festzustellen waren am Skelett des Mannes diverse Mikrotraumata an den Muskelansätzen, die auf intensive körperliche Betätigungen zurückzuführen sind. Die Befundlage – Mann in der Nähe eines Pferdes bestattet – führte dazu, nach so genannten Reiterfacetten Ausschau zu halten. Dabei handelt es sich um Veränderungen der Oberschenkelknochen in Form einer Ausweitung der Gelenkflächen an den Oberschenkelköpfen auf die Oberschenkelhälse: eine Besonderheit, die bei Skelettuntersuchungen von Reitervölkern erkannt wurde und als »Reiterfacetten« Eingang in den deutschen Sprachgebrauch fand (Abbildung 10). Jedoch ist die Ursache solcher Facetten nicht zwingend auf den Umgang mit Pferden zurückzuführen. Vielmehr könnten zahlreiche andere, beispielsweise genetische Ursachen vorliegen. Gründe für dieses Phänomen könnten etwa auch in einseitiger Belastung des Hüftgelenkes (zum Beispiel Laufen durch unwegsames Gelände) zu suchen sein. Für eine verlässliche Analyse reicht der nur schwach ausgeprägte Befund am Mann nicht aus. Dem ersten Anschein eines einzigartigen, zusammengehörigen Befundes auf der Grabungsfläche steht nun also die komplexe Untersuchung der Befunde und Funde gegenüber.

Ungeachtet der noch unsicheren Beurteilung dieses eigenartigen Befundkomplexes müssen die Besonderheiten des Gräberfeldes im Hinblick auf die weiteren, in ähnlicher Weise niedergelegten reinen Pferdebestattungen und die symbolischen Beigaben in Form von Eiern in einer Auswertung noch diskutiert und kulturgeschichtlich eingeordnet werden. Die vorläufige Begutachtung der übrigen zwei Pferde aus dem Gräberfeld ergibt, dass es sich auch bei diesen Tieren um verhältnismäßig große Hengste handelte, die mit einem Alter von drei und mehr als zehn Jahren dem zuvor besprochenen Pferd an die Seite gestellt werden können.
Der Fundort nahe der Ortschaft mit dem slawisch-stämmigen Ortsnamen Oechlitz verbarg ein Gräberfeld, das mangels Beigaben (keine Waffen und nur wenig Schmuck bei Kindern) in den Körpergräbern einen eher ärmlichen Charakter widerspiegelt – ein Sachverhalt, der auch der regionalen Entwicklung entspricht. Dem gegenüber stehen drei sicherlich prestigeträchtige in das Gräberfeld integrierte Pferde, durch die der Begräbnisplatz eine außerordentliche Stellung innerhalb der bislang bekannten anhaltinischen Gräberfelder des ausgehenden 10. und frühen 11. Jahrhunderts einnimmt.
Für weiterführende Aussagen in Bezug auf verwandtschaftliche Verhältnisse der Bestatteten zueinander und Auffälligkeiten an den Skeletten bleiben die Ergebnisse weiterer anthropologischer Untersuchungen noch abzuwarten. Zusätzlich angestrebte Radiocarbon-Analysen verschiedener Knochen sollen dazu beitragen, die vorgeschlagene Datierung zu stützen.


Text: Klaus Powroznik, Sandra Fetsch, Hans-Jürgen Döhle
Online-Redaktion: Tomoko Emmerling, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

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H. Rempel, Reihengräberfriedhöfe des 8.-11. Jahrhunderts aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (Berlin 1966).

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B. Herrmann/G. Gruppe/S. Hummel/H. Piepenbrink/H. Schutkowski, Prähistorische Anthropologie. Leitfaden der Feld- und Labormethoden (Berlin, Heidelberg, New York 1990).

 

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