Zur Navigation (Enter) Zum Inhalt (Enter) Zum Footer (Enter)

Fund des Monats

Oktober 2011: Kopfüber arrangiert

Eine außergewöhnliche Gefäßdeponierung bei Obselau/Aken im Lödderitzer Forst

Aus Anlass der größten Deichrückverlegungsmaßnahme Deutschlands begannen im Jahr 2010 archäologische Untersuchungen auf der gesamten, sieben Kilometer langen künftigen Deichtrasse im Lödderitzer Forst (UNESCO-Biosphärenreservat Mittelelbe; www.deich-loedderitz.info). Über die ur- und frühgeschichtliche Besiedlung dieses Gebiets ist wegen der weitgehenden Bewaldung – und damit einhergehend bislang kaum erfolgten Bodeneingriffe – noch relativ wenig bekannt. Doch schon der erste flächig untersuchte Fundplatz am Südende der Trasse bei Aken (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) (Abbildung 1), erbrachte einen überraschenden Befund. Im Bereich einer weitgehend aberodierten vorgeschichtlichen Siedlungsstelle wurde ein hervorragend erhaltenes Gefäßdepot freigelegt, das aus einem großen, zentralen Gefäß und fünf kleineren, halbkreisförmig um dieses herum drapierten Gefäßen bestand. Alle standen mit der Öffnung nach unten auf der (ehemals wohl vorhandenen) Grubensohle; eine solche war im Befund allerdings nicht mehr erkennbar (Abbildung 2).

Die blockweise Bergung und Ausgrabung der Gefäßinhalte zeigte, dass im Zentralgefäß (Nummer 6) ein weiteres, kopfüber deponiertes Gefäß (Nummer 7) enthalten war. Einer der kleineren Töpfe an der Seite (Nummer 5) überdeckte eine aufrecht stehende Schale (Nummer 8). Die größte Überraschung beim Herausnehmen stellte eine Schale (Nummer 3) dar, unter der sich drei weitere Gefäße (Nummer 9, 11, 12), jeweils über das nächst kleinere gestülpt, fanden. Das kleinste war mit einer passenden Deckschale (N-ummer 13) geschützt. Insgesamt bestand das Depot also aus zwölf Gefäßen (Abbildung 3). Der »Depotcharakter« des Fundes wird – außer durch die Häufung der Einzelobjekte – noch dadurch unterstrichen, dass er im Gegensatz zu den meisten anderen Befunden des Platzes, die schon stark in Mitleidenschaft gezogen waren, deutlich tiefer niedergelegt worden war und letztlich hierdurch ausgezeichnet erhalten blieb.

Die niedergelegten Gefäße präsentieren offensichtlich Formen, die überwiegend im Siedlungsgeschehen Verwendung fanden und selten in Gräbern beigegeben worden sind. Daher ist ihre zeitliche Einordnung problematisch. Es handelt sich durchweg um relativ grob gefertigte, flau profilierte Gefäße mit deutlich erkennbaren Knetspuren beziehungsweise unruhig verlaufender Oberfläche (Abbildungen 4 und 5). Es sind eine große Schüssel (Nummer 6), zwei eiförmige, geschlickte Töpfe mit Knubben (Nummer 5 und 7), ein flacher Topf (Nummer 2), fünf Schalen (Nummer 3, 8, 9, 11 und 13), eine Kanne (Nummer 1) und zwei Tassen (Nummer 4 und 12). Bei den Schalen lassen sich gegliederte Varianten, einmal mit drei Dellen auf der Schulter (Nummer 8 und 11), und einfache, flach gewölbte Exemplare (Nummer 3, 9 und 13) unterscheiden. Die eiförmigen Töpfe und die Kanne sind Formen, die bereits in der ausgehenden Bronzezeit auftreten, so jedoch auch später noch hergestellt worden sind. Auf eine etwas spätere Einordnung deuten insbesondere die Form der Henkel und die Profilierung der anderen Gefäße, so dass von einer Zugehörigkeit des gesamten Befundes in die frühe Eisenzeit (circa 8. Jahrhundert vor Christus) ausgegangen werden darf. Die Deponierung ist somit mit der Hausurnenkultur zu verbinden. Die für diese Kultur Namen gebenden Hausurnen – keramische Gefäße in Form von Wohnhäusern und Speicherbauten – sind in Europa in höherer Anzahl nur aus Mittel- und Norditalien, aus einem kleinen Teil des nördlichen Mitteldeutschlands zwischen Magdeburg und Halle sowie aus Norddeutschland und Skandinavien bekannt. Bis heute ist die Art der Verbindungen zwischen diesen ganz unterschiedlichen Gebieten nicht geklärt.

 

Ein Blick auf das Spektrum der vorliegenden Gefäße zeigt, dass sie gezielt für diese Niederlegung ausgewählt worden sind, denn mehrere Gefäße treten paarweise auf. Besonders deutlich wird dies bei den Schalen Nummer 3 und 9 einerseits sowie Nummer 8 und 11 andererseits. Jeweils gibt es ein kleineres und ein größeres Exemplar. Mit diesem Wissen fügen sich auch die beiden eiförmigen Töpfe (Nummer 5 und 7) sowie die Kanne und die ähnlich profilierte dreigliedrige Tasse mit Deckel (Nummer 1 und 12 mit 13) zwanglos in dieses Bild. Übrig bleiben die Gefäße Nummer 2, 4 und 6, von denen möglicherweise zwei ein vergleichbares Paar bildeten. Ganz offensichtlich ist hier also ein Geschirrsatz der Erde übergeben worden. Von Bedeutung ist die Frage, wofür er gedient hat. Vergleichbare, jedoch etwa 200 bis 300 Jahre ältere Deponierungen sind für die Lausitzer Kultur – beginnend etwa 30 Kilometer östlich von Lödderitz – häufiger belegt. Auch hier stehen die Gefäße vielfach auf dem Kopf (Abbildungen 6 und 7). Bemerkenswert ist aber, dass es sich immer um Urnenbestattungen handelt, auch wenn – gerade auch in Verbindung mit umgestülpten Gefäßen – in den Gräberfeldern wiederholt Deponierungen ohne Leichenbrand dokumentiert werden konnten. Während Johannes Schneider diese Befunde 1965 noch als Scheingräber angesprochen hat, mehren sich in den letzten Jahren die Hinweise, dass es sich zusammen mit benachbarten Brandbestattungen um großflächige Grabkomplexe handeln könnte, in denen die vermeintlichen Scheingräber als Beigaben­ausstattungen der eigentlichen Grablege angesehen werden müssen. Dies erschließt sich aus passgenauen Gefäßfragmenten in beiden Befunden und einer wiederkehrenden räumlichen Anordnung entsprechender Befundkomplexe, zum Beispiel im Gräberfeld von Coswig (Landkreis Wittenberg). Die sorgfältige Ausgrabung des Gefäßinneren der im Block geborgenen Lödderitzer Depotgefäße ließ keinerlei Spuren einer Bestattung erkennen. Außer den oben beschriebenen, eingestapelten Gefäßen waren keine weiteren Objekte vorhanden (Abbildungen 8 und 9). Offensichtlich liegt hier inmitten des Verbreitungsgebietes der Hausurnenkultur ein bislang einzigartiger Befund vor, in dem – aller Wahrscheinlichkeit nach in Anlehnung an entsprechende ältere Rituale innerhalb der Lausitzer Kultur – ein zuvor in Kultpraktiken beziehungsweise Ritualen genutztes Gefäßensemble vergraben worden ist. Die in den genannten älteren Befunden nicht festzustellende Paarigkeit von mehreren Gefäßtypen findet stattdessen in früheisenzeitlichen Gräbern der süddeutschen Hallstattkultur ihre Entsprechung. Das Sediment innerhalb der Lödderitzer Gefäße wurden nach Schichten getrennt beprobt, sodass zukünftige chemische Analysen vielleicht eines Tages Hinweise auf die Art der Kultrituale geben können.

In diesem Zusammenhang gewinnt eine in nur zehn Meter Entfernung vom Gefäßdepot gelegene Rinderbestattung Bedeutung, die in einer sorgfältig angelegten, viereckigen Grabgrube niedergelegt worden war (Abbildungen 10a und b). Eine archäozoologische Untersuchung der Rinderknochen zeigte, dass es sich um das nahezu vollständige Skelett eines etwa fünf- bis sechsjährigen weiblichen Rindes handelte. Die gemessenen Knochenlängen deuten auf ein ausgesprochen großwüchsiges Individuum. Hausrinder dieser Größe sind für den mitteldeutschen Raum bisher aus dem Frühneolithikum (Bandkeramik) sowie dann wieder aus der frühen Neuzeit überliefert; ansonsten nur aus provinzialrömischen Gebieten. Allerdings sprechen gegen die neuzeitliche Verscharrung eines verendeten Tieres doch die gut erkennbare Grabgrube und die für relativ junge Befunde untypische, diffuse Sedimentfärbung der Verfüllung. Das Ergebnis einer Radiocarbon-Datierung wird mit Spannung erwartet.

Denn sowohl beim Gefäßdepot als auch bei der Rinderbestattung wurde je ein etwa faustgroßer Stein dokumentiert, der jeweils unmittelbar nördlich neben der Niederlegung (am Rücken des Rindes etwa in Höhe der Brust sowie direkt neben dem Zentralgefäß des Depots oberhalb der umgebenden Gefäße, Abbildung 3 und 10) lag. In dem ansonsten steinfreien, sandig-lehmigem Untergrund der Grabungsfläche möchte man davon ausgehen, dass es sich hierbei um eine absichtliche »Zutat« handelt, die die Zusammengehörigkeit der Befunde möglicherweise unterstreicht. In diesem Fall wäre das Gefäßdepot als Ritualgeschirr im Rahmen einer Rinderbestattung zu werten. Ob speziell dem Rind – einem in ur- und frühgeschichtlicher Zeit als Milch-, Fleisch- und Zugtier äußerst wertvollen und auch kultisch verehrten Haustier –  hier diese Bestattungszeremonie galt oder ob beide Befunde als Opferungen in einem noch größeren Rahmen aufzufassen sind, müssen nachfolgende Untersuchungen klären.

In jedem Fall bietet die Lödderitzer Gefäßdeponierung einerseits einen völlig neuen Einblick in den umfangreichen Gefäßbestand ihrer Zeit und gestattet andererseits erste, sehr bemerkenswerte Rückschlüsse auf rituelle Deponierungen und somit die spirituelle Gedankenwelt der frühen Eisenzeitler jener Region.

Text: Hans-Jürgen Döhle, Dietlind Paddenberg, Torsten Schunke, W. Thoma
Online-Redaktion: Tomoko Emmerling, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

S. Kurz, Bestattungsbrauch in der westlichen Hallstattkultur (Münster, New York, München, Berlin 1997).

J. Lipsdorf, Ein Gräberfeld der Buckelkeramik mit Steinkränzen in der Gemarkung Briesnig, Fundplatz 52. In: J. Kunow (Hrsg.), Ausgrabungen im Niederlausitzer Braunkohlenrevier 1998. Arbeitsberichte zur Bodendenkmalpflege in Brandenburg 3 (Pritzen 1999) 37-42.

R. von Rauchhaupt, Kreisgräben und antik geplünderte Gräber. Untersuchungen auf dem Gräberfeld der Lausitzer Kultur bei Heinersbrück. In: F. Schopper (Hrsg.), Ausgrabungen im Niederlausitzer Braunkohlenrevier 2007. Arbeitsberichte zur Bodendenkmalpflege in Brandenburg 20 (Wünsdorf 2008) 69-80.

J. Schneider, Die jüngere Bronzezeit des Bezirks Cottbus. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Halle/Saale 1965).

Zum Seitenanfang