Zur Navigation (Enter) Zum Inhalt (Enter) Zum Footer (Enter)

Fund des Monats

August 2012: Informationsgehalt archäologischer Funde am Beispiel von Bronzedrahtspiralröllchen

Metallobjekte gehören bekanntlich zu den wichtigsten Funden der Archäologie. Darunter sind die sogenannten Bronzedrahtspiralröllchen aus der Bronzezeit, wie jenes in Abbildung 1, besonders häufig vertreten. Diese Röllchen tragen die unterschiedlichsten Informationen (Material, zeitgemäße Form, Spuren der Herstellung und des Gebrauchs), die allerdings für das einzelne Röllchen ohne großen kulturhistorischen Wert bleiben. Erst wenn mehrere solcher Objekte im Verband gefunden werden, lassen sich unter günstigen Voraussetzungen aus dieser Fundkategorie interessante Erkenntnisse gewinnen.

Obwohl Bronzedrahtspiralröllchen eher die Form von Spiralfedern haben, die in ein technisches Umfeld gehören, werden sie den Schmuckobjekten zugeordnet. Man kennt sie beispielsweise als Bestandteile von Ketten, Hauben oder Ähnlichem. (Breuer/Meller 2003), weshalb einzelne Röllchen auch ohne konkreten Befundzusammenhang gern als Schmuckbestandteil interpretiert werden.

Ähnlich verhielt es sich mit einem Befund, der bei Ausgrabungen in der Kiesgrube Unseburg (Landkreis Aschersleben-Querfurt) entdeckt wurde. Bei der Freilegung eines Grabes der späten Bronzezeit erkannte man neben der Schulter eines Skeletts eine Ansammlung von Bronzedrahtspiralen. Wegen der Fragilität der Objekte – die Bronzedrähte waren infolge der langen Bodenlagerung mehr oder weniger stark korrodiert – und des Zeitdrucks im Gelände, entschied man sich, den wissenschaftlich interessanten Bereich des Grabes im Block zu bergen und in der Restaurierungswerkstatt des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt unter Laborbedingungen freizulegen (Abbildung 2).

Eine Röntgenuntersuchung verschaffte einen ersten Überblick und zeigte das ganze Ausmaß des Befundes mit den Bronzedrahtspiralröllchen (Abbildung 3). Zentral sieht man einen fast quadratischen Bereich, der kariert erscheint. Verursacht wird dieses Erscheinungsbild von zwei Schichten Spiralröllchen, die um 90 Grad gegeneinander verdreht, übereinanderliegen. Ein größeres Röllchen verläuft – ausgehend von der rechten unteren Bildecke – diagonal und endet circa in der Mitte des karierten Bereiches.
Die Freilegung des Befundes in der Restaurierungswerkstatt zeigte daraufhin, dass es sich um insgesamt 55 Spiralröllchen eines einzelnen Objektes handelte, die in sechs klar voneinander abgrenzbaren Gruppen über- und nebeneinander lagen. Sie waren so angeordnet, dass man aus ihnen je ein Ober- und Unterteil sowie vier Seitenteile eines kästchenartigen Behältnisses rekonstruieren konnte. An und in den Röllchen hatten sich den Untersuchungen zufolge außerdem Faserreste erhalten, durch die zu erkennen war, wie die einzelnen Gruppen untereinander verbunden waren (Abbildung 4).

Zum Befund gehörten – wie oben schon erläutert – weitere Drahtreste. Im Gegensatz zu den Drähten der anderen Röllchen waren sie aber deutlich dünner und dadurch noch fragiler.

Außerdem hatte die durch sie gebildete Spirale einen größeren Durchmesser. Nach der Freilegung konnte diese Spirale als Umwicklung eines Griffes identifiziert werden. Dieser bestand ursprünglich aus Holz, war jedoch nur noch in Resten erhalten. Das Ende des Griffes war mit einem massiven Metallbeschlag versehen gewesen. Am anderen Ende hat man den Draht der Spirale weitergeführt und im Oberteil des Kästchens eingehakt (Abbildung 5).
Zwischen den Röllchen und dem Oberarmknochen des Skeletts konnte noch eine Holzschicht beobachtet werden. Aus der Schichtabfolge Röllchen/Holz/Knochen konnte geschlossen werden, dass das Kästchen einst auf einen Hocker neben der Schulter des 30 bis 50 Jahre alten Bestatteten lag (Deffner/Dresely 2001). Aus der Lage der Teile im Befund ging zudem hervor, dass dieses Kästchen vor der Niederlegung im Grab geöffnet worden sein muss.
Nach Abschluss der Werkstattgrabung konnten somit aus der Summe der Einzelbeobachtungen nicht nur das ursprüngliche Erscheinungsbild des Gegenstandes,  sondern auch seine rituelle Öffnung und Niederlegung im Grab rekonstruiert werden (Abbildung 6).

Diese Interpretationen wären in der Weise nicht möglich gewesen, wäre das Grab zum Beispiel von einem Pflug zerstört und die Bronzedrahtspiralröllchen so aus dem Befundzusammenhang gerissen worden. Auch bei einer Plünderung des Befundes durch Raubgräber wären diese Informationen unwiederbringlich verlorengegangen. Es ist sogar fraglich, ob die reguläre Ausgrabung des Befundes im Gelände eine solche Informationsdichte erbracht hätte, wie die Werkstattausgrabung.


Text: Heiko Breuer
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

H. Meller/H. Breuer, Tränen der Götter. In: H. Meller (Hrsg.), Der geschmiedete Himmel: die weite Welt im Herzen Europas vor 3600 Jahren (Halle [Saale] 2014) 105-107.

A. Deffner/ V. Dresely, Der rätselhafte Schrein. In: H. Meller (Hrsg.), Schönheit, Macht und Tod. 120 Funde aus 120 Jahren Landesmuseum für Vorgeschichte (Halle [Saale] 2001) 274–275.

Zum Seitenanfang