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Fund des Monats

Februar 2012: Eine Liebe in Zeiten des Krieges

Die archäologischen Untersuchungen auf dem Arsenalplatz in Wittenberg liefern immer wieder überraschende Einblicke in das Wittenberg der Reformationszeit. Von besonderem Reiz sind dabei Fundobjekte, die einen Einblick in das private Leben der in dieser Umbruchzeit handelnden Personen geben.

Es kann davon ausgegangen werden, dass die Grube nur kurze Zeit offenstand und schnell wieder verfüllt wurde (Abbildung 1). Das geschah nach Ausweis des sehr umfangreichen Fundmaterials im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts.

Die in der Verfüllung befindlichen Überreste repräsentieren wahrscheinlich den Hausrat und die Ausstattung eines gesamten Grundstückes und es scheint, dass hier eine regelrechte Entrümpelung stattgefunden hat. Von besonderem Interesse sind die zahlreichen Reste von Öfen, da sie einen unmittelbaren Bezug zur Ausstattung des zugehörigen Wohnhauses haben.
Herausragend ist ein Komplex polychromer Ofenkacheln, wie sie bisher in Wittenberg nur aus den Höfen Luthers und Cranachs sowie aus dem kurfürstlichen Schloss bekannt geworden sind (Abbildungen 2 und 3). Die Kacheln zeigen in den meisten Fällen ein farbig gefasstes Rhombenmuster, andere Stücke stellen kämpfende Ziegenböcke dar. Gesimse enden in grün glasierten Dächern und eine Ecke des Ofens war mit einem plastischen Löwen geschmückt.
Ein solcher Ofen, der wohl in den Jahren um 1530 gefertigt worden war, stellte einen enormen Wert dar und zeugt nicht nur von der hohen Wirtschaftskraft seines Besitzers, sondern zeigt auch, dass dieser sich sein Haus repräsentativ und nach dem neusten Stand der Mode ausstattete. Wes Geistes Kind der ehemalige Besitzer des Hauses war, zeigt sich an einem Ofenkachelbruchstück, welches den Papst im Höllenfeuer darstellt.

Das wichtigste Fundstück aus der Grubenverfüllung  ist ein auf den ersten Blick unscheinbares etwa zwölf Zentimeter langes Gerät aus Horn. Es handelt sich um ein Falzbein, welches ein wichtiges Werkzeug der Buchbinder war. Im 16. Jahrhundert war Wittenberg – angestoßen durch die Universitätsgründung und beschleunigt durch die Reformation – die wichtigste deutsche Buchdruckerstadt geworden. Mittlerweile liegen einige Fundkomplexe von Bleilettern aus der Stadt vor, die das eindrucksvoll belegen.
Nach dem Druck wurden die Bögen in den Buchbinderwerkstätten zu Büchern gebunden, wobei den Buchbindern auch die Herstellung der Einbände oblag (Abbildung 4). Mit dem Falzbein dürfte nun erstmals der archäologische Nachweis einer Buchbinderwerkstatt in Wittenberg gelungen sein. Gleichzeitig wirft das Fundensemble aus der Grube ein Schlaglicht auf die Verdienstmöglichkeiten und das Repräsentationsbedürfnis in diesem Gewerbe.
Über die Möglichkeit der Lokalisierung einer Buchdruckerwerkstatt geht aber unser Fund weit hinaus! Er eröffnet uns Zugang zu den privatesten Angelegenheiten des Buchbinders.

Zunächst einmal ist die präzise Datierung des Stückes ein glücklicher Zufall, denn solcherart Werkzeuge unterliegen im Laufe der Zeit kaum Formveränderungen, die in der Archäologie ein sehr wichtiges Datierungskriterium sind.

Auf einer Längsseite des Falzbeins finden wir sehr deutlich die Jahreszahl »1547« eingeritzt (Abbildung 5). Diese Jahreszahl führt uns in eine sehr bewegte Zeit: Im Jahr vorher war Martin Luther gestorben. Nun herrscht Krieg. In der Schlacht von Mühlberg verlieren die Truppen des Schmalkaldischen Bundes in dem sich die protestantischen Fürsten zusammengeschlossen hatten. Die reformatorische Bewegung steht kurz vor dem Aus, ihr Anführer Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen verliert seine Kurwürde und den Kurkreis, behält aber wenigstens sein Leben. Wittenberg hört auf Residenzstadt zu sein. Für die Bewohner war der Schmalkaldische Krieg voller Bedrückungen – die Stadt wurde belagert, hatte sich aber schon seit mehreren Jahren durch den Ausbau zur Festung auf eine solche Situation vorbereitet. Bei einem Kampf um die Stadt mussten sich ihre Bürger auf das Schlimmste vorbereiten.
Inmitten diese Kriegssituation führt uns das Falzbein: Sein Besitzer hat sich mit seinen Initialen »F.E.« verewigt. Leider liefern die sonst für Wittenberg so ergiebigen Schriftquellen für die Jahre des Schmalkaldischen Krieges kaum Informationen. Wahrscheinlich ist  »F.E.« aber der Buchbinder Franz Eichhorn, der in Wittenberg von 1537 bis etwa 1550 nachweisbar ist.

Über die Person Franz Eichhorns liegen nur sehr wenige Angaben vor. Offenbar verlegte er seine Werkstatt noch vor 1550 nach Leipzig. Angeblich soll er dort schon 1544 als Meister tätig gewesen sein, dafür fehlen allerdings die Nachweise. Auch die Eichhorn zuordenbaren Einbände sind sehr spärlich. Möglicherweise ging er erst in Leipzig dazu über, seine Werke zu signieren. Bei Peter (Eich-)Horn könnte es sich um einen Sohn handeln, der die Werkstatt in Wittenberg weiterführt.
Kartiert man die Fundstelle auf den ältesten Wittenberger Stadtplan, erkennt man, dass sie zum Grundstück Nummer 8 gehört, welches die Eckparzelle Bürgermeister-Scharrenstraße bildet. Hier können wir die Buchbinderwerkstatt, zumindest die der Nachfahren von Franz Eichhorn lokalisieren. Das Haus befand sich nachweislich der überlieferten Steuerlisten im Jahr 1556 im Besitz eines Peter (Eich-)Horn, dann wird es von Christian Walter übernommen um spätestens 1595 wieder Wolf Eichhorn zu gehören, der hier eine Buchbinderwerkstatt (!) betreibt (Abbildung 6). Bei erst genannten könnte ein Schwiegersohn der Familie Eichhorn gewesen sein. Es gibt in Wittenberg mehrere Beispiele dafür, dass Häuser in die Nutzung beziehungsweise den Besitz der Schwiegersöhne gelangten und nachher wieder an die ursprüngliche Familie zurückfielen. Für die Hinweise zu den überlieferten Hausbesitzern bedanke ich mich  an dieser Stelle ganz herzlich bei Frau Dr. Insa Christiane Hennen – Forschungsprojekt »Das Ernestinische Wittenberg«.

Eine weitere Ritzzeichnung gibt den Blick auf den Menschen hinter dem Buchdrucker frei und gehört zu den wenigen wirklich intimen Äußerungen, die sich im archäologischen Kontext niederschlagen. Auf die der Jahreszahl gegenüberliegende Seite hat der Besitzer ein Herz geritzt, welches von einem Pfeil durchbohrt wird (Abbildung 8). Offenbar war er verliebt und man kann sich sehr gut vorstellen, wie er die Ritzzeichnung, verträumt an seiner Werkbank sitzend, ausgeführt hat. Über die Angebetete erfahren wir nur, dass ihr Vorname wohl mit dem Buchstaben »E« begonnen hat. Am gefiederten Ende des Pfeils steht nämlich das Initial »F« für Franz und das Ziel des Pfeils ist mit »E« markiert.

Neben der Darstellung des durchbohrten Herzens befindet sich noch die Abbildung einer Schelle (Abbildung 9). Diese galt gerade in der Zeit des 16. Jahrhunderts als Symbol des Narren. Ob der Besitzer des Falzbeins seine Verliebtheit selbst als Narretei kennzeichnete?

Leider wissen wir nicht, was aus dieser Liebe in der schweren Zeit des Schmalkaldischen Krieges geworden ist. Wurde sie erwidert? Wurde sie vielleicht von Heiratsplänen der Eltern durchkreuzt? War hier vielleicht ein bereits verheirateter Mann auf Abwege geraten? Oder haben sie sich ihre Liebe erfüllt?
Die Darstellung des mit einem Pfeil durchbohrten Herzens ist in der Renaissancezeit recht häufig (Abbildungen 10 und 11). Ganz interessant ist, dass wir eine solche Abbildung auch auf Bucheinbänden aus Wittenberg finden. Ein bisher noch nicht namentlich bekannter Meister verwendete mehrfach auf seinen Einbänden das durchbohrte Herz. Vielleicht war das Franz Eichhorn.


Text: Holger Rode
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

K. Haebler, Rollen- und Plattenstempel des XVI. Jhs. Unter Mitwirkung von Ilse Schunke. Bd. I-II. Leipzig 1928-29. Sammlung bibliothekswissenschaftlicher Arbeiten. Heft 41-42.  Leipzig 1928-1929.

A. Schramm, Zeitschrift für Buchkunde, Leipzig 1924.

W. W.E Slights, The Heart in the Age of Shakespeare. Cambridge University Press 2008.

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