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Fund des Monats

März 2014: Als man in Zeitz noch Löwen aß

Anlässlich des Einbaus eines Aufzuges fanden in der Nord-West-Ecke des Schlosses Moritzburg in Zeitz Beräumungs- und Schachtungsarbeiten statt. Dabei kam im Bereich des ehemaligen Küchentraktes der verfüllte Schacht eines aufgegebenen Kamins beziehungsweise einer Esse zum Vorschein. Im weiteren Verlauf der Umbaumaßnahme wurde im Jahre 2013 dieser Schacht weiter abgebrochen und beräumt (Abbildungen 1 und 2). Die gesamte Esse war mit Funden aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verfüllt. Unter der Keramik stach als besonderes Highlight ein zweiteiliges Tiermodel hervor (Länge 16 Zentimeter, Höhe mit Kopf 14 Zentimeter). Von außen relativ unscheinbar (Abbildung 3), zeigen die aufwändig gestalteten Innenseiten den Negativabdruck eines dekorativen Löwen (Abbildungen 4 und 5).

Der Schacht gehört baulich zur barocken Anlage des heutigen Schlosses Moritzburg und nicht zur mittelalterlichen Bischofsburg, die 1644/45 im Zuge des Dreißigjährigen Krieges zu großen Teilen zerstört wurde. Mit der Errichtung des Sekundogenitur-Herzogtums Sachsen-Zeitz ergab sich die Notwendigkeit für eine repräsentative Residenz und so fand am 19. März 1657 die Grundsteinlegung für ein Barockschloss statt (Abbildung 6). Der Begriff »Sekundogenitur« ist abgeleitet aus dem Lateinischen secundus (folgend, zweiter) und genitus (geboren). Er bezeichnet den Besitz der Nebenlinie eines Adelsgeschlechts beziehungsweise Fürstenhauses, die vom zweitgeborenen Sohnes oder weiteren Nachgeborenen begründet wurde.  1663 erfolgte der Einzug des Herzogs Moritz, wobei die Bautätigkeit mit mehreren Umbauten sich bis 1678 hinzog (Schmitt 2008, 81). Unter Berücksichtigung des Fundzusammenhangs ist davon auszugehen, dass das Löwenmodel nicht früher als in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts datiert.
Drückt man die zusammengesetzten Formenhälften vorsichtig mit einer geeigneten Abdruckmasse aus, so erhält man einen liegenden Löwen. Als Abdruckmasse eignen sich neben den in der Restaurierung üblichen Abformmassen auf der Basis von Silikonkautschuk auch plastische Massen wie beispielsweise normaler Ton oder Plastilin.

Der nach rechts liegende Löwe wendet dem Betrachter sein mit schlängelnden Locken umgarntes Gesicht entgegen, der Gesichtsausdruck ist lebendig, das Maul breit und die Lefzen leicht hochgezogen, wobei sich ein leichtes »Lächeln« ergibt. In den Vorderklauen hält er einen Ball. Löwen, die in ihren Klauen eine Kugel halten, werden in der Ikonographie gemeinhin als »Medici-Löwen« bezeichnet, wenn auch deren Namensgeber und Urbild, die Löwen an der Gartentreppe der Villa Medici von 1598 (Abbildung 7), noch aufrecht laufen.
Den Schwanz hat der Großkater zwischen dem rechten Hinterlauf nach vorne durchgezogen. Er sitzt auf einem kissenartigen Sockel, der mit strichelartigen Einkerbungen strukturiert ist.
Die Mähne, die mehr an eine barocke Adelsperücke erinnert denn an die eines realen Löwen, füllt fast den gesamten Vorderkörper des Tiers aus. Die Locken sind mit einer Binnenlinierung, die einzelne Haare darstellen sollen, auffallend stark gezeichnet, während der übrige Teil des Löwenkörpers relativ glatt gestaltet ist. Die Schnurrhaare sind als erhabene Punkte angedeutet, die beim Abdrücken etwas unscharf und verwaschen herauskommen, da sie im Negativ teils mit Glasur vollgelaufen sind.
Der größte Unterschied zu wirklichen Löwen als auch zu Löwendarstellungen, wie man sie aus der Barockzeit kennt, ist jedoch, dass unserem Löwen die Ohren fehlen.

Als Herrschersymbol und Ausdruck von Kraft und Macht war der Löwe in der Heraldik sehr beliebt. Um ihre wirkliche oder vermeintliche Herrschaft zu demonstrieren, verwendeten viele Adelsgeschlechter Löwen als Wappentiere. Auch das Wappen des Herzogs Moritz von Sachsen-Zeitz (28. März 1619 bis 4. Dezember 1681) enthielt mehrere Löwen. Selbst in liegender Position strahlt der »König der Tiere« souveräne Stärke und Selbstvertrauen aus.

»Copy in the past«: Zum Verhältnis von Modell und Model

Um den Weg von der Urform des Löwen zu unserem Fund, einer keramischen Negativform, zu verfolgen, müssen wir uns zunächst historischen Modeln im Allgemeinen zuwenden. Die Massenfertigung keramischer Figurinen reicht weit in die Antike zurück. Bekannt ist der Herstellungsweg der hellenistischen Tanagra-Figuren: Über ein tönernes oder gipsernes Urmodell wurden Tonschalen gedrückt (Abbildung 8), die man nicht ganz fest an den Rändern gegeneinander presste. Man sorgte dafür, dass die Trennnähte beider Hälften möglichst so über die dreidimensional Urfigur verliefen, dass sich beide Hälften gut vom Modell lösen ließen. Um zu vermeiden, dass die Trennnähte beider Hälften miteinander verklebten, streute man etwas Tonpulver oder Mehl auf (Abbildung 9). Wenn die Formhälften leicht angetrocknet waren, versuchte man, vorsichtig die noch leicht flexiblen Formschalen vom Modell zu lösen.

Dann setzte man sie wieder halbwegs passgenau zusammen, ohne sie wieder miteinander zu verkleben (Abbildung 10). Nach Trocknen und Brennen waren sie gebrauchsfertig. In die Formhälften konnte man nun Ton einstreichen, setzte die Hälften zusammen, und der eingestrichene Ton trocknete an. Er löste sich nach wenigen Minuten von den Formhälften, weil die poröse Oberfläche der Formen Modeln dem Ton Wasser entzog. Dabei unterlag der nasse Ton einem Schwindungsprozess, was das Entformen der Figur erleichterte. Aus einem negativen Tonmodell konnten man auf diese Weise einige hundert Kopien ziehen (Abbildung 11).
Da Ton beim Trocknen und Brennen erheblich schwindet, sind die erhaltenen Kopien im Schnitt um zehn bis 25 Prozent longitudinal kleiner als das Urmodell. Das klingt zunächst wenig, aber ein Schwund von beispielsweise 20 Prozent in der Länge bewirkt eine Schrumpfung auf fast die Hälfte des Volumens.

Im Mittelalter und der frühen Neuzeit wurde dieses Verfahren angewandt, um beispielsweise ornamentierte Ofenkacheln in Serie herzustellen.
Da es kein »Copyright« in unserem Sinne gab, »stahlen« Töpfer gelegentlich erfolgreiche Motive ihrer Kollegen, ohne allerdings einen natürlichen Kopierschutz überwinden zu können: die Kopien wurden immer kleiner, je mehr sie sich durch die Anzahl der Kopiervorgänge vom Original entfernten.
Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Löwenform von Zeitz dazu gedacht war, tönerne Löwenfiguren in Serie herzustellen. Dazu unterscheidet sie sich von üblichen Töpfermodeln: sie ist hoch gebrannt und glasiert. Aus dichten, glasierten Tonmodeln lassen sich Tonpositive nur mit Mühen gewinnen, da ihnen die Saugfähigkeit ihrer porösen Vertreter, wie sie in den Töpfereien verwendet wurden, fehlt. Der Ton klebt zu lange an der dichten Formwand, was zügige Serienfertigung verhindert. Glasierte Keramik gehört eher in den Küchenbereich, und dort ist wohl auch unsere Form anzusiedeln.

Es war nicht wichtig, dass die im Modell noch vorhandenen Details erkennbar blieben, so nahm man in Kauf, dass die Glasur einiges davon verdeckte oder verunklärte. Denn unsere Keramik diente wohl eher dazu, essbare Dingen in Form zu bringen, sei es nun Kuchenteig oder gar erlesene Materialien wie Marzipan (Abbildungen 12 und 13): diese Lebensmittel formen nicht so detailscharf ab wie Ton oder Wachs, aber darauf kommt es auch nicht an.
Sollte unser Löwe einmal Öhrchen getragen haben, so hat der Formenbäcker sie wohl im Negativ verschmiert und eliminiert, da sie in Kuchenteig ohnehin kaum wiederzugeben sind.  Das Urmodell ist wahrscheinlich nur für die Herstellung der Backform »ausgeliehen« oder zweckentfremdet worden, denn eigentlich ist es dazu unnötig detailreich.
Ähnlich konstruierte, zweiteilige Kuchenformen sind aus dem 18. und 19. Jahrhundert zahlreich erhalten, und noch heute kann man in Haushaltswarenläden aus Blech geformte Kuchenformen kaufen, in die man Teig einfüllt. Die Formen werden dann umgekehrt in den Ofen gestellt, nach dem Backen löst man den Kuchen aus der Form. Wie die modernen Parallelen ist auch unsere Löwenform unten (dort, wo der Sockel ist) offen: hier quillt der beim Backen aufgehende Teig hinaus, die Öffnung verhindert, dass der Teig die Form sprengt.

Der Löwe am herzöglichen Tisch

Das Bild des Löwen als starker Herrscher lässt in Bezug auf das Model durchaus an eine Verwendung im Kontext des barocken Tafelzeremoniells denken.
Neben der lebensnotwendigen Nahrungsaufnahme hatte das Tafeln bei Hofe vor allem eine politische Dimension. Beeinflusst vom französischen Hofzeremoniell unter Ludwig XIV. stellten sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch die Herrscher der deutschen Territorien nach einem festgelegten Reglement regelmäßig den Untertanen und der Hofgesellschaft zur Schau, um bei Tisch ihre Macht zu repräsentieren. Menge und Qualität der Speisen sowie die Zahl der Gänge und Auswahl der Gäste richteten sich nach deren Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht und dienten zugleich der Bestätigung und Festlegung von Rangordnungen (Seutter von Lötzen 2008). Kuchen, Pudding, Naschwerk, Käse oder Butter in Form eines beziehungsweise mehrerer auf dem Tische liegender Löwen bediente diesen höfischen Lebensstil, wo es neben dem Gaumenschmaus auch auf die Augenweide ankam. 
Ein Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon, das Gottlieb Siegmund Corvinus 1715 in Leipzig veröffentlichte, berichtet von »Schau=Essen« als »zierlich ausgeputzten und eingeschobenen Speisen, so über der Tafel nicht angeschnitten werden, sondern bloß auf selbige zur Zierrath und Augen=Weyde stehen bleiben, dergleichen sind zierlich ausgeschmückte Schweinsköpffe wild und zahm, allerhand bund=färbigte Gallerten, u.d.g.« (Corvinius 1715, 1705–1706).
Bereits in mittelalterlichen Kochbüchern finden sich Rezepte für essbare Gallerte und Sülzen sowie Hinweise auf rote, grüne, gelbe und silbrig weiße Einfärbung (Lemmer 1991, 193–203)
Ein findiger Koch hätte mit Hilfe des in Zeitz gefundenen Models den König der Tiere sicher auch als bunten »Wackelpudding« auf die Tafel zaubern können. In Corvinius Frauenzimmer-Lexicon findet sich unter dem Stichwort Gebackener Büchsenkuchen auch noch das Rezept für einen Rührteig aus Milch, Mehl, Gewürzen und zwölf (!) Eiern, der portionsweise in einer gebutterten Form mit Deckel so lange in siedendem Wasser gekocht wurde, bis er hart geworden war. Eine geschickte Köchin mag wohl auch in der zweiteiligen Zeitzer Form einen Teig zu gebackenen Löwen gebändigt haben. 

Ausstellung in der Moritzburg Zeitz. 5000 Jahre Regionalgeschicht. Zeitz – Archäologie im Braunkohlerevier

Der Löwenanteil der vom 14. März 2014 bis zum 6. Januar 2015 gemeinsam vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt und der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft mbH (MIBRAG) mit Unterstützung der Stadt Zeitz organisierten Ausstellung (Abbildung 14) befasste sich mit der sogenannten Tagebauarchäologie. Das heutige Braunkohlerevier rund um Zeitz war bereits während des Neolithikums ein sehr beliebter Landstrich. Hunderte von Bestattungen geben hiervon ein eindrucksvolles Zeugnis. Ganz besonders reiche Gräber werden in der Sonderausstellung präsentiert. Ein herausragender Fund ist hierbei eine Damenhandtasche, für die mehr als hundert Hunde ihr Leben lassen mussten. Der gesamt Überschlag und der Trageriemen sind mit den Eckzähnen bestickt. Auch zum 1. Jahrhundert nach Christus, der sogenannten Römischen Kaiserzeit, kann man sich in der Ausstellung informieren. Dargestellt ist beispielsweise die 400 Gramm Gold umfassende Grabausstattung einer sehr reichen Germanin.
Einen Höhepunkt der Präsentation stellen die Funde aus den letztjährigen archäologischen Grabungen im Stadtgebiet Zeitz dar. Nicht nur die älteste aus Sachsen-Anhalt bekannte Trompete, sondern auch der Zeitzer Löwe (siehe oben) sind im Original zu sehen.


Text: Susanne Friederich, P. Hiptmair, Caroline Schulz, Christian-Heinrich Wunderlich
Online-Redaktion: Dorothee Menke, Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

G. S. Corvinus, Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon (Leipzig 1715)  <http://diglib.hab.de/drucke/ae-12/start.htm> (27.02.2014).                                                                                                  

M. Lemmer (Hrsg.), So wirt es gut und wolgeschmack, Alte deutsche Kochrezepte um 1350–1600 (Halle [Saale] 1991).

C. Seutter von Lötzen, Das Tafelzeremoniell an deutschen Höfen im 17. und 18. Jahrhundert – Quellen und Rechtsgrundlagen, Dissertation Jena 2008  <http://www.db-thueringen.de/servlets/DocumentServlet?id=11083> (27.02.2014).

 

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