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Fund des Monats

Mai 2014: »Werkzeug machen« vor 7000 Jahren – ein Handwerksbefund aus Breitenbach

Viel ist auf den ersten Blick nicht zu sehen: auf einer dünnen Schicht aus Holzkohle liegen ein paar längliche Gerölle, ein faustgroßer Kieselstein und zahlreiche Feuersteinsplitter (Abbildung 1a und b). Schaut man sehr genau hin, erkennt man unzählige, oft nur millimetergroße Feuersteinplättchen. Wir stehen vor den Spuren frühjungsteinzeitlicher Feuersteinbearbeitung – einem so genannten Schlagplatz. Etwas ganz Alltägliches, nicht nur in der dörflichen Siedlung, die vor etwa 5000 Jahren vor Christus nahe dem heutigen Breitenbach bei Zeitz stand. Die Herstellung von Geräten aus Stein durch spezielle Schlagtechniken zieht sich durch den gesamten Zeitraum, den wir Steinzeit nennen und ist sicher eine der ältesten Arten »Werkzeuge zu machen«. Grundsätzlich wissen wir, wie die frühen Bauern ihre Werkzeuge gefertigt haben. Was uns verborgen bleibt, ist der Blick in eine Werkstatt oder auf den Platz im Freien, wo diesen Arbeiten nachgegangen wurde. Das liegt darin begründet, dass die Oberfläche des Bodens, auf dem sich das Leben abgespielt hat, nicht mehr erhalten ist. Bodensituationen – wir sprechen von Befunden, – aus denen wir detailliert ablesen können, wie handwerkliche Arbeiten organisiert und ausgeführt wurden, sind selten und zumeist unscheinbar, aber es lohnt sich, sie näher zu betrachten. Schauen wir uns zunächst einmal an, was unser »Befund« an Funden zu bieten hat. Aber was ist in diesem Fall eigentlich der Befund? Das Schwierige zuerst: Er besteht aus einer Anhäufung von Einzelfunden, die in die Verfüllung des Grabens gelangt sind, welcher die Begrenzung des steinzeitlichen Dorfes markiert hat. Sie liegen in extrem hoher Dichte von bis zu über 100 Stück auf ein Liter Füllerde des Grabens in einer dünnen Holzkohleschicht. Diese Fundkonzentration beschränkt sich auf eine Fläche von weniger als einem Quadratmeter. Darüber liegen weitere Funde in einer lockeren Streuung, einer Fundwolke, die in ihrer Konzentration nach oben abnimmt. Bei den Funden fallen zuerst die bereits erwähnten länglichen Steine ins Auge. Es handelt sich um neun Flussgerölle von 8,2 Zentimeter bis 13,2 Zentimeter Länge aus Quarzit und Quarz, einen ovalen, leicht abgeflachten Quarzkiesel von elf Zentimeter Länge, einen zersprungenen Quarzkiesel von sieben Zentimeter Länge und um ein flaches Schiefergeröll von 8,3 Zentimeter Länge (Abbildung 2).

Wahrscheinlich wurden sie in der Aga, einem Bachlauf, der die Siedlung nach Norden und Nordosten begrenzte, gesammelt. Die Zahl der Feuersteinfunde überschreitet die 1000, ein scheinbar heilloses Durcheinander von millimetergroßen Plättchen, scharfen Splittern, regellos geformten Bruchstücken, aber auch einigen langen, schmalen Stücken mit scharfen parallelen Kanten und anderen regelmäßig wirkenden Steinen. Um dieses scheinbare Chaos zu verstehen, werfen wir einen Blick auf eine kleine Auswahl der zum Leben notwendigen Werkzeuge und ihre Herstellung.

Kurzer Exkurs in die jungsteinzeitliche Werkzeugherstellung

Bei Arbeiten wie Schneiden, Bohren und Schaben denken wir heute wie selbstverständlich an Metallwerkzeuge. Da am Übergang zum 5. vorchristlichen Jahrtausend Metalle im Verbreitungsbiet der Linienbandkeramischen Kultur (LBK) noch unbekannt waren, fanden in bewährter Weise gut spaltbare Gesteine, zum Beispiel Feuerstein, für die Werkzeugherstellung Verwendung. Auch in der Steinzeit wurde nichts dem Zufall überlassen. Hier der technologische Ablauf der Feuersteinbearbeitung in Kurzform. Die Darstellung ist stark vereinfacht und beschreibt die sogenannte Percussions-Technik (Feustel 1985).  Sie wird auch als »direkter, harter Schlag« bezeichnet. »Direkt« bezieht sich auf den Schlag des Instrumentes (Schlagstein) auf das Werkstück (Kern) ohne Zwischenstück. »Hart« bezeichnet Stein als Material des Instrumentes. Ist dieses aus organischem Material, zum Beispiel ein Geweihhammer, spricht man von »weichem Schlag«. Zuerst wurden als Rohlinge möglichst große Feuersteinknollen, am besten mit anhaftender Kreiderinde (sogenannter Kortex), beschafft. Feuerstein (nordischer oder baltischer Feuerstein) tritt in den eiszeitlichen Ablagerungen Mitteldeutschlands recht häufig auf, ist allerdings kaum auf der Oberfläche zu finden. Beschaffungsmöglichkeiten bildeten zum Beispiel Schotterbänke von Flüssen und Bächen oder der Abbau durch gezieltes Ausgraben von Vorkommen im Boden. Mit einem runden oder eiförmigen Stein (Schlagstein) wurde ein Ende der Knolle abgetrennt – das Ergebnis ähnelt einem großzügig geköpften Frühstücksei. Ausgehend von der entstandenen Fläche (Schlagfläche) wurden die äußeren Schichten der Rohknolle abgeschlagen und diese in eine Form gebracht, die es erlaubte, nacheinander lange schmale Abschläge, die wegen ihrer Form Klingen genannt werden (Abbildung 3 und 4), abzuspalten. Lief alles glatt, konnten vom Rohling – man nennt ihn dann Kern oder genauer Klingenkern – je nach dessen Größe bis zu mehrere Dutzend Klingen nacheinander mit je einem Schlag abgetrennt werden.

Im Idealfall gab es am Ende eine Anzahl sich ähnelnder Klingen und einen sogenannten Restkern. In der Praxis ging meistens ein Schlag schief und der Kern musste erneut in die richtige Form gebracht werden. Es entstanden also ständig Abfälle: Abschläge vom Zurichten des Kerns, misslungene oder zerbrochene Klingen und zersprungene Kerne (Kerntrümmer). Die Abfälle sammelten sich zu Füßen des Steinschlägers, ähnlich einem Haufen von Glasscherben und etwa genauso gefährlich. Auch wenn die Klingen in Größe und Qualität variierten, erfüllten sie die Anforderungen eines »standardisierten Halbfabrikates«. So wurden sie zum Beispiel einzeln in Griffe aus Holz oder Rinde eingesetzt, zu Messern verarbeitet oder – in einer Reihe hintereinander in einem gebogenen Holz angeordnet – als Erntemesser verwendet (Abbildung 3). Dieses Gerät erinnert in Form und Handhabung an die noch heute gebräuchliche Sichel. Als Kleber zum Einsetzen der Klingen diente Birkenpech, eine braunschwarze, in kaltem Zustand feste Masse, die zum Verarbeiten durch Erhitzen verflüssigt werden konnte. Die Herstellung von Birkenpech, am besten aus Birkenrinde, ist ein eigenes Thema, nur soviel sei erwähnt: Sowohl für die Gewinnung als auch für das Kleben wird Feuer benötigt – wir kommen noch darauf zurück. Die Klingen konnten auch zu Bohrern, Kratzern oder Pfeilspitzen weiterverarbeitet werden.

Dies geschah mit einem sogenannten Retuscheur, entweder ein dornartiges Gerät aus Geweih oder Knochen, mit dem durch seitlichen Druck auf die Kanten der Klinge kleine Abplatzungen (Absplisse) abgelöst wurden, oder ein länglicher Stein, der ebenfalls durch Druck oder durch kurze Schläge solche  »Miniaturabschläge« erzeugte. Die Klingen konnten auf diese Weise in ihrer Form gemäß der gewünschten Funktion angepasst werden.

Das Chaos ordnet sich

Wenden wir uns nun wieder den Funden zu, erschließt sich deren Bedeutung fast von selbst. Sowohl die beiden Quarzkiesel als auch das flache Schiefergeröll zeigen deutliche Narbenfelder, die auf eine Benutzung als Schlagsteine hindeuten. Mindestens drei der länglichen Gerölle tragen Abnutzungsspuren, die sie als Retuscheure ausweisen (Abbildung 5). Die Feuersteinfunde belegen lückenlos alle zuvor beschriebenen Phasen der Bearbeitung (Abbildung 6). In Bezug auf die Gewinnung von Klingen gehört hierzu neben Klingenkernen (Abbildung 7), Restkernen und Kerntrümmern auch ein Rohling, der während des Zurichtens zerbrochen ist. Die Mehrzahl der Funde bilden Abschläge vom Zurichten der Kerne. Es fanden sich aber auch gebrochene Klingen und ein fertiges Gerät, ein Kratzer – auch Endretusche genannt (Abbildung 7). Letzterer ist sicher unbeabsichtigt entsorgt worden. Zusammen mit den zahllosen Absplissen belegt er die Weiterverarbeitung der Klingen mit dem Retuscheur an Ort und Stelle. Viele der Feuersteinabfälle weisen kleine braunschwarze Flecken auf –  mutmaßlich Spritzer von Birkenpech – das sich mitunter auch auf einstmals eingeklebten Klingen findet. Auf die Feuersteinabfälle sind sie wohl eher unbeabsichtigt gelangt (Abbildung 8).

Es darf vermutet werden, dass auch das Einkleben der Klingen vor Ort erfolgte und hierbei Tropfen von Birkenpech auf die am Boden liegenden Steinabfälle fielen. Die aufgefundenen Holzkohlestücke stammen mehrheitlich von Eschen und nur in wenigen Fällen von Eichen, wobei überwiegend Zweige und Äste bis fünf Zentimeter Durchmesser verbrannt wurden (Die Holzartbestimmung der Holzkohlen erfolgte dankenswerter Weise durch Frau Dr. Monika Hellmund (Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt). Dass keine Holzkohlen von Birkenholz nachgewiesen werden konnten, spricht gegen die Herstellung von Birkenpech. Das vor Ort unterhaltene Feuer diente wohl der Verarbeitung des Birkenpechs als Kleber zum Einsetzen von Klingen.

Noch etwas Werkzeugkunde

Zwischen den Feuersteinabfällen fanden sich Abschläge aus einem dunkelgrauen, körnigen Gestein – Serpentinit. Ein Material, aus dem Klingen für Beile und Dechsel (mit quer zum Griff stehender Schneide) gefertigt wurden. Das typische Material für Dechsel- und Beilklingen in der frühen Jungsteinzeit, speziell in der linienbandkeramischen Kultur (LBK) ist eigentlich Hornblendeschiefer (Amphibolit), der aber in Breitenbach nur in geringen Umfang nachgewiesen werden konnte. Hierfür wurde ein Rohling mit dem Schlagstein soweit wie möglich der gewünschten Form angenähert, anschließend auf grobem Sandstein nass geschliffen und abschließend mit feinkörnigem Sandstein poliert bis eine, selbst für unser verwöhntes Auge, nahezu perfekt geformte Beil- oder Dechselklinge entstand (Abbildung 9). Je nach Größe und Art der Schäftung dienten die fertigen Geräte vielfältigen Zwecken der Holzbearbeitung. Zerbrach eine Klinge, wurde sie häufig nachgearbeitet oder ein kleineres Stück daraus gefertigt.
Das Vorkommen der Serpentinitabfälle im Fundmaterial belegt, dass hier zumindest ein beschädigtes Beil oder ein Dechsel repariert wurde.

Arbeitshypothese mit kleinem Fragezeichen

Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: Ein Bewohner des Dorfes hatte sich auf der Innenseite des Grabens an dessen Rand niedergelassen, um hier Werkzeuge herzustellen und zu reparieren. Vielleicht waren alle Messer stumpf und brauchten neue scharfe Klingen, dazu sollte ein kleiner Vorrat an Ersatzklingen sowie einige Bohrer und Kratzer angelegt und nicht zu vergessen – die abgebrochene Schneide des Beiles sollte erneuert werden. Ein paar Stunden oder einen halben Tag saß er hier wahrscheinlich, für einen deutlich längeren Zeitraum ist die Menge der Abfälle zu gering. Der Ort erscheint gut gewählt, da die unangenehmen und für (nackte) Füße gefährlich scharfen Steinsplitter schnell und unschädlich im Graben entsorgt werden konnten. Betrachtet man alle Details des Befundes, die auf die Weiterverarbeitung der Feuersteinhalbfabrikate bis zum gebrauchsfertigen Gerät hinweisen, handelt es sich nicht ausschließlich um einen Schlagplatz, sondern – wenn auch nur kurzzeitig – um einen Werkplatz,  sozusagen eine Werkstatt im Freien. Die Frage, warum außer den Steinabfällen auch verwertbare Produkte und das zur Steinbearbeitung notwendige Geräteinventar in den Graben gelangten, bleibt unbeantwortet. Vielleicht wurden die Arbeiten unterbrochen und nicht wie geplant beendet – oder die Beschaffung dieser Geräte war so einfach, dass das Aufheben nicht lohnenswert erschien.
Lohnenswert ist dagegen auch ein Blick in das Herkunftswörterbuch des Dudens. Beim Nachschlagen des Wortes »Messer« finden wir unter anderem folgendes: »Das Grundwort ist das im Nhd. untergegangene agerman. Substantiv mhd., ahd. sahs, aengl. seax, asil, sax, »(kurzes) Schwert, Messer«. Dieses bedeutet eigentlich »Gerät zum Schneiden«und ist mit lateinisch saxum »Stein, Fels« (etwa »Ausgesplittertes«) verwandt.« Unter dem Begriff „Hammer“ lesen wir: »bedeutete ursprünglich Stein, dann »Werkzeug aus Stein, Steinhammer«  Die Technologie der Steingeräteherstellung hat also nicht nur im Boden, sondern auch in unserer Sprache ihre Spuren hinterlassen.


Text: Andreas Siegl
Online-Redaktion: Dorothee Menke, Anja Lochner-Rechta


 

Literatur

Duden Bd. 7: Das Herkunftswörterbuch. C. Tauchmann/W. Scholze-Stubenrecht (Hrsg.),5 (Berlin 2013) 364, 558.

R. Feustel, Technik der Steinzeit (Weimar 1985)

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