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Fund des Monats

September 2015: Spätvölkerwanderungszeitliche Befunde im Fuhne-Einzugsgebiet südlich von Köthen

Der Niedergang des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert und das Vordringen der Hunnen in das von Ostgoten besiedelte Gebiet westlich des Schwarzen Meeres im Jahr 375 löste eine Kette von Wanderungsbewegungen germanischer Stämme aus, welche die Landkarte in Mitteleuropa nachhaltig veränderte.
Diese Bevölkerungsverschiebungen manifestieren sich besonders deutlich im nördlichen und östlichen Deutschland sowie in den Grenzregionen zu den ehemaligen provinzialrömischen Gebieten. So wandern zum Beispiel Teile der Sachsen, Angeln und Jüten im 5. Jahrhundert nach Britannien aus, Burgunder verlassen ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete an der mittleren Oder und ziehen nach Südwesten und Alemannen fallen in die linksrheinischen Gebiete ein.
Besonders im 5. Jahrhundert scheinen fast alle germanischen Stämme von diesem Sog erfasst worden zu sein, befördert von äußerer Bedrohung (»push«) einerseits und Begehrlichkeiten (»pull«) andererseits.

Weitgehend räumlich konstant blieb dagegen erstaunlicherweise das Siedlungsgebiet der frühen Thüringer. Vielleicht lag das am politischen Geschick ihrer Anführer, die manchmal durch Ehestiftungen ein andermal durch Verträge die zur Durchsetzung ihrer Interessen besten Bündnispartner gewannen. Unter ihrem König Bisin vergrößerten sie im 5. Jahrhundert sogar ihr angestammtes Herrschaftsgebiet, das zur Blütezeit schließlich im Norden bis an die Ohre westlich von Magdeburg und im Süden bis an den Untermain reichte (Abbildung 1).
Mit Ausnahme weniger Gebiete, zu denen auch das Einzugsgebiet der Fuhne zwischen Könnern, Köthen und Halle gehört, manifestiert sich ihre Anwesenheit vom 5. bis ins 6. Jahrhundert besonders nördlich und östlich des Harzes sowie im Mittelelbe-Saale-Unstrutgebiet archäologisch durch zahlreiche entdeckte Gräber.
Im Jahr 531 wird das Thüringer Königreich von einer anderen aufstrebenden mitteleuropäischen »Großmacht« – den Franken – unter Mitwirkung sächsischer Stämme (?) zerstört und schließlich zu einem fränkischen Fürstentum. Der genaue Ort der entscheidenden Schlacht ist umstritten. Widukind von Corvey gibt in seiner Sachsenchronik »Scithingi« (=Burgscheidungen) als eines der Schlachtfelder an (Abbildung 2). Archäologisch konnte das bisher nicht bestätigt werden.

Fest steht, dass Radegunde (geboren um 520; gestorben 13. August 587 in Poitiers), die Tochter des Königs Berthachar von Thüringen danach als Geisel in das Frankenreich verschleppt und später zur Heirat mit dem Frankenkönig Chlothar I. gezwungen wurde (Abbildung 3).

In der von dem römischen Dichter und Biographen Venantius Honorius Fortunatus (534 bis 609) verfassten Vita Radegundis beklagt sie die Verwüstungen, die dieser Krieg auf der (oder einer der) thüringischen Königsburgen hinterließ. Inwieweit auch die im nördlichen Gau ansässige thüringische Bevölkerung während dieses Krieges, der bereits 529 mit einem offenbar fehlgeschlagenen fränkischen Invasionsversuch begonnen hatte, massakriert oder vertrieben wurde, bleibt trotz der blutrünstigen Schilderung, die uns Venantius Fortunatus überliefert hat, unklar. Fiel dieser nordöstliche Teil des ehemaligen Königreichs danach als Kriegsbeute an die Sachsen? Wurden hier Friesen oder Nordschwaben angesiedelt? Und wann kamen eigentlich die Slawen in diese Region?
Antworten auf diese Fragen kann möglicherweise ein Fundplatz bei Pfriemsdorf südlich von Köthen geben, der im Zuge der archäologischen Rettungsgrabungen vor der Verlegung einer größeren Gasleitung (UGS-JAGAL) von August bis Dezember 2014 vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt untersucht werden konnte.
Der mehrphasige Siedlungsplatz erbrachte, abgesehen von zahlreichen urgeschichtlichen Befunden, drei bemerkenswerte frühgeschichtliche Grubenhäuser, die in einem Umkreis von nur 50 Metern entdeckt wurden (Abbildung 4).

Zwei der eingetieften Hütten (Befunde 258 und 313) haben einen fast quadratischen (Befund 313) beziehungsweise rechteckigen (Befund 258) Grundriss bei einer Größe von circa 3,55 Meter mal 3,15 Meter (Befund 313, Planum 2) beziehungsweise 4,35 Meter mal 3,5 Meter (Befund 258) (Abbildungen 5 und 6). Ihr Dachfirst ist Nordwest-Südost beziehungsweise fast West-Ost ausgerichtet. Die Wand- und Dachkonstruktion wird von zwei mal drei Pfosten getragen, so dass zwei giebelständige Firstpfosten den Dachfirst trugen und vier Pfosten in den Hausecken standen. Diese dienten wohl ebenfalls zur Aufnahme eines Teils der Dachlast , sie waren aber vermutlich auch Bestandteile der Wandkonstruktion, die ausweislich der in den Verfüllungen gefundenen Fragmente von Hüttenlehm mit Rutenabdrücken aus einer Flechtwerk-Lehm-Konstruktion gebaut war. Diese Grubenhäuser verfügten nicht über eine befestigte Feuerstelle und waren von daher nicht für eine ganzjährige Nutzung als Wohnhaus geeignet.

Das etwas weiter im Süden gelegene Grubenhaus Befund 143 weicht in einigen wichtigen konstruktiven Elementen von den beiden nördlicher gelegenen Hütten ab. Während es in der quadratischen Form, seiner Größe und der Ausrichtung noch gewisse Ähnlichkeiten mit dem Grubenhaus Befund 313 zeigt, sind die Dach- und Wandkonstruktion eine völlig andere. Es besitzt nur drei Pfosten, wobei zwei giebelständige Pfosten den Dachfirst tragen, während ein dritter Pfosten, der etwa mittig der südwestlichen Längswand stand wahrscheinlich als Einstiegshilfe zum Betreten des Baus gedient hat. Eine gepflasterte Herdstelle im nördlichen Eck ermöglichte die Nutzung als Wohnraum auch im Winter. Mit einer Sohlentiefe von nur knapp 0,6 Metern ist es um einen halben Meter flacher als die zwei anderen Gebäude.

Aus dem Grubenhaus Befund 313 stammt ein ganz besonders interessanter Fund (Abbildung 8). Es handelt sich um das Fragment einer aus Buntmetall (Bronze?) gegossenen Scheibenfibel, die mit einem umlaufenden Tierkopffries kerbschnittartig verziert ist. An den Köpfen erkennt man jeweils ein Auge und ein schnabelartig verlängertes Ende. Die erhabenen Stellen des Tierkopfes sind flächig mit feinen dreikantigen Einpunzungen versehen, die vielleicht als stilisierte Federn – vielleicht aber auch als Schuppen (einer Schlange?) anzusprechen sind. Der zentrale Bereich fehlt leider; wahrscheinlich war die Fibel hier kalotten- oder kegelartig aufgewölbt. Auf der Rückseite ist eine Lötstelle (?) erkennbar, an der wahrscheinlich die (abgebrochene) Spiralfeder oder der Fuß der Fibel saß. Der Dekor im germanischen Tierstil II spricht für eine Herstellung im fränkischen Herrschaftsgebiet. Vergleichsstücke aus Beichlingen, Landkreis Sömmerda (Schmidt 1961, Taf. 42e) (Abbildung 9) und aus Berghausen, Kreis Karlsruhe (Abbildung 10) datieren um 600 nach Christus (Koch 1982). Ganz ähnlich gestaltete Tierköpfe finden sich auch auf dem zum Logo des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt gewordenen Reiterstein von Hornhausen, Landkreis Börde, der nach neueren Untersuchungen nicht um 700 sondern eher in die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts datiert (Abbildung 11).

Das etwas weiter im Süden gelegene Grubenhaus Befund 143 weicht in einigen wichtigen konstruktiven Elementen von den beiden nördlicher gelegenen Hütten ab. Während es in der quadratischen Form, seiner Größe und der Ausrichtung noch gewisse Ähnlichkeiten mit dem Grubenhaus Befund 313 zeigt,  sind die Dach- und Wandkonstruktion eine völlig andere. Es besitzt nur drei Pfosten, wobei zwei giebelständige Pfosten den Dachfirst tragen, während ein dritter Pfosten, der etwa mittig der südwestlichen Längswand stand wahrscheinlich als Einstiegshilfe zum Betreten des Baus gedient hat. Eine gepflasterte Herdstelle im nördlichen Eck ermöglichte die Nutzung als Wohnraum auch im Winter. Mit einer Sohlentiefe von nur knapp 0,6 Metern ist es um einen halben Meter flacher als die zwei anderen Gebäude.

Grubenhäuser dieser fast standardisierten Bauweise (2 plus 1-Pfosten-Typ) sind während der mittelslawischen Zeit besonders im unteren Saaleraum der dominierende Gebäudetyp (Abbildungen 12 und 13). Die mittelslawische Datierung für das Grubenhaus Befund 143 wird auch durch Funde zeittypischer wellenbandverzierter Keramik bestätigt.

Erste Rückschlüsse

Die spätvölkerwanderungszeitlichen Befunde und Funde aus Pfriemsdorf zeigen zunächst einmal, dass der Raum zwischen Köthen, Könnern und Halle, der im 5. und 6. Jahrhundert noch weitgehend unbesiedelt gewesen sein soll, spätestens zu Beginn des 7. Jahrhunderts wieder bewohnt wird. Die frühen Einwohner des späteren Pfriemsdorf waren sehr wahrscheinlich keine Slawen und ganz offensichtlich nicht auf der Durchreise, sondern Bauern, deren Gerätschaften wie zum Beispiel eine Eisensichel und eine Drehmühle (Abbildung 14), dafür sprechen, dass sie hier fest ansässig waren und Getreide angebaut und verarbeitet haben.

Die vermutlich fränkische Provenienz der gefundenen Scheibenfibel verrät allerdings nicht unbedingt etwas über die Zugehörigkeit ihres Besitzers oder ihrer Besitzerin zu einem bestimmten germanischen Stamm. Man wird aber nicht ganz fehlgehen, wenn man den Leuten aus dem Dorf bei Pfriemsdorf um 600 gute Kontakte nach Süden in das thüringisch/fränkische Kerngebiet unterstellt. Auch die Bauweise ihrer Grubenhäuser spricht ebenfalls nicht dagegen, dass es sich bei ihnen um Menschen aus dem ostfränkischen Herrschaftsgebiet handeln könnte.

 

Was mag nun aber aus diesen frühgeschichtlichen (fränkischen?) Bewohnern Pfriemsdorfs geworden sein? Der vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt untersuchte Bereich dieser hochinteressanten Fundstelle zeigt leider nur einen kleinen Ausschnitt dieses spätvölkerwanderungszeitlichen/frühmittelalterlichen Anwesens. So gelingt es im Moment auch noch nicht, die Frage zu beantworten, ob sich hier die Besiedlung vielleicht kontinuierlich bis in die Slawenzeit fortsetzt. Sollte es zu einer Begegnung oder gar Vermischung mit den von den Franken als »Sorben« (gleich Verbündete) bezeichneten Slawen gekommen sein, dann spräche der Bruch mit der germanischen Bautradition der Grubenhäuser dafür, dass der slawische Einfluss schließlich so dominant war, dass so mancher Bewohner zwischen Köthen und Halle das Wehklagen der Radegunde ohne Dolmetscher überhaupt nicht mehr verstehen konnte.


Text: Erik Peters
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

 

Literatur

U. Koch, Die fränkischen Gräberfelder von Bargen und Berghausen in Nordbaden. Forsch. u. Ber. Vor- u. Frühgesch. Baden-Württemberg 12 (Stuttgart 1982).

B. Schmidt, Die späte Völkerwanderungszeit in Mitteldeutschland, Bd. I (Halle 1961).

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