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Fund des Monats

August 2018: … und noch eine Schachbrettemailfibel

Ein Siedlungsfund aus der Altmark bei Rockenthin

Im Rahmen der jährlich stattfindenden Schulung des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt für Ehrenamtliche Mitarbeiter, die mit der Metallsonde arbeiten, wurde am 16. März 2018 eine theoretische (Abbildung 1) und anschließende praktische Übung in Rockenthin (Ortsteil von Salzwedel, Altmarkkreis Salzwedel) (Abbildung 2) abgehalten. Hier hatte der Ehrenamtliche Beauftragte Enrico Vierke einen bislang unbekannten Fundplatz entdeckt und diesen mehrfach begangen. Anhand der Funde (Keramik, Schlacke, verziegelter Lehm) konnte festgestellt werden, dass es sich um einen Siedlungsplatz der Römischen Kaiserzeit handelt und damit in den Zeitraum etwa zwischen dem Jahr 0 und 400 nach Christus datiert.

Durch punktgenaue Einmessung der Funde grenzte Enrico Vierke die Ausdehnung der Fundstelle ein. Im vergangenen Jahr stellte er fest, dass mehrere Befunde offensichtlich angepflügt waren: An zwei Stellen zeigten sich auf dem Acker dunklere, herausgepflügte Erde mit zahlreichen Scherben. Um weitere Verluste durch die schleichende Zerstörung zu verhindern, aber auch, um den bisherigen Umfang der Pflug- und Winderosion zu dokumentieren, beschlossen wir, zunächst eine systematische Begehung der Fläche mit Metallsonden im Rahmen der jährlichen Schulung durchzuführen. Hierbei wurden alle Funde einzeln eingemessen und sachgerecht »verzettelt« und verpackt. Derzeit werden die besonders gefährdeten Flächen im Rahmen einer Rettungsgrabung von den Jungen Archäologen der Altmark e.V. unter der Leitung von Maximilian Mewes, Friedrich-Schiller-Universität Jena, und unter Mithilfe von Thomas Janikulla, Rohrberg, und Torsten Müller, Berlin,untersucht (Abbildungen 3a und b).

Neben zahlreichen, noch unrestaurierten Metall-, Scherben- und Schlackenfunden kam auch ein weiterer, außergewöhnlicher Fund – eine Schachbrettemailfibel– zutage, der glückliche Finder war Henry Dörk. Er befand sich wenige Zentimeter unter der Oberfläche im oberen Pflughorizont und war ungewöhnlich gut erhalten. Bei der anschließenden Bearbeitung in der Restaurierungswerkstatt des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie, ausgeführt durch Johanna Bergmann, wurde der Fund lediglich vorsichtig gereinigt und gefestigt (Abbildung 4).

Länger als die Siedlung ist das zeitgleiche, mittlerweile zerstörte Brandgräberfeld bekannt. Schon zwischen 1853 und 1876 grub der Apotheker F. Busch (1813 bis 1878) aus Bergen an der Dumme, heute Landkreis Lüchow-Dannenberg (Niedersachsen), auf dem Urnenfriedhof der späten Römischen Kaiserzeit von Rockenthin. Eine größere Anzahl dieser Funde liegt heute im Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz. Die kürzliche Entdeckung der Scheibenfibel mit Schachbrettdekor auf dem Siedlungsgelände passt zum Fundspektrum des Bestattungsplatzes.

Die runde Fibel mit erhöhtem Scheibenrand und einem rückseitig flachen Mittelsteg samt Nadelhalter ist in Bronze gegossen. Der Nadelapparat besteht aus einer Armbrustkonstruktion mit Eisenachse, die Nadelspitze ist abgebrochen. Der Durchmesser der Scheibe beträgt 27,5 bis 28,0 Millimeter, ihre Stärke 1,6 Millimeter und die Gesamthöhe mitsamt Nadelapparat 12,6 Millimeter. Sie trägt auf der Schauseite ein Emaildekor in Form eines Schachbretts aus Millefioriplättchen: rote Stege mit abwechselnd in sich hellblau und weiß gemusterten Feldern. Bei dieser Technik der »tausend Blumen« werden mehrere farbige und nebeneinander liegende, zu einem Motiv gebündelte Glasstäbchen verschmolzen. Von diesen kompakten Stäben abgetrennte dünne Scheiben ergeben das Dekor. Der den heutigen Anstecknadeln ähnliche Verschlussmechanismus auf der Rückseite ist mit Rücksicht auf den Geschmack des germanischen Markts vorwiegend als Spiralkonstruktion ausgeführt,so auch bei der Rockenthiner Gewandspange.

Hergestellt wurden diese Schachbrettemailfibeln in großer Stückzahl vorwiegend in Gallien und im Mainzer Raum. Sie gelangten im Laufe des 3. Jahrhunderts nach Christus durch Austausch und Handel als »provinzialrömische Importe« nach Germanien und so in die heutige Altmark-Region (Abbildung 5). Allein aus der nordwestlichen Altmark und dem direkt nördlich angrenzenden niedersächsischen Gebiet – damals vorwiegend von Langobarden besiedelt – kennen wir von den einst hier eingetroffenen Stücken neun Exemplare. Allerdings waren acht Schachbrettfibeln ausnahmslos dem Feuer des Scheiterhaufens ausgesetzt und in branddeformiertem Zustand mit in Gräber der Friedhöfe in Rockenthin, Brietz, Cheine (drei Fibeln) und Zethlingen (alle Altmarkkreis Salzwedel) sowie in Lüchow und Rebenstorf (beides Landkreis Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen) gegeben worden.

Der Rockenthiner Grabfund, die beiden niedersächsischen Stücke, ein Siedlungsfund aus Uenglingen (Landkreis Stendal) sowie vier weitere Grabfunde aus Schkortleben (Burgenlandkreis), Großjena, Schönburgund Freyburg (Unstrut) (Burgenlandkreis) sind in der Größe (Durchmesser 30 Millimeter) identisch, während der Scheibendurchmesser des Rockenthiner Neufunds dem der Zethlinger Fibel (Abbildung 6) und einem der drei Exemplare aus Cheine entspricht. Diebeiden Stücke aus Rockenthin und Zethlingen zeigen in den markanten roten Stegen und der Größe der Schachbrettfelder starke Übereinstimmungen. Beim Schkortleber Stück (Abbildung 7) hingegen dominiert der Blauanteil und es fällt eine feinere Einteilung des Schachbretts bis ins Innere der Felder auf – gleiches gilt für die Gewandspange aus Großjena. Beide sind in der Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle [Saale] zu sehen. Die übrigen Fibeln aus Brietz und Cheine differieren in den Abmessungen und teils auch im Befestigungsmechanismus. Zudem ist das Emaileiniger Stücke nahezu unkenntlich zerschmolzen.

An diese Beobachtungen schließt sich natürlich eine Frage an: Stammen der Rockenthiner Neufund und die Stücke aus Cheine und Zethlingen aus einer »Charge« oder »Lieferung«? Und was sagen sie zu ihren Besitzern und deren Verbindungen zum Römischen Reich aus? Schachbrettemailfibeln erfreuten sich in grenznahen Gebieten des Barbaricums, aber auch in den Binnengebieten Germaniens besonderer Beliebtheit. Da sie in den umgebenden Regionen seltener gefunden wurden, traf der Fibeltyp anscheinend gerade im Nordwesten der Altmark und dem angrenzenden niedersächsischen Wendland den Geschmack erwerbswilliger, wohl vorwiegend langobardischer, Abnehmer, wo »Regionalchefs« dann die Verteilung der römischen Güter regelten – hier könnte es sich also wirklich um die Verteilung einer »Lieferung« gehandelt haben.

Und auch der Süden des heutigen Sachsen-Anhalts wurde »beliefert«. Da der Besitz römischer Stücke nicht allen Bewohnern gleichermaßen zuteil wurde, dürften sie ihre Besitzer als Angehörige einer Art gehobenen Mittelstands kennzeichnen. Ihrem schmückenden Charakter zufolge wird davon ausgegangen, dass vorwiegend Frauen ihr Gewand oder ihren Umhang damit vor der Brust verschlossen. Möglicherweise hatte die einstige Trägerin in Rockenthin die intakte, attraktive Gewandspange an ihrer Kleidung nicht richtig befestigt, denn das Stück ging offenbar auf dem Weg durchs Dorf verloren. Weitere römische Fundstücke aus dem Rockenthiner Gräberfeld – darunter unter anderem Gefäße aus Terra sigillata (= intensiv rottoniges Geschirr, meist mit Halbreliefs versehen) und Glas, aber auch fünf Fibeln (eine Auswahl: Abbildung 8) sowie Perlen aus den Brandgräbern – unterstreichen im Verein mit dem Fibelfund die guten Kontakte der einstigen Altmärker zu Händlern Waren aus den römischen Provinzen nördlich der Alpen und damit zum Imperium Romanum.


Text: Barbara Fritsch, Rosemarie Leineweber
Online-Redaktion: Georg Schafferer, Anja Lochner-Rechta

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