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Fund des Monats

März 2020: An der Ostgrenze des karolingischen Imperiums

Das Elbkastell gegenüber von Magdeburg

Grenzen stehen zunehmend im Fokus der Archäologie. Als Begründung für die Auseinandersetzung dienen nicht selten die aktuellen weltpolitischen Debatten und Maßnahmen der Abschottung und des Protektionismus. Eine Ausgrabung im Ortskern von Biederitz im Landkreis Jerichower Land hat nun eine Befestigungsanlage erbracht, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit mit dem zum Jahr 806 in den Schriftquellen erwähnten karolingerzeitlichen Grenzkastell an der Elbe gegenüber von Magdeburg zu identifizieren ist.
Ursächlich für die archäologischen Dokumentationen war der Neubau eines seniorengerechten Wohnhauses seitens der »Vierte Biederitzer Immobilienbesitz GmbH & Co.KG«. Erste Untersuchungen erbrachten Funde und Befunde aus dem Mittelalter, die zu einer flächigen Ausgrabung führten. Diese fand im Bauvorfeld mit einem Team von fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt auf einem Areal von ungefähr 1060 Quadratmetern von Mitte August bis Ende Oktober 2019 statt. Die Sachsenkriege Karls des Großen dauerten mehr als 30 Jahre. Sie begannen mit einem Sommerfeldzug im Jahr 772, bei dem die Irminsul, ein Heiligtum der Sachsen zerstört wurde und endeten etwa im Jahr 804 mit der Unterwerfung der sächsischen Nordalbingier im westlichen Holstein und in Hamburg nördlich der Elbe.

In der Folge geriet der östliche Saum des sächsischen Siedlungsgebietes zur Ostgrenze des fränkischen Reichs gegenüber den Slawen. An den Schnittstellen von Land- und Wasserwegen sowie an Mündungen von aus den slawischen Siedlungsgebieten kommenden Flüssen in größere Ströme wurden wichtige Grenz- und Kontrollposten unterhalten. Im Diedenhofer Kapitular, einer Anordnung Karls des Großen vom Dezember des Jahres 805, die in der namensgebenden Pfalz Diedenhofen (heute Thionville/Frankreich) in Lothringen erlassen wurde, sind diesbezüglich die Orte Bardowick (bei Lüneburg), Schezla (Höhbeck), Magdeburg, Erfurt, Hallstadt (bei Bamberg), Forchheim, Premberg (in der Oberpfalz), Regensburg und Lorch an der Ems (Oberösterreich) angeführt (Abbildung 1). Der Kaiser legte fest, dass dort die Kaufleute, die mit Slawen und Awaren Handel trieben, überprüft werden sollten, um eine Ausfuhr von Waffen zu verhindern. Als Anreiz und Entgelt zum Vollzug des Waffenembargos sollte ein Viertel der beschlagnahmten Militaria den Kontrolleuren zugestanden werden und ein weiteres Viertel der örtlichen Oberaufsicht. Die Hälfte jedoch sollte dem Kaiser selbst zugutekommen. Der Erfolg des Unterfanges ist indes schwer zu beurteilen. Etliche Funde von Schwertern fränkischer Herstellung aus dem 9. Jahrhundert zeigen jedenfalls, dass auch in den folgenden Jahrzehnten Waffen von West nach Ost gelangten. Sie mögen als Schmuggelware in die slawischen Siedlungsgebiete gelangt sein, könnten aber etwa auch als Geschenke vermittelt worden oder bei Kampfhandlungen verloren gegangen sein. Kriegerische Auseinandersetzungen mit slawischen Verbänden sind in den Schriftquellen vielfach überliefert.

Im Kontext dieser neu geschaffenen Grenzkonstellation steht auch die Errichtung von zwei Kastellen im Jahr 806. Der Vorgang ist in Einhards Werk über das Leben Karls des Großen (Vita Karoli Magni), in den Metzer Annalen (Annales Mettenses priores), in der Chronik von Moissac (Chronicon Moissiacense) und in den Reichsannalen (Annales regni Francorum) verzeichnet. Diesen Quellen nach lag das eine Kastell bei Halle, östlich der Saale und das andere auf der nördlichen Seite der Elbe, gegenüber Magdeburg. In den Reichsannalen heißt es zudem, dass das eine Kastell hoch oben am Ufer des Flusses Saale und das andere dicht am Fluss Elbe erbaut wurde. In der Chronik von Moissac finden sich weiterhin Angaben zum Veranlasser und zu den Umständen zum Bau der festen Kastelle: Karl der Jüngere, der zweite Sohn Karls des Großen und designierte König, beauftragte kurz zuvor in einem Kriegszug unterworfene Slawen mit der Errichtung.

Die Lage der Ausgrabungsstätte auf einer Niederungsinsel stimmt mit den Angaben aus der schriftlichen Überlieferung zur Lage des Grenzkastells auf der nördlichen Seite der Elbe (heute ein Altarm) gegenüber von Magdeburg überein (Abbildung 2). Weitere Indizien sprechen für eine Identifikation mit dem erwähnten Kastell. So wurde ein Wall-Graben-System einer Befestigungsanlage aus der Zeit um 800 dokumentiert. Es handelt sich um zwei Wälle mit jeweils vorgelagertem Graben. Der innere Graben ist 13 Meter breit und 3,5 Meter tief (Abbildung 3), der äußere ist fünf Meter breit und 1,5 Meter tief. Aus vergleichbaren karolingischen Anlagen sind ganz ähnliche Befestigungswerke bekannt. Allerdings gehört das vorliegende zu den besonders massiven Einrichtungen. Das Fundmaterial des inneren Grabens zeigt ein hohes Aufkommen an Holzkohle, Tierknochen und wenigen Keramikfragmenten. Der äußere Graben erscheint dagegen homogener und trägt weniger Fundmaterial (Abbildung 4). Im Vorfeld dieser Befestigungsanlage wurden Reste von zwei Grubenhäusern erfasst, welche, neben Spinnwirteln, einem Knochenpfriem und Backtellerfragmenten (Abbildung 5), vorwiegend unverziertes Keramikmaterial des 8./9. Jahrhunderts nach Christi beinhalteten.

Bisher noch fraglich in der Datierung bleibt ein Pferdeskelett über dem Grabenkopf des äußeren kleinen Grabens (Abbildung 6). Die Vergrabung beziehungsweise Bestattung steht eventuell mit einer besonderen Wertschätzung eines repräsentativen und kostbaren Reitpferdes zusammen. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass es in der Forschung bereits etliche Vorschläge zur Identifikation des karolingischen Gegenkastells von Magdeburg gegeben hat. Sie sind aber aus topografischer sowie chronologischer Sicht und/oder aufgrund zu großer Distanzen zur in den Quellen beschriebenen Lage eher unwahrscheinlich.
Das Kastell diente sicherlich zur Kontrolle und Sicherung der Grenze. Die Schriftquellen nennen den Grenzbeauftragten Aito, der von dort aus mit einer schnellen Eingreiftruppe im Vorfeld der Magdeburg im slawischen Siedlungsgebiet agieren konnte. Im Grenzkontext ist außerdem zu erwarten, dass das Kastell Herrschaftsansprüche in der Landschaft markierte und auch zur Herausbildung eines Grenzbewusstseins beitrug.


Text: Donat Wehner, Claudia Schaller
Online-Redaktion: Imke Westhausen, Anja Lochner-Rechta

Literatur

V. Schimpff, contra Magadaburg. Zur Lage der fränkischen/slawischen Burg an der Elbe 806. Burgenforschung aus Sachsen 26, 2013, 109–147.

O. Schlüter/O. August (Hrsg.), Atlas des Saale- und mittleren Elbegebietes (Leipzig 1961.)

Th. Weber/A. Ditmar-Trauth/G. Ditmar-Trauth/R. Kuhn/B.Kunz, Radiocarbondatierungen aus Magdeburgs ältesten Festungsgräben. Bemerkungen zur Forschungsgeschichte der karolingerzeitlichen Anlagen in und bei Magdeburg. In: H. Meller (Hrsg.), Zusammengegraben – Kooperationsprojekte in Sachsen-Anhalt. Tagung vom 17. bis 20. Mai 2009 im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale). Arch. Sachsen-Anhalt Sonderbd. 16 (Halle/Saale 2012) 145–157.

D. Wehner, Archäologische Grenzgeschichten. Sachsen, Slawen und der Limes Saxoniae. In: O. Auge/B. Volquartz (Hrsg.), Der Limes Saxoniae – Fiktion oder Realität? (Kiel 2019) 21–44.

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